Die Volkskrankheit Schlafstörung nimmt in der Wirtschaftskrise deutlich zu. Lehrer, Polizisten und Kraftfahrer sind besonders betroffen.
Berlin. Nächtliches Grübeln oder ständiges Hochschrecken - für vier Millionen Bundesbürger mit schweren Schlafstörungen werden die Nächte regelmäßig zur Qual und die Tage zur Strapaze. 20 Millionen Arbeitnehmer sind von auch schwächeren Formen betroffen. Die Volkskrankheit Schlafstörung greift mit zunehmendem Leistungsdruck und verbreiteten Jobängsten in der Wirtschaftskrise voraussichtlich weiter um sich. Viele fühlen sich alleingelassen - den Ärzten fällt das Leiden oft nicht auf.
„Man sollte dann zum Arzt gehen, wenn ein Schlafproblem länger als vier Wochen dauert und mindestens dreimal die Woche auftaucht“, sagt der Berliner Schlafmediziner Ingo Fietze. Wer sehr oft erst nach einer halben Stunde oder länger einschläft oder nach nächtlichem Aufwachen erst spät wieder in den Schlaf findet, sollte Rat suchen. Viele bleiben mit ihrem Leiden aber allein. Mit 323 Schlaflaboren ist Deutschland zwar hochgerüstet, bereits erkannte Fälle zu diagnostizieren – aber viele Haus- und Fachärzte werden gar nicht auf Schlafstörungen aufmerksam, wie Fietze beklagt.
Dabei macht er Hoffnung: „Man kann sehr gut eine Schlafstörung durchbrechen“, sagt der Mediziner. Medikamente helfen – danach sollten sie abgesetzt werden. Doch je älter die Leute sind, desto länger und öfter nehmen sie Schlafmittel. Bei den über 60-Jährigen greifen 51 Prozent der Betroffenen teils deutlich öfter als an 30 Tagen zur Einschlafhilfe aus dem Labor. „Das ist riskanter Gebrauch“, sagt der Geschäftsführer des IGES-Instituts, Hans-Dieter Nolting. Das Institut erstellte mit dem Gesundheitsreport 2010 der Krankenkasse DAK die wohl erste Studie zum Thema in Deutschland.
Lehrer, Polizisten, Kraftfahrer sind mit am häufigsten von Schlafstörungen geplagt. „Vornehmlich Berufsgruppen, bei denen Stress am Arbeitsplatz der Auslöser ist“, sagt Fietze. Jeder vierte Schlafgestörte leistet Schichtarbeit. Aufgrund der Wirtschaftskrise erwartet der Schlafmediziner eine weitere Ausbreitung des Problems - schließlich kann sowohl Leistungsdruck bei kriselnden Firmen als auch Arbeitslosigkeit den Stress erhöhen. Immer flexiblere Arbeitszeiten, globale Vernetzung und ständige Verfügbarkeit von Information und Kommunikation via Internet rauben den Menschen ihren Schlaf weiter.
Verminderte Leistungsfähigkeit von Schlafgestörten kann auf Kosten ihrer Effizienz gehen und ihrer Sicherheit im Verkehr und an Maschinen. In schlimmen Fällen ziehen Schlafstörungen Folgekrankheiten nach sich – bis hin zu einem früheren Tod, wie eine schon ältere US-Studie zeigte. DAK-Chef Herbert Rebscher mahnt, das Problem besonders angesichts der immer zahlreicheren Älteren ernst zu nehmen: „Je höher das Lebensalter, umso mehr steigt auch das Risiko für Schlafstörungen.“ Schon heute sind nach Angaben des Bremer Gesundheitsforschers Gerd Glaeske rund 400000 Menschen meist im Rentenalter von Schlafmitteln abhängig.