Bisher bauten vor allem Mittelständler die Anlagen. Jetzt entdecken Weltkonzerne wie Siemens den Markt. Eine Reportage.
An eine Zigarre erinnert ihre Form, ihre Ausmaße aber entsprechen eher denen eines Schiffscontainers. Acht dieser weiß lackierten XXL-Behälter sind in der großen Halle aufgereiht. Monteure in schwarzen Overalls arbeiten darin, bereiten die Verkabelungen vor, setzen Elektronik-Bauteile ein und installieren schließlich die Turbine. Nach jedem Arbeitsgang werden die Maschinengehäuse auf rollenden Plattformen zur nächsten Werkstation gezogen. Am Ende der Fertigungsstraße wiegt ein jedes von ihnen 85 Tonnen - ein Drittel mehr als ein Kampfpanzer "Leopard". Nur die Rotorblätter und die Nabe fehlen noch. Und natürlich der Stahlturm zum Aufstellen.
Im dänischen Brande, 130 Kilometer nördlich von Flensburg, hat der Elektronikkonzern Siemens begonnen, Windkraftwerke mit industriellen Methoden in Großserie zu bauen. Das Unternehmen leitet damit eine neue Ära ein: Eine "Fließfertigung" wie diese in der Endmontage der Windturbinen gab es beim Bau der wuchtigen Energieanlagen bislang nicht. Seit einigen Monaten wird die Produktion neu ausgerichtet. Die Arbeiter, sagt Produktionsleiter Kay Biebler auf der Galerie der Werkshalle, seien dabei eng eingebunden. "Die Rollwagen, auf denen die Maschinen stehen, werden von einem hydraulischen System im Boden bewegt. Die Zugvorrichtung hat einer unserer Mitarbeiter konstruiert. Vorbild war für ihn das System, mit dem er aus dem Stall seines Bauernhofs den Mist herausholt."
Improvisation gehört bei der Industrialisierung der Windkraft-Branche dazu, auch Fehlsteuerungen und Rückschläge bei den Abläufen, räumt Biebler ein. Die Windkraft, einst Domäne von Tüftlern und Bastlern aus dem Mittelstand, wird zum globalen Geschäft. Mit dem Einstieg von Konzernen gewinnt die Branche dramatisch an Größe - und Unternehmen wie Siemens, die den erneuerbaren Energien lange skeptisch gegenüberstanden, werden zu Großhändlern einer ökologischen Energieversorgung. Rund 30 Milliarden Euro Jahresumsatz umfasst der Weltmarkt für die Windkraft-Industrie derzeit. In 20 Jahren sollen es mehr als 200 Milliarden Euro jährlich sein, schätzt Siemens.
Eine durchrationalisierte Produktion ist dafür unerlässlich. Die gewaltigen Projekte für Windparks, die weltweit in den kommenden Jahren entstehen sollen, lassen keine Fertigung in Kleinserien mehr zu. Windkraft-Parks mit Hunderten Anlagen an Land, zunehmend aber auch in unwirtlichen Regionen auf See, müssen mit Maschinen ausgestattet werden, und das möglichst pünktlich innerhalb der Projektzeiten. Vor allem für die Installation von Windturbinen auf See werden aufwendige, extrem teure Systeme eingesetzt.
Weltkonzerne wie Siemens oder US-Konkurrent General Electric werden das Geschäft mit Windkraft in den kommenden Jahren mehr und mehr beherrschen. Im März 2009 erhielt Siemens für den größeren seiner zwei Serientypen, eine Anlage mit 3,4 Megawatt Leistung, einen Auftrag des dänischen Energiekonzerns Dong. 500 Maschinen für insgesamt zwei Milliarden Euro soll Siemens liefern, eine große Zahl davon für den weltgrößten Offshore-Windpark London Array 20 Kilometer vor der Themsemündung. Einen solchen Mega-Auftrag für Offshore-Windparks gab es nie zuvor.
In der neuen Fließfertigung in Brande wird zunächst der kleinere der beiden Siemens-Typen gebaut, eine Windturbine mit 2,3 Megawatt Leistung. Diese reicht aus, um mehr als 2000 Haushalte mit Strom zu versorgen. Eine Digitalanzeige an einer Fabrikwand zeigt, wohin die Reise geht. Die Zahl 31 steht für die geplante Produktion in der laufenden Woche, neun Anlagen wurden bis Dienstagmittag bereits fertiggestellt. Die Wochenproduktion hinkt zu diesem Zeitpunkt dem Plan um mehr als sieben Stunden hinterher, auch das ist der Anzeige zu entnehmen. Außerdem die Information, dass die Arbeiter noch 53 Minuten haben, um ihren Teil der Montage fertigzustellen. Schafft das Team dies nicht, kommen "Springer" zur Verstärkung.
