Welch ein Erfolg für den Fiskus: Tausende Steuersünder haben sich nach WELT-ONLINE-Informationen in den vergangenen Tagen selbst angezeigt – wohl aus Angst davor, dass ihr Name auf den Daten-CDs von Schweizer Banken gespeichert ist. Das spült nun deutlich mehr Geld in die Kassen, als zunächst angenommen.
Deutschlands Finanzämter erleben einen noch nie dagewesenen Andrang an Selbstanzeigen von Steuersündern. Bis gestern haben sich nach WELT-ONLINE-Informationen 3220 Steuerflüchtlinge bei ihren Finanzämtern selbst angezeigt. „Wenn man die ersten Proben nimmt, dann sind im Durchschnitt 100.000 Euro bis 150.000 Euro pro Selbstanzeige nachbezahlt worden“, sagte der Vorsitzende der Steuergewerkschaft, Dieter Ondracek, dem Bayerischen Rundfunk. Rechnet man die Summe hoch, nähmen die Steuerbehörden deutschlandweit bis zu 483 Mio. Euro zusätzlich ein.
Die Strafen für Steuerflüchtlinge, die sich entweder nicht freiwillig melden und später enttarnt werden oder jene, für die jede Selbstanzeige zu spät kommt, sind in dieser Summe noch gar nicht enthalten. Das sei „ein satter Millionenbetrag, der jetzt schon in der Kasse ist“, sagte Ondracek. Ähnlich sind die Reaktionen bei einigen Finanzministern in den Bundesländern.
Allerdings fällt die Verteilung der Selbstanzeigen je nach Landstrich sehr verschieden aus. In Bayern und Baden-Württemberg mit ihren vielen mittelständischen Unternehmern scheint die Angst vor den Fahndern besonders groß: 644 Steuerflüchtlinge aus Bayern meldeten bislang bei ihren Finanzämtern, dass sie Geld ins Nachbarland transferiert hätten. In Baden-Württemberg, dort wo die Grenze zur Schweiz besonders nah ist, zeigten sich immerhin 566 Menschen selbst an. Allein hier beläuft sich die Summe der nachträglich erklärten Kapitalerträge auf 85 Mio. Euro.
Hoch fällt die Zahl der Selbstanzeigen auch in Nordrhein-Westfalen aus. 572 Steuersünder meldeten sich bislang freiwillig. In Hessen waren es bis Anfang der Woche 330 und in Berlin 213. In Niedersachsen wiederum meldeten sich bislang 328 Steuerflüchtlinge. Dort schätzen die Finanzbehörden die nicht versteuerten Einnahmen auf rund 69,2 Mio. Euro. Überschlagsartig kalkuliert kommt das Land bislang auf zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von knapp 24 Mio. Euro.
In Schleswig-Holstein gab es bis gestern 106 Selbstanzeigen. Laut Finanzministerium dürften daraus acht Mio. Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen fließen. Damit der Druck auf die Steuersünder nicht schwächer wird, warnt Finanzminister Rainer Wiegard: „Wir machen auch Hausbesuche.“ Wenn der Steuerfahnder allerdings erst einmal vor der Wohnungstür stehe, sei es für Selbstanzeigen zu spät. „Wer immer noch glaubt, den Finanzämtern Einnahmen verschweigen zu können, ist auf dem Holzweg. Früher oder später kriegen wir sie alle“, drohte Wiegard.
Deutlich schwerer ist es für seine Kollegen im Osten. Weil viele unversteuerte Einnahmen oft lange vor der Wiedervereinigung in die Schweiz gebracht wurden, ist die Zahl der Steuersünder dort naturgemäß niedriger. Rechnet man alle neuen Bundesländer zusammen, kommt man im Osten mit Ausnahme Berlins auf 59 Selbstanzeigen.
Wenig erfreulich finden diese Entwicklung Schweizer Banker. Jahrelang hatten die Geldhäuser dort von ihrem Bankgeheimnis profitiert. Ganz gezielt gingen Schweizer Kundenberater auf Werbetour – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Weil nun frühere Mitarbeiter der Kreditinstitute Bankdaten deutscher Kunden dem hiesigen Fiskus anbieten, wankt ein Geschäftsmodell, das zum Wohlstand des Landes beigetragen hat.
Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln wehren sich die Eidgenossen gegen den Datenverkauf. Die Bundesanwaltschaft in Bern hat ein Rechtshilfeersuchen an Deutschland gestellt. Damit soll verhindert werden, dass die Deutschen die Daten kaufen. Man werde das Ersuchen „genau prüfen“, versprach Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sollte Deutschland dem Ersuchen nachkommen, wäre das ein Erfolg für die Schweiz. In diesem Fall könnten die Ermittler sogar auf die Spur der Datendiebe kommen.
Eine neue Richtung nimmt die Diskussion um die gestohlenen Daten in Deutschland. Politiker aus Union, FDP und SPD. Die momentane Entwicklung pervertiere den Sinn des Gesetzes, sagte der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach der ARD. Die Selbstanzeigen seien nicht aus Reue, sondern aus Angst vor Entdeckung motiviert. Er sei daher für den Wegfall der Regelung, es sei denn, die Schweiz hebe im Zuge des Abkommens zur Doppelbesteuerung ihr Bankgeheimnis auf. Volker Wissing von der FDP, zugleich Vorsitzender des Finanzausschusses monierte, dass es eine „krasse Gerechtigkeitslücke“ gebe. Weil das auch die SPD-Fraktionsvize Joachim Poß so sieht, könnte sich die gängige Praxis bald ändern.