Die Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft warnen vor einer dramatischen Verschuldung einzelner EU-Staaten, vor allem Griechenland. Sie kommen zu dem Schluss, dass Europa gar nicht helfen kann, weil das Regelwerk dafür nicht geeignet sei. Stattdessen solle der ärgste Feind helfen.
Gebetsmühlenartig wiederholt Jürgen Stark seit Wochen immer wieder einen Satz: „Eine Rettung Griechenlands ist ausgeschlossen“, sagt der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB) und verweist auf geltendes europäisches Recht: Dort steht in Artikel 103, der so genannten „No-Bailout-Klausel“, dass kein Staat in der Eurozone für die Verbindlichkeiten eines anderen Landes aufkommen darf. Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) für einen Eurostaat sieht Stark ebenfalls nicht: „Das würde bedeuten, dass Länder außerhalb des Eurogebietes darüber mitbestimmen, welche Politik innerhalb des Eurogebietes gemacht werden muss. Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen“, sagte Stark der „Welt am Sonntag“.
Eine Staatsbankrott-Studie dreier Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), die WELT ONLINE vorliegt, hat analysiert, wie groß die Gefahr eines Staatsbankrotts ist. Auf den über 100 Seiten entwerfen sie auch mögliche Rettungsszenarien für einen zahlungsunfähigen Eurostaat. Das Ergebnis dürfte EU und Zentralbankern nicht gefallen: „Alles in allem erscheint das institutionelle Regelwerk der Europäischen Währungsunion (EWU) für die Vorbeugung von Staatsfinanzkrisen weitgehend hinfällig“, schreiben die Forscher. Es sei fraglich, ob die „EWU-Institutionen die nötige Durchsetzungs- und Sanktionskraft haben, für haushaltspolitische Disziplin zu sorgen“. Aus diesem Grund schlagen die Forscher vor, im Fall der Fälle Hilfe bei einem ungeliebten Freund zu suchen: Dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Vielen Politiker graut es davor, den Fonds in die Eurozone zu lassen. Der IWF hat zwar während der Finanzkrise bereits angeschlagenen EU-Staaten in Osteuropa geholfen, etwa Ungarn oder Lettland.
Ein Eingreifen in der Eurozone halten viele Politiker und Zentralbanker aber für absurd. Denn der IWF stellt als Gegenleistung für seine Hilfe harte Auflagen. Außerdem wäre die Blamage für die Eurozone groß, wenn es ihr nicht gelingen sollte, so einen Fall selbst zu regeln. „Besser, die EU nimmt den Imageschaden hin und lässt ein Eingreifen des IWF zu, als dass sie weiter vor sich hin wurstelt und den Zusammenhalt der Union gefährdet“, hält der IW-Forscher Jürgen Matthes, Hauptautor der Studie, dagegen.
Gegen eine interne Rettungsaktion der EU sprechen laut Matthes eine Vielzahl von Gründen: Fehlende Härte und Sanktionsmöglichkeiten der EU sind die Hauptgründe, darüber hinaus müsste die EU in so einem Fall auch tief in die Souveränitätsrechte eines Staates eingreifen. Gleiches gilt zwar für den IWF, aber bei der EU-Lösung bestehe die Gefahr, dass sich Proteste in Krisenstaaten gegen eine strikte Sparpolitik schnell gegen andere Mitgliedsstaaten richten könnten. Vor allem für Deutschland bestehe die Gefahr, zum Sündenbock gemacht zu werden, weil es immer ein Vorkämpfer für Haushaltsdisziplin gewesen sei. Der Graben zwischen Nord und Süd innerhalb der EWU dürfte sich weiter vertiefen und könnte den gesamten Einigungsprozess gefährden.
„Es ist besser, der IWF legt von außen die Schuldenländer an die Kandare, als dass die Euroländer untereinander streiten und es zu politischen Spannungen kommt“, sagt Matthes. „Der IWF ist es gewohnt, die Rolle des Sündenbocks zu übernehmen.“ Außerdem verfügt er über die nötige Erfahrung. Matthes fordert, ein mögliches Einschreiten des IWF auch formell im europäischen Recht festzulegen. Dies hätte einen feinen Nebeneffekt: „Durch die reine Androhung eines Einschreitens des IWF stärkt man den Stabilitäts- und Wachstumspakt“, sagt Matthes. Die Drohkulisse IWF, dass der IWF über große Teile des Haushalts bestimmen könnte, schaffe Anreize, eine Situation wie die jetzige gar nicht erst zuzulassen.
Einem Europäischen Währungsfonds, den etwa der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, fordert, traut Matthes wiederum nicht die nötige Härte zu. Die EU müsse sich deshalb dringend Gedanken machen, wie sie ihr Regelwerk reformieren will. „Das EU-Regelwerk ist nicht für Schlechtwetterperioden designed“, sagt Studienautor Berthold Busch. Die Wirksamkeit der No-Bail-Out-Klausel sei zweifelhaft. „Recht überhastet“ habe der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück im Februar 2009 signalisiert, Euro-Ländern in der Krise zu helfen, schreiben die Autoren. Außerdem sei im Artikel 122 des EU-Vertrags festgelegt, dass in Notsituationen doch finanzieller Beistand geleistet werden kann. Deshalb glaubt niemand mehr, dass die No-Bail-Out-Klausel noch angewendet wird.
Noch erscheine die Gefahr von Staatsbankrotten in den Eurostaaten gering, schreiben die Autoren in ihrer Studie. Allerdings seien die Risiken selten so hoch gewesen. Und es sei nicht auszuschließen, dass sich die Risikoeinschätzung der Finanzmärkte und die Wirtschaftslage in einzelnen Ländern noch verschärften. Ganz oben auf ihrer Liste der gefährdeten Länder haben die IW-Forscher die üblichen Verdächtigen Griechenland und Irland, dahinter Spanien und Portugal.
Aufgrund der schlechten Wettbewerbsfähigkeit dürfte es den Ländern kaum gelingen, sich über die Außenwirtschaft aus der Krise zu befreien. Dies werde die Rezession verlängern und die öffentliche Verschuldungslage verschlechtern. Hinzu kommt: Als Peripherieland treibt das stark angeschlagene Griechenland viel Handel mit Ländern außerhalb der Eurozone, von denen einige merkliche Abwertung ihrer Währung hinnehmen mussten. Das stärkt zumindest kurzfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit, während es ausgerechnet die der Griechen schwächt.
Matthes verweist darauf, dass die Probleme der Krisenstaaten keineswegs unlösbar seien. Oft werde übersehen, dass schon ein Abbau des Leistungsbilanzdefizites zum Wirtschaftswachstum in den angeschlagenen Ländern beitrage. So habe 2009 der Abbau des Außenbeitrages in Irland 3,8 und in Griechenland 3,1 Prozent zum Wirtschaftswachstum beigetragen.