Die Taktzeiten zwischen den einzelnen Stationen sind exakt kalkuliert, auch Videoaufzeichnungen der Abläufe nutzen die Planer zur Analyse. "Bislang stehen die Maschinen an jeder Station noch länger als zwei Stunden, aber zwei Stunden sind das Ziel", sagt Produktionsleiter Biebler. Vor seiner Zeit bei Siemens hat er für Bombardier in Ostdeutschland Eisenbahnwaggons und Straßenbahnen gebaut. Die Erfahrungen von dort will er hier in der neuen Fertigung nutzen. Bei einer Taktzeit von zwei Stunden je Station, sagt der Ingenieur, könne man in der Woche 50 Windkraftanlagen bauen.
Die Zahlenspielerei beschreibt die Aufholjagd von Siemens am Markt für Windturbinen. Erst vor fünf Jahren stieg der Konzern in dieses Geschäft ein. Ähnlich wie andere Großunternehmen verschaffte sich Siemens zu dem Markt dadurch Zugang, dass man einen bereits etablierten Hersteller übernahm: das relativ kleine dänische Unternehmen Bonus, einen Spezialisten für den Bau von Windturbinen, die auf dem Meer eingesetzt werden. Als Hersteller von Bewässerungssystemen war Bonus im Jahr 1980 gegründet worden, einige Jahre später kam die Fertigung von Windturbinen hinzu.
Als Siemens im Jahr 2004 Bonus übernahm, erwirtschafteten in Brande 850 Mitarbeiter rund 270 Millionen Euro Jahresumsatz. Der Einstieg des Konzerns wirkte wie ein Turbo: Der Umsatz wurde innerhalb von fünf Jahren mehr als verzehnfacht, die Zahl der Mitarbeiter stieg auf 5500 weltweit. Allein in Brande arbeiten mittlerweile 3000 Menschen. In der ausgebauten früheren Firmenzentrale von Bonus steuert Siemens nun sein weltweites Geschäft mit der Windkraft.
Die Fabrik in Brande mit ihren mattschwarzen Fassaden hat mit einer großen Manufaktur, wie sie für die Windkraft-Branche nach wie vor typisch ist, nur noch wenig zu tun. Dutzende fertig montierte Maschinenhäuser und Großbauteile warten auf dem Fabrikgelände und auf vorgelagerten Abstellflächen auf die weitere Verarbeitung. Im hinteren Teil der Anlage arbeitet eine Testanordnung für die Rotorblätter der Windturbinen, die aus Fiberglas und dem hoch flexiblen, besonders belastbaren Balsaholz gebaut sind. Drei bis sechs Monate lang werden die rund 60 Meter langen Flügel, die in einen Rahmen gespannt sind, monoton gebogen - je zwei Millionen Mal auf- und abwärts, anschließend seitwärts. Ähnlich wie in einem Sofa-Dauertest bei Ikea, nur ist alles um vieles größer. Hinzu kommt ein längerer Biegetest mit einem Gewicht im Ruhezustand. "Die Rotorblätter sollen auch nach 20 Jahren Einsatzzeit noch einem Hurrikan standhalten können", sagt die Siemens-Mitarbeiterin Bodil Steen-Jørgensen.
Der Einstieg der Großunternehmen verändert die Windkraftbranche rasant. In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von anfangs eigenständigen Windkraftunternehmen von Konzernen geschluckt. Repower Systems in Hamburg gehört nun zur indischen Suzlon-Gruppe, der französische Atomtechnik-Hersteller Areva vergrünte sein Portfolio mit der Übernahme des deutschen Windturbinenherstellers Multibrid, und der wichtigste Siemens-Konkurrent, General Electric, baute sein Windkraft-Geschäft mit der Übernahme des deutschen Herstellers Tacke auf. Der Weltkonzern Siemens schließlich landete mit dem Zukauf von Bonus in der Provinz des dänischen Jütlands.
