Eine Tariferhöhung von fünf Prozent fordert Ver.di und droht mit Streik. Dabei nutzt die Gewerkschaft die Monopolstellung der öffentlichen Einrichtungen: Ein Streik wäre äußerst schmerzhaft. Doch Ver.di irrt, wenn sie denkt, die Städte und Gemeinden würden sich auf Dauer erpressen lassen.

Sozial ist, was Kaufkraft schafft“, erklärt der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Während die Industriegewerkschaften eine moderate Tarifpolitik praktizieren, glaubt die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, die Krise ignorieren zu können. Ver.di will nicht einmal die für 2010 schon geltende Tariferhöhung von 1,2 Prozent bei den Ländern als Orientierung nehmen. Die geforderten fünf Prozent würden allein in den Kommunen eine Mehrbelastung von 3,6 Milliarden Euro bedeuten. Viele Städte und Gemeinden plagen gegenwärtig aber existenzielle Finanzsorgen, weil die Wirtschaft schwächelt.

Wenn eine Gewerkschaft für die eigenen Interessen Druck macht, ist das nicht schlimm. Das offene Eintreten für Partikularinteressen gehört zu unserer Freiheit, im Spiel der Gegensätze liegt eine soziale Qualität der Marktwirtschaft, allerdings nur, wenn die Interessen ausgleichsfähig sind. Etwas ganz anderes geschieht, wenn sich das Partikularinteresse einer Gruppe zum Gemeininteresse aller erklärt. Der Satz „Sozial ist, was Kaufkraft schafft“ behauptet: Die privaten Einkommen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst und das Allgemeinwohl sind ein und dieselbe Sache.

Demmonstrationen für private Einkommensinteressen

Die Auftritte der Gewerkschaft in diesen Tagen haben eine schiefe Tonlage. Hier wird für die privaten Einkommensinteressen der Beschäftigten demonstriert und zugleich der Eindruck erweckt, damit würde für eine besonders wertvolle Arbeit und für eine besonders soziale Motivation der Beteiligten gestritten. Man hört von der „sozialen Arbeit“, die bei Müllabfuhr, Pflegeheimen oder Nahverkehr geleistet wird. Das beeindruckt zunächst. Aber will man wirklich behaupten, diese Arbeiten seien nützlicher oder moralisch wertvoller als die Arbeit eines Automobilarbeiters, einer Verkäuferin oder einer Rechtsanwältin? Das ist respektloser Unsinn, der Zwietracht in die Gesellschaft sät, auch Zwietracht in die Gewerkschaftsbewegung.

Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das „soziale“ Argument als Machtargument. Ver.di droht mit Streik, und dieser Streik wäre schmerzhaft. Das liegt allerdings nicht an der besonderen Qualität der Arbeit, sondern an einer Monopolstellung: Von öffentlichen Einrichtungen sind viele Menschen abhängig, man kann eine ganze Stadt quälen. Denn ein Arbeitsplatz in der Schule, bei der Müllabfuhr oder der S-Bahn hat immer zwei Seiten. Er umfasst sowohl die konkreten Arbeitstätigkeiten als auch das staatlich gesicherte Versorgungsprivileg in einem Gebiet. Die Ver.di-Macht beruht auf der zweiten Seite. Sie verleiht kleinen Gruppen eine Schlüsselstellung, mit der sie für sich Privatvorteile durchsetzen können – auch wenn die Qualifikation oder Anstrengung der Tätigkeiten sich überhaupt nicht von anderen Berufen unterscheidet.

Ver.dis rücksichtsloser Kurs

Der rücksichtslose Kurs von Ver.di mitten in der Krise zeigt, wie eine Gewerkschaft sich von dieser Monopolstellung verführen lassen kann und blind für die Lage der anderen wird. Dieser Kurs ist auch sehr kurzsichtig. Glaubt Ver.di im Ernst, dass die Bürger in den Städten und Gemeinden auf Dauer so erpressbar sein wollen? Noch zögern die Bürger, natürlich ist ihnen der Frieden lieber. Doch ist der Punkt absehbar, wo die Stimmung umschlägt und dann auf Jahre die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes beschädigt wird. Sie sägt an dem Ast, auf dem sie sitzt. Denn ihr soziales Kapital beruht auf der Kalkulierbarkeit und Bezahlbarkeit öffentlicher Dienstleistungen.

Wenn sich da der Eindruck verfestigt, dieser Bereich sei der Schutzraum für Sonderinteressen, werden die öffentlichen Einrichtungen selber Schaden nehmen. So wird auch die Fähigkeit der Gewerkschaften insgesamt geschwächt, für die Interessen aller Arbeitnehmer einzutreten. Verhältnisse wie in Italien, Frankreich oder Griechenland, wo die „Gewerkschaften beim Staat“ die Vormacht gegenüber den Industriegewerkschaften errungen haben, bringen mehr Nachteile als Vorteile.

In Deutschland ist in diesen Tagen viel von der Not der Städte und Gemeinden die Rede. Es wächst das Bewusstsein, dass etwas für die nachhaltige Stärkung der Kommunen getan werden muss. Will die Gewerkschaft da wirklich mit einem großen Streik zeigen, dass sie die Hand an der Kasse hat? Damit zerstört man jede Reformbereitschaft und beschädigt auch die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie in dieser Sache.

Das offene Eintreten für Partikularinteressen gehört zu unserer Freiheit, allerdings nur, wenn die Interessen ausgleichsfähig sind.

Quelle: Welt Online