Die hiesigen Hersteller sind unbestrittene Exportweltmeister. Selbst in China stammen viele Bonbons aus deutscher Produktion.

Berlin. Chinesen lernen schnell. Sie bauen Autos und Maschinen, produzieren Elektrotechnik und Mode, fertigen Spielwaren und Möbel. Binnen kurzer Zeit hat die Volksrepublik mit günstigen Produkten den Exportweltmeister Deutschland verdrängt. Eine Branche allerdings macht sich keine Sorgen über die zunehmende Konkurrenz aus China: die Süßwarenindustrie.

In der Welt der Naschereien ist Deutschland dem großen Konkurrenten aus Asien weit voraus. Mit fast einer Million Tonnen exportieren die rund 200 deutschen Hersteller nicht nur mehr als fünfmal so viele Süßwaren wie die Chinesen und sie sind mit weitem Abstand Exportweltmeister. Holland und Belgien als Nummer zwei und drei der Rangliste kommen jeweils nur auf gut die Hälfte der deutschen Exportmengen, Frankreich und Polen auf je rund ein Drittel.

Die nächstplatzierten Großbritannien, Italien und die USA exportieren jeweils sogar nur ein Viertel der deutschen Zuckerzeug-Menge. Eine erstaunliche Statistik, denn kein einziger der ganz Großen der Branche wie Nestlé, Mars, Kraft Foods, Wrigley, Hershey oder Cadbury kommt aus Deutschland.

Die kleineren heimischen Hersteller sind dennoch äußerst selbstbewusst: „Wegen dem besonders heftigen Wettbewerb in Deutschland produzieren die heimischen Hersteller hohe Qualität zu günstigen Preisen“, sagt Hans Strohmaier, der Geschäftsführer des Branchenverbandes Sweets Global Network (SGN). Daher seien die Mittelständler weltweit konkurrenzfähig. So zählen Haribo und Katjes bei Fruchtgummi und Lakritz zu den führenden Marken. Lambertz, Griesson und Bahlsen spielen bei Gebäck vorne mit, Stollwerck, Ritter, Rausch und Halloren bei Schokolade.

Branchenkenner berichten sogar, dass deutsche Anbieter in anderen EU-Ländern teils zu billigeren Preisen verkaufen als die lokale Konkurrenz. „Wer sich in Deutschland durchsetzt, der schafft es auch weltweit“, sagt Karl-Heinz Johnen, Geschäftsführer des Marzipan-Herstellers Zentis, am Rande der weltgrößten Branchenmesse ISM in Köln. 37,5 Prozent der rund 670 Umsatzmillionen macht Zentis jenseits der deutschen Grenze.

Damit bewegen sich die Rheinländer knapp unter dem Durchschnitt der hiesigen Industrie. 2009 stammten rund 41 Prozent des Branchenumsatzes in Höhe von 12,2 Milliarden Euro aus dem Auslandsgeschäft. Und der Exportanteil soll weiter steigen. „50 Prozent sind für uns schon mittelfristig möglich“, schätzt Johnen, dessen Firma derzeit vor allem Osteuropa und Amerika im Fokus hat.

Großes Potenzial sieht der Manager vor allem in Asien. „China und Indien sind vielversprechende Zukunftsmärkte für die Süßwarenbranche“, sagt Johnen. Noch allerdings ist das Ausfuhrniveau dorthin vergleichsweise gering. Alleine drei Viertel der deutschen Süßwaren-Exporte gehen derzeit in die Länder der Europäischen Union. Dahinter folgen Staaten wie Russland, die USA und die Schweiz.

Die Vorlieben der Kunden in den jeweiligen Abnehmerländern sind dabei höchst unterschiedlich. Die Amerikaner zum Beispiel lieben deutsche Schokolade. „Weil die viel zartschmelzender ist als amerikanische Schokolade“, begründet Klaus Reingen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI).

Mit fast 11.000 Tonnen importieren die USA inzwischen knapp 70 Prozent mehr deutsche Schokolade als noch zur Jahrtausendwende. Ebenfalls hoch im Kurs stehen in Übersee Pralinen, Kekse und Waffeln sowie Weichkaramellen – so nennen die Fachleute Konfekt oder weiche Bonbons.

