Die organisierte Kriminalität hat sich mitten in der legalen Wirtschaft Italiens eingenistet. Sie beschäftigt eine Armee von Geldwäschern, Investmentberatern und Brokern, um die Milliarden der Mafia in legale Geschäfte zu investieren. Bruno Fuduli war einer von ihnen – und bei WELT ONLINE packt er aus.

Bruno Fuduli gibt es nicht mehr. Seine Identität wurde gelöscht. Mit Mitte 40 hat der Mann, der einmal Bruno Fuduli war, noch einmal von vorne angefangen. Er lebt jetzt unter neuem Namen an einem unbekannten Ort. Dort, wo ihn die kalabrische Mafiaorganisation 'Ndrangheta nicht finden kann. Alles andere wäre sein Todesurteil. Denn Bruno Fuduli hat ausgepackt und den italienischen Fahndern ein neues Bild der Mafia geliefert: Sie ist längst nicht mehr ein Netz krimineller Banden aus dem unterentwickelten Südzipfel Italiens, sondern spielt in der globalisierten Welt des Verbrechens eine Hauptrolle. Und sie investiert Milliarden aus verbrecherischen Aktivitäten in legale Geschäfte.

Welch riesige Summen die 'Ndrangheta zur Verfügung hat, zeigt ein Skandal um die Telekom-Unternehmen Fastweb und Telecom Sparkle, eine Tochter des ehemaligen Staatsmonopolisten Telecom Italia. Über zwei Milliarden Euro Mafiageld sollen Mitarbeiter der Firmen in den vergangenen Jahren über falsche Rechnungen reingewaschen haben. Der Untersuchungsrichter spricht von einem der größten Betrugsskandale Italiens. In Untersuchungshaft genommene Top-Manager beider Firmen beteuern, davon nichts gewusst zu haben. Die Geldwäsche-Vorwürfe an sich bezweifeln sie nicht.

Die 'Ndrangheta zahlt pünktlich und in bar. Sie ist zuverlässig und verschwiegen, denn sie kennt kaum Aussteiger. "In die 'Ndrangheta kann man nicht eintreten wie in die Mafia, sondern nur einheiraten", sagt Enzo Ciconte, Dozent für die Geschichte der organisierten Kriminalität in Rom. Vorteil dieser archaischen Praxis: Es gibt nur wenige 'Ndrangheta-Mitglieder, die mit der Justiz zusammenarbeiten. Bruno Fuduli, der wichtigste Kronzeuge der vergangenen Jahre, ist keine Ausnahme: Er gehörte der Organisation nicht offiziell an, sondern arbeitete ihr nur zu. Fuduli fädelte als "Broker" Drogengeschäfte für die Bosse ein. Männer wie er sind es, die Mafiageld anlegen, es reinwaschen und wieder in den Wirtschaftskreislauf einfließen lassen. Fuduli machte eine steile Karriere.

Er ist erst 23 Jahre alt, als er die Steinmetzfirma seines Vaters erbt. Auf dem Unternehmen in Paraina di Nicotera in Kalabrien lasten Schulden. Fuduli ist trotzdem optimistisch: Er hat gute Arbeiter, moderne Maschinen, aus einem staatlichen Entwicklungsfonds erhält er Subventionen. Doch Sabotage und nicht bezahlte Aufträge bringen die Finanzen in immer größere Schieflage. Erst kommen die Schutzgelderpresser, dann wird seine Fabrik verwüstet, schließlich geben ihm die Banken keinen Kredit mehr. Da macht man ihm ein Angebot: Ein Boss aus der Gegend will die organisatorischen Talente des Unternehmers für seine Zwecke nutzen. Bruno hat keine Vorstrafen und spricht fließend Spanisch. Das macht ihn zu einem idealen Broker.

Die 'Ndrangheta-Familien sind heute so reich, dass sie sich aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Sie lassen Handlanger mit russischen Mädchenhändlern, albanischen Schlepperbanden und südamerikanischen Drogenproduzenten verhandeln. Sobald man sich über Menge und Preis etwa einer Kokainlieferung einig ist, bieten die Broker verschiedenen 'Ndrangheta-Familien Anteilscheine an. Die Ladung wird dementsprechend aufgeteilt und mit einem Aufschlag von oft 100 Prozent weiterverkauft.

Der Gewinn pro Lieferung beträgt zwischen fünf und 15 Millionen Euro. Korrumpierte Transportunternehmen kümmern sich um die Logistik, Steuerfachleute um die Importformalitäten an der Grenze, und unverdächtige Unternehmer nehmen die Ware, die das Kokaingeschäft deckt, über ihre Firma in Empfang. Sie alle machen ein gutes Geschäft. Die 'Ndrangheta ist nicht knauserig, und es reicht, keine Fragen zu stellen, um mitzuverdienen.

