Kündigungen sind ein knallharter Job. Im Kinofilm “Up In the Air“ gibt Schauspieler George Clooney den Profi-Rausschmeißer. Der Anwalt Rüdiger Knaup macht den Job im echten Leben. “Manche denken, ich sei eine brutale Mistsau“, sagt Knaup. Doch auch nach 25.000 Kündigungen ist er mit sich selbst im Reinen.
Im normalen Leben ist der "Sexiest Man Alive" eigentlich nicht um menschlichen Zuspruch verlegen. In einer seiner jüngsten Rollen dagegen muss George Clooney mit deutlich mehr Abneigung seiner Mitmenschen leben – selbst von den Frauen. "Das meinen Sie jetzt nicht ernst", zickt da eine brünette Mittvierzigerin Ryan Bingham alias Clooney an, um kurz danach in Tränen auszubrechen. "Tun Sie mir das nicht an", droht ihm später ein braunbärtiger Angestellter, schaut den Mann im edlen Zwirn fassungslos an und wischt mit lautem Knall alle fein säuberlich geordneten Utensilien vom Tisch vor sich.
So ungewohnt diese Reaktionen gegen den beliebten Schauspieler sind: Sie verwundern nicht, hat sich Clooney doch in "Up In the Air" als viel reisender Mitarbeiter einer US-Beratungsfirma allein auf das professionelle Rausschmeißen von Arbeitnehmern spezialisiert. "Die Unternehmen holen mich, um die Drecksarbeit zu machen", röhrt Clooney mit dunkler Stimme aus dem Off. "Und sie tun gut daran."
Dieser Meinung ist – irgendwie – auch Rüdiger Knaup. Tausende Kilometer von Amerika entfernt lümmelt sich der Anwalt auf dem Ledersessel seiner Kanzlei und saugt heftig an seinem Zigarillo, es dürfte wohl der fünfte oder sechste an diesem Vormittag sein. Statt Rehaugen und gebräunter Haut stellt Knaup eher nordrheinwestfälische Blässe und Brille zur Schau.
Im Vergleich zu Clooneys Astralkörper wirkt der 48-jährige Jurist, nun ja, fülliger. Und anders als der Filmstar führt Knaups Job ihn in der Regel eher nach Hannover, Frankfurt und Wattenscheid als an schillernde Destinationen wie Ohio, Boston und Shanghai. Dennoch hat der Bochumer Jurist – über sein Alter hinaus – etwas Entscheidendes mit Hollywoods Frauenliebling Nummer eins gemein: Wie Clooney lebt er davon, Leute rauszuschmeißen – zumindest zum Teil.
Statt durch die Lüfte zu jetten zieht es Knaup zwar meist vor, in seinem mit Fantaflaschen zugemüllten Mercedes zu den Klienten zu fahren, oder, wenn möglich, auf seinem alten Polizei-Motorrad. Darauf hat er den Schriftzug "Knaup. Unterwegs im Namen des Rechts" kleben lassen. Auf diesem Weg hat der Mann schon so viele Kündigungen ausgesprochen, wie es selbst der Chef eines Großkonzerns in seinem ganzen Berufsleben kaum schaffen kann: Wohl an die 25.000 Menschen habe er die traurige Botschaft vom Ende ihres Arbeitsverhältnisses überbracht, schätzt er.
Trotzdem, sagt Knaup, habe sein Job mit dem, "was dieser Clooney da tut in dem Film", fast überhaupt nichts zu tun: "Dass Firmen wildfremde Menschen anheuern, nur damit die den Drecksjob machen, ist völliger Quatsch." Tatsächlich ist die Realität von Knaups Berufsstand etwas komplexer, als es der für sechs Oscars nominierte Streifen nahelegt: Lange bevor klar ist, wie viele Stellen abgebaut werden müssen, rufen die Unternehmen ihn an – mit der Bitte, den gesamten Restrukturierungsprozess juristisch zu begleiten. Clooneys Job, sprich der konkrete Moment der Kündigung, ist für Knaup also nur der Abschluss einer Reihe von Verhandlungen im Verlauf einer Firmensanierung.
Ähnliche Probleme wie der US-Star hat der Bochumer trotzdem: Wo er hinkommt, schlägt dem Entlasser vom Dienst meist eine Welle von Ablehnung entgegen. Nicht selten warten Pappsärge, Totenkränze, schwarze Flaggen auf ihn, wenn er in den Firmen auftaucht. Manchmal weinten die Leute, sagt er, wenn er ihnen seine düstere Nachricht überbringe. Selten schimpften sie, meistens schwiegen sie.
"Manche denken, ich sei eine brutale Mistsau", sagt Knaup und scheint den gelegentlichen Frust über dieses Unrecht mit dem Rauch seines Zigarillos in sich hineinzusaugen. "Aber das bin ich nicht." Er setze nur eine Entscheidung um, die Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter getroffen hätten, um eine angeschlagene Firma zu retten – und möglichst viele Jobs. "Ich helfe ja nicht dabei, einen Betrieb zu beerdigen", sagt Knaup. "Mir geht es darum, Unternehmen zu heilen." Wenn er in einer Firma von 480 Leuten 220 kündige, hätten danach immerhin 260 Mitarbeiter einen sicheren Arbeitsplatz. "Das sind 260 mehr, als wenn das Unternehmen komplett vor die Wand fährt."