Die Konzerne verändern die Windkraft-Branche, das Geschäft mit der Öko-Energie prägt aber umgekehrt auch die Großunternehmen. Die Laufbahn von Andreas Nauen illustriert das perfekt. 1991 kam der mittlerweile 45-jährige Ingenieur zu Siemens, nach der Übernahme von Bonus wurde ihm die Führung der neuen Windkraft-Sparte übertragen. Zuvor hatte Nauen für seinen Arbeitgeber unter anderem Kohle- und Erdgaskraftwerke verkauft.
Nun leitet er von seinem vollverglasten Büro direkt über der Empfangshalle aus das globale Windgeschäft des Konzerns - und drängt an die Spitze des Weltmarktes. "Bis zum Jahr 2012 wollen wir zu den drei führenden Windturbinen-Herstellern der Welt gehören, und zwar in einem Markt, der größer sein wird als heute", sagt er entspannt an seinem Konferenztisch. Dafür muss Siemens noch einige Plätze auf der Rangliste vorrücken und Konkurrenten wie Suzlon, Gamesa aus Spanien, Enercon aus Deutschland oder Vestas aus Dänemark überholen. Dann wäre die Bahn frei für die Jagd auf Platz eins, den derzeit General Electric besetzt.
Umweltschutz wurde von Unternehmen fast aller Industriebranchen über Jahrzehnte als Pflicht oder lästiges Übel betrachtet. Doch der Wind hat sich im wahrsten Sinne des Wortes gedreht: Der fortschreitende Klimawandel, Wassermangel vor allem auf der Südhalbkugel, eine wachsende Weltbevölkerung mit steigendem Energie- und Nahrungsverbrauch rücken das Thema Ökologie in den Mittelpunkt von Geschäftsplänen.
Siemens-Konzernchef Peter Löscher vermarktet den Technologie-Riesen mit seinen insgesamt mehr als 400 000 Mitarbeitern als "weltweit die Nummer eins bei den grünen Technologien". Bei Windkraft-Manager Nauen klingt das ähnlich: "Unser gesamtes Produktangebot ist mittlerweile durchzogen mit ,grünen' Produkten, von der Energieeffizienz bis zur Aufbereitung und Reinhaltung von Wasser." Ein Umsatzvolumen von immerhin rund 23 Milliarden Euro rechnet der Konzern mittlerweile den "grünen" Produkten zu - bei einem Gesamtumsatz im vergangenen Jahr von 77 Milliarden Euro.
Siemens hat alle Mittel, um das Geschäft mit der Windkraft voranzutreiben. Nauen und seine Mitarbeiter können auf sämtliche Erfahrungen des Konzerns mit anderen Energie-Technologien zurückgreifen, aber auch auf das riesige Siemens-Angebot bei Elektronik-Komponenten: "Wir werden in unsere Windturbinen sicher auch in Zukunft Komponenten anderer Hersteller einbauen, mehr und mehr wird aber vor allem Siemens-Technologie darin stecken", sagt der Manager.
Neben der Fertigung in Europa will Nauen neue Fabriken in den beiden größten Windkraft-Märkten, in den USA und in China, in Betrieb nehmen, auch eine Fertigung in Indien ist geplant. Das weltweite Vertriebsnetz des Konzerns hilft der Windkraft-Sparte ebenso wie seine finanzielle Kraft. Im Januar gab die britische Regierung bekannt, dass sie für umgerechnet 111 Milliarden Euro Investitionen Windparks mit bis zu 6000 Maschinen vor den Küsten des Landes bauen lassen werde. Es ist das derzeit größte Projekt der Energiewirtschaft weltweit. Die Wind-Müller von Siemens nehmen an dem Projekt in großem Stil teil, unterstützt von der Finanzsparte des Konzerns. Windkraft-Aufträge für sieben Milliarden Euro verbuche das Unternehmen derzeit, sagt Nauen, das seien mehr als zwei Jahresumsätze.
Einen großen weißen Fleck auf der Landkarte muss Nauen allerdings noch beseitigen. Ausgerechnet in Deutschland, dem Heimatmarkt von Siemens, trat der Konzern als Anbieter von Windturbinen zuletzt nicht mehr in Erscheinung. Den deutschen Markt dominiert vor allem Enercon, ein mittelständisches Unternehmen aus Aurich in Ostfriesland, das stolz und unabhängig von Konzernen seine eiförmigen Windturbinen baut. "In Deutschland", sagt Nauen, "haben wir im vergangenen Jahr keine Anlage aufgestellt. Darum müssen wir uns jetzt mal kümmern."