Trotz geringerer Löhne steigen für Firmen die Produktionskosten. Handel klagt über Umsatzrückgang. Nur noch 27 648 Euro pro Kopf.
Hamburg. Die Sicherung der Arbeitsplätze in der Krise hat ihren Preis. Das haben besonders stark die Beschäftigten in der Industrie zu spüren bekommen. So sanken im produzierenden Gewerbe, zu dem auch das Handwerk zählt, die Löhne im vergangenen Jahr im Durchschnitt um 3,6 Prozent auf 45 700 Euro. Besserung ist nach Einschätzung von Experten auch in diesem Jahr nicht in Sicht. Zum ersten Mal seit Gründung der Bundesrepublik sind die Bruttoverdienste 2009 über alle Branchen hinweg um 0,4 Prozent auf 27 648 Euro pro Arbeitnehmer gesunken. Die Nettolöhne und -gehälter gingen sogar um 0,9 Prozent zurück.
"Die Ursache für diese Entwicklung ist die Kurzarbeit und der Abbau von Arbeitszeitkonten", sagt der Lohnexperte Franz-Josef Steimer vom Statistischen Bundesamt. Durch die Gehaltskürzungen sanken auch die individuellen Jahreseinkommen. Allein in Hamburg nutzten im Durchschnitt rund 12 300 Arbeitnehmer die Kurzarbeit. "Auch jetzt zahlen wir noch für rund 13 000 Beschäftigte pro Monat Kurzarbeitergeld", sagt Rolf Steil, Chef der Hamburger Arbeitsagentur, dem Abendblatt.
Die negative Einkommensentwicklung konnte auch durch Tariferhöhungen nicht verhindert werden. "2009 wurde bei den Tariflöhnen ein Plus von 2,6 Prozent erreicht", sagt Tarifexperte Reinhard Bispinck von der Hans-Böckler-Stiftung. Unterm Strich stiegen dadurch die Bruttostundenlöhne sogar um 2,9 Prozent. Doch längst nicht alle profitieren davon. "Nur noch 61 Prozent der Beschäftigten unterliegen der Tarifbindung", sagt Bispinck. "Bezieht man die Inflationsrate mit ein, so war 2009 bereits das sechste Jahr in Folge, in dem die Beschäftigten Reallohnverluste hinnehmen mussten."
Für den Rückgang der Einkommen macht Bispinck nicht nur die Kurzarbeit verantwortlich. Es gibt inzwischen viele tarifliche Öffnungsklauseln, die es Unternehmen erlauben, in Krisensituationen zum Beispiel Zulagen zu kürzen oder vorgesehene Lohnerhöhungen auszusetzen. "22 Prozent der Betriebe haben Abstriche beim Entgelt vorgenommen", sagt Bispinck.
Während die Arbeitnehmer weniger im Portemonnaie haben, sorgen sich die Arbeitgeber um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Denn der starke Ausbau der Kurzarbeit hat die Kosten der Unternehmen deutlich in die Höhe getrieben. Statt Fachpersonal zu entlassen, nahmen sie einen Anstieg der Lohnstückkosten von 5,2 Prozent in Kauf - und damit das größte Plus seit 1992. Dieser Wert drückt aus, wie viel Lohn oder Gehalt für eine Produktionseinheit bezahlt werden muss. Die Rezession hatte zu einem deutlichen Rückgang der Produktion geführt, während die Fixkosten gleichzeitig kaum sanken. Im verarbeitenden Gewerbe kletterten die Lohnstückkosten sogar um mehr als 15 Prozent. "Auf Dauer werden die Unternehmen damit nicht leben können", sagt Christoph Schröder vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Entweder die Wirtschaft springt an, oder die Firmen müssen Arbeitsplätze abbauen. Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) rechnet damit, dass das Vorkrisenniveau erst wieder 2012 erreicht wird. In diesem Jahr soll das Bruttoinlandsprodukt um 1,5 Prozent steigen.
Dennoch können die Bruttoeinkommen auch 2010 noch einmal sinken. "Die Krise ist noch nicht ausgestanden", sagt Steil. "Noch immer melden jeden Monat über 100 Betriebe Kurzarbeit in Hamburg an. Es sind jetzt vor allem kleinere Firmen." Steil rechnet damit, dass auch der Lohnverzicht in diesem Jahr noch eine größere Rolle spielen wird.
"Sinkende Einkommen können zu einem Problem für die gesamte Wirtschaft werden", sagt Bispinck. Nur mit dem Export lasse sich die Konjunktur nicht wieder in Schwung bringen. Vor allem der Einzelhandel sieht diese Entwicklung mit Sorge. Im Januar gingen die Umsätze bundesweit um drei Prozent zurück. "Nachrichten über sinkende Einkommen belasten die Verbraucher", sagt Ulf Kalkmann vom Hamburger Einzelhandelsverband.
Nur die Rentner müssen nicht mit Einkommensverlusten rechnen. Die Rentengarantie schützt sie vor sinkenden Altersbezügen, auch wenn die Einkommen der Beschäftigten sinken.