Fuduli wird binnen weniger Jahre zum geschätzten Vermittler zwischen zwei Clans und den Kartellen Südamerikas. Er pendelt zwischen Kalabrien, Kolumbien, Venezuela und Mexiko. Bald verhandeln die Drogenbarone nur noch, wenn er mit am Tisch sitzt. Mitglied der 'Ndrangheta wird er nicht, die italienischen Bosse bestehen nicht darauf. Ein Fehler, wie sich zeigt. Mit 42 Jahren wendet sich Fuduli an die Staatsanwaltschaft. Bis auf ihn selbst werden alle Beteiligten zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Im Drogenhandel, dem lukrativsten Geschäft der Welt, haben andere die zerschlagene Bande ersetzt. Vom Hafen Gioia Tauro in Kalabrien transportieren Zwischenhändler den Stoff nach Norditalien. Mailand ist nicht nur der wichtigste Umschlagplatz: "Mailand ist als Hauptstadt der reichsten Region Italiens auch sehr attraktiv für Investitionen", sagt Staatsanwalt Alberto Nobili. Er hat aufgedeckt, wie die 'Ndrangheta die legale Wirtschaft untergräbt, indem sie Firmen kauft, die dann mit Dumpingpreisen die Konkurrenz ausschalten und sich ein Monopol verschaffen. "Die Mafiosi von heute sind moderne Finanziers und sofort zur Stelle, wenn ein Unternehmen eine Kapitalerhöhung braucht."

Um das Geld investieren zu können, muss es zuvor gewaschen werden, wie im aktuellen Fall um Fastweb und Telecom Sparkle. Mittels gefälschter Rechnungen für nie erbrachte Telefondienstleistungen soll das Geld laut den Ermittlungsakten über mehrere Stationen von der Mafia und zurück an die Mafia geflossen sein - auch das gehört zum Job von Brokern wie Fuduli.

Die Grenze zwischen illegalen und legalen Geschäften verwischt, wenn die 'Ndrangheta über Strohleute Immobilien und Gesellschaftsbeteiligungen erwirbt, die wiederum Gewinne einbringen. Für die Ermittler wird es ohnehin immer schwieriger, den Bossen ihre illegalen Aktivitäten nachzuweisen, weil sie sich selbst ja kaum noch die Hände schmutzig machen.

Antonio Ingroia, einer der erfolgreichsten Mafiafahnder Italiens, hält die Anti-Mafia-Gesetze seines Landes zwar für die besten in ganz Europa, trotzdem "hinken sie der Entwicklung des organisierten Verbrechens hinterher". Die "Mafia-Methoden" aus Artikel 416 des Strafgesetzbuches, die Einschüchterung, Druck und Bedrohung beinhalten, kommen im neuen globalen Geschäft nicht zwingend zur Anwendung. Geld funktioniert einfach besser als Gewalt.

"Wenn Europa den Kampf gegen die organisierte Kriminalität gewinnen will, muss es sich auf eine gemeinsame Anti-Mafia-Gesetzgebung einigen", fordert Ingroia. "Eurojust", die 2002 gegründete Einrichtung der Europäischen Union zur Koordination von Ermittlungen bei der Verfolgung grenzüberschreitender und organisierter Kriminalität, reicht ihm nicht. "Eurojust ist eine Schaltstelle, aber es gibt dort keine Staatsanwälte, die auf gesamteuropäischer Ebene ermitteln. Dabei wäre genau das nötig. In der Zukunft brauchen wir eine europäische Ermittlungsbehörde."

Wie schwierig die internationale Koordination zwischen Polizei und Staatsanwaltschaften ist, zeigen die Erfahrungen mit der deutsch-italienischen "Task Force", die nach dem 'Ndrangheta-Massaker von Duisburg im Sommer 2007 eingerichtet wurde. Francesco Forgione, ehemaliger Präsident der Anti-Mafia-Kommission im italienischen Parlament, hält die Deutschen für zu unerfahren im Umgang mit Mafia, Camorra und 'Ndrangheta. "Wenn die italienischen Fahnder ihre europäischen Kollegen nicht über bedeutende Ermittlungen informieren, dann geschieht das nicht aus Eitelkeit, sondern weil sie Angst haben, das Unternehmen könnte scheitern, wenn zu viele zu viel wissen", sagt er. Verschwiegenheit gehört nicht nur zum Geschäft der Mafia.

Quelle: Welt Online