In Asien sind die Vorlieben der Nascher anders. Japan und China etwa importieren aus Deutschland insbesondere Nougat und Marzipan, vor allem aber Bonbons und Zuckerwaren, also beispielsweise Fruchtgummi und Lakritze sowie Kaugummi und Pastillen. Gleiches gilt für den arabischen Raum. Auf den Einkaufszetteln der Scheichs stehen auch vorrangig Zuckerwaren. „Außerdem findet man dort in jedem Hotel Pralinen aus Deutschland“, sagt Klaus Reingen. In Australien, Russland und Südamerika dagegen sind wiederum Schokoladenwaren gefragt. Und zwar in jeglicher Form: Tafeln, Stangen, Riegel, mit Füllung, ohne Füllung.

Der mittelständisch geprägten Branche kommt der Exportboom, der durch die Auslandsexpansion deutscher Handelshäuser wie Metro und Rewe oder Aldi und Lidl beschleunigt wird, entgegen. Schließlich lässt sich jenseits der Grenze deutlich mehr Geld verdienen. „Süßwaren sind nirgends so billig wie in Deutschland“, klagt SGN-Geschäftsführer Strohmaier.

Laut einer Studie der Marktforscher von AC Nielsen im Auftrag des SGN kostet ein Warenkorb mit ausgewählten Süßigkeiten hierzulande 17,68 Euro. Das sind mehr als zwei Euro weniger als im europäischen Durchschnitt und fast sechs Euro weniger als etwa in Spanien. Dabei kommen die Discounter in der Untersuchung gar nicht vor, da sie vor allem ein deutsches Phänomen sind. Eingekauft wurde in Supermärkten, die Mehrwertsteuer ist im Durchschnittspreis inklusive. Bei unterschiedlichen Packungsgrößen wurde entsprechend umgerechnet.

Zwar sollen die Preise für Schokolade, Chips und Kekse in den kommenden Monaten auch in Deutschland steigen. „Aufgrund der gestiegenen Rohstoffkosten gibt es gar keine andere Möglichkeit“, sagt etwa Hermann Bühlbecker, der Geschäftsführer und Inhaber des Aachener Printen- und Gebäckherstellers Lambertz. Kakao, Mandeln, Nüsse, Zucker – alle Rohstoffpreise haben kräftig angezogen.

Die Hersteller klagen, dass inzwischen Banken und Hedgefonds mit Rohstoffen spekulieren, weil Immobilieninvestitionen krisenbedingt an Attraktivität verloren haben. Dennoch dürfte das deutsche Preisniveau im internationalen Vergleich niedrig bleiben. Der Export ist für die heimischen Hersteller daher eine Art Ventil. „Dort lässt sich noch Geld verdienen“, sagt BDSI-Vertreter Reingen. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Industrievertreter von Margen, die im Schnitt um fünf Prozent höher sind als im preisaggressiven deutschen Inlandsmarkt.

Hinzu kommt, dass der deutsche Markt weitgehend gesättigt und Wachstum nur noch über Verdrängung möglich ist. „Der Export ist derzeit der wichtigste Wachstumsmotor der gesamten Lebensmittelbranche“, bestätigt Sabine Eichner Lisboa, die Geschäftsführerin der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Angeführt wird die deutsche Ausfuhrstatistik bei Süßwaren mit weitem Abstand von Schokolade. Dahinter folgen feine Backwaren, Zuckerwaren und Knabberartikel.

Nicht immer trägt das exportierte Produkt dabei einen Markennamen. Der Kölner Anbieter Stollwerck zum Beispiel stellt für sämtliche großen Handelsketten in Europa deren Eigenmarken her. Und auch Bisquiva aus Schneverdingen, die Handelsmarkentochter von Bahlsen, backt reichlich Kekse, die zum Beispiel in Großbritannien mit Tesco-Logo oder in Frankreich als Carrefour-Produkt verkauft werden.

Mittlerweile macht das internationale Geschäft fast die Hälfte des Umsatzes aus. „Handelsketten entscheiden sich oft für Hersteller aus Deutschland“, sagt Ralf van Deest, der Vorsitzende der Geschäftsführung. Seine Begründung: gute Qualität, breite Sortimente und eine hohe Liefertreue durch eine effektive Logistik. „Außerdem machen wir keine Plagiate, sondern eigenständige Produkte mit eigenen Formen, Verpackungen und Rezepturen“, erklärt van Deest.

Damit könne sich der Händler mit seinen Eigenmarken klar vom Markenhersteller abgrenzen. Wer also in chinesischen Supermärkten eine vermeintlich neue Keks-Sorte entdeckt hat, beißt mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Kreation aus Deutschland. „Bis die Chinesen das gut können, dauert es noch lange“, prognostiziert Klaus Reingen. Trotz des Lerneifers.

Quelle: Welt Online