Was rational nachvollziehbar ist, das weiß auch Knaup, ist für die Betroffenen dennoch schwer zu verkraften. "In so einer Situation müssen Sie Menschen begegnen, denen Sie gerade den Boden unter den Füßen wegziehen", sagt er. Natürlich reicht Knaup ein Taschentuch, wenn jemand weint, und lässt seinem Gegenüber Zeit, seine erste Ohnmacht, Wut oder Trauer auszuleben. Darüber hinaus aber sieht der Jurist – rein menschlich betrachtet – seine Hauptaufgabe darin, den Betroffenen jede Hoffnung zu nehmen. Menschen seien Überlebenskämpfer und fingen sofort an, sich auf die neue Situation einzustellen, erklärt der Anwalt. Hoffnung zu schüren, wo es keine gibt, koste unnötig Energie und Zeit. "Eine deutliche Sprache zu sprechen, ist das Menschlichste, was ich tun kann", sagt er.
Wenn es nicht so makaber klänge, würde man sagen, Knaup habe das Kündigen von der Pieke auf gelernt. Gerade 16 Jahre war er alt, als er zum Bochumer Textilkonzern Steilmann kam und dort für ein bisschen Taschengeld Akten schleppte, den Boden schrubbte und Müll entsorgte. Die einfachen Tätigkeiten jedoch sollten den Grundstein legen für eine große Karriere, die Knaup schließlich bis auf den Posten eines Geschäftsführers brachte.
Vor Abgründen feite der hohe Rang den Manager, der nebenbei Jura studiert und promoviert hatte, allerdings nicht. Als eines der ersten deutschen Unternehmen bekam Steilmann die raue Seite der Globalisierung schmerzhaft zu spüren. Sämtliche deutsche Produktionsstandorte musste der Textilhersteller schließen; im Konkurrenzkampf mit den wesentlich billigeren Produktionsstätten in Osteuropa und Asien hatte er schlichtweg den Kürzeren gezogen.
Knaup war also gezwungen, während seiner Ägide bei Steilmann 8500 von insgesamt 18.200 Stellen abzubauen. Ein Höllenjob, das fand auch Knaup, der viele der Betroffenen persönlich kannte. Doch jedes Mal, wenn der Manager damals vor seine Belegschaft trat und Stellenstreichungen verkünden musste, war er immerhin überzeugt, das es zum Besseren des Unternehmens sei. Der Einschnitt sollte die Basis schaffen für das Überleben des Gesamtbetriebs. Nur eines, erinnert sich Knaup, sei ihm wichtig gewesen: immer die Wahrheit zu sagen und niemals etwas zu versprechen was er womöglich nicht würde halten können.
In diesem Verständnis handelte er auch, als er sich Anfang 2003 vor die Belegschaft stellte und versicherte, dies sei nun die letzte Kündigungswelle für das laufende Jahr gewesen. Als es zwei Wochen später hieß: "Komm, Rüdiger, wir schaffen noch 80 Leute mehr", hatte Knaup dann die Nase voll. Er kündigte. "Sonst hätte ich meine Glaubwürdigkeit verloren", sagt er.
Auch wenn der gebürtige Essener die Kündigungsgespräche nach wie vor am liebsten nüchtern hält ("Wem hilft es, wenn ich da auch noch mitheule?"): Vom digitalen Kündigen per Skype, wie es Clooneys Arbeitgeber in "Up In the Air" einführen will, hält Knaup rein gar nichts. Unwürdig für den Betroffenen sei das, sagt er – und für den Einigungsprozess zwischen Arbeitgeber und dem zu kündigenden Arbeitnehmer im Übrigen höchst hinderlich: "So etwas würde die Betroffenen emotional aufputschen", sagt Knaup. Bis zum tatsächlichen Unterzeichnungstermin würden sie sich vermutlich alles Mögliche ausdenken, um Rache an ihrem brutalen Chef zu nehmen.
Betroffene, sagt der Jurist, schätzten die deutlichen Worte ihres Kündigers. Und für einen wie Knaup lohnt sich das, denn anders als Bingham alias Clooney muss der Vater von drei Kindern seinen ehemaligen Opfern im Alltag ständig begegnen. Kein Tag vergeht, an dem er nicht mindestens einen von ihnen trifft, wenn Knaup sein Büro verlässt. Gram, versichert er, seien ihm dennoch die wenigsten.
Das weiß auch Gerhard Abstins zu berichten. Der heute 58-Jährige war schon bei Steilmann, als Knaup dort als Aushilfe ankam, und arbeitete später, in freundschaftlicher Verbundenheit, als einer von zwei internen Einkaufsleitern direkt unter ihm. Bis ihn sein damaliger Chef Knaup zu sich rief. 50 Prozent der Belegschaft sollten abgebaut werden; da sei ihm klar gewesen, dass er oder sein Kollege dran glauben musste, erinnert sich Abstins. Dennoch sei er betroffen gewesen, dass sich Knaup gegen ihn entschieden habe – den er doch viel länger als seinen Kollegen gekannt habe.
Allerdings war Abstins schon damals dankbar, dass "Knaup nicht Wischiwaschi redete, sondern deutliche Worte sprach". Heute leitet der ehemalige Einkaufschef die Geschäftsstelle des Fußballklubs Wattenscheid 09. Knaup habe damals nichts beschönigt, sich Zeit genommen für ihn und seine Entscheidung genau begründet, sagt er. Das habe ihm, bei aller Brutalität der Situation, sehr geholfen.
Offenbar hat der Bochumer mehr Glück und Geschick als sein berühmtes Gegenstück im Film. Nachdem Bingham/Clooney einer Frau die Nachricht ihrer Entlassung verkündet hat, verlässt die den Raum – und nimmt sich das Leben.