Es klingt verlockend: Ein Informant bietet Finanzminister Wolfgang Schäuble geheime Daten an, mit denen der Fiskus Hunderte Steuersünder überführen könnte. Doch Schäuble sollte widerstehen. Denn der Preis für den Deal wäre hoch: Der CDU-Minister müsste das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit opfern.

Die Sache scheint zu einer Mode zu werden. Wieder einmal werden Daten von mutmaßlich steuerflüchtigen Mitbürgern aus dunklen Kanälen der deutschen Finanzverwaltung angeboten. Diese hat nach einer Probebohrung bereits verlauten lassen, dass die offenbar bei Schweizer Banken gestohlenen Daten werthaltig sind. Für den Fiskus könnten – so die einstweilige Hochrechnung auf Grundlage von Stichproben – 100 Millionen Euro an Steuernachzahlungen herausspringen. Bei einem Einsatz von 2,5 Millionen Euro, mit diesem Betrag will der Überbringer seine Bemühungen nämlich honoriert sehen. Aber Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zögert noch, sich auf den Deal einzulassen. Und er tut gut daran.

Denn der Deal hat keinen guten Geruch. Und es verwundert schon, wie bedenkenlos in ersten Reaktionen auf die Gelegenheit zur Steuerfahndung zum Schnäppchenpreis reagiert wird.

Aus gutem Grund gilt in jedem x-beliebigen Strafverfahren, ja sogar im Falle eines Bußgeldverfahrens wegen Geschwindigkeitsübertretung: Wenn Beweismittel nicht auf rechtsstaatliche Art und Weise oder einfach nur ohne Rechtsgrundlage beschafft wurden, dürfen sie keine Verwendung finden. Gilt dies im Falle vermuteter Steuerhinterziehung nicht? Diese Frage scheint – wenn überhaupt – nur Spezialisten zu interessieren. Wird ansonsten – zu Recht – jeder Fall von ungesetzlicher Beschaffung oder gar Verwendung von personenbezogenen Daten mit bürgerrechtlicher Empörung von links bis rechts begleitet, zielt der erste – auch publizistische – Reflex bei Steuervergehen oftmals genau in die entgegen gesetzte Richtung. Wen trifft es wohl diesmal? Kennt man ihn oder sie? Wen sehen wir heute Abend vielleicht schon in den Fernsehnachrichten, wie er aus seiner Villa gezerrt und ins peinliche Verhör genommen wird?

Diese weit verbreiteten Regungen haben etwas sehr Hässliches. Ja sie zeugen von einer Art Sklavenmentalität, wie sie ein obstruktives Regiment oftmals bei kujonierten Subjekten erzeugt. Fälle wie der jetzt bekannt gewordene scheinen einem Affekt Bahn zu brechen, mit dem viele die eigene Demütigung kompensieren. Eine Klaviatur, auf der Politiker übrigens nur allzu gerne spielen. Gerade in Zeiten, in denen es Spitz auf Knopf steht, dass dem Fiskus endlich einmal von einer angeblich durch und durch bürgerlichen Regierung die Grenzen seines Wachstums aufgezeigt werden sollen.

Wer von uns kennt nicht die bangen Nächte, in denen vor der Abgabe der Steuererklärung man die gesamte Wohnung nach Quittungen und Belegen durchwühlt, sozusagen zur Hausdurchsuchung in eigener Sache gezwungen wird, für teures Geld nachträglich Auskünfte von der Bank kaufen muss, Stunden um Stunden Bewirtungsquittungen nachträglich ausfüllt, weil wir uns als Steuerbürger längst an diese Beweislastumkehr gewöhnt haben. Der Fiskus langt erst einmal pauschal hin – der Bürger aber muss Taxiquittung für Taxiquittung, seine Habe vor dem Steuerstaat in Sicherheit bringen. Wer dabei nicht auf Biegen und Brechen steuerlich „optimiert“, so dass wenigstens noch ein paar Euro „Rückzahlung“ mehr herauskommen, der werfe den ersten Stein.

Damit soll nicht gesagt sein, dass die Zumutungen dieses weltweit einzigartigen deutschen Steuer- und Abgabenwesens ein Recht auf Widerstand nach Grundgesetz Artikel Art. 20 Abs. 4. begründen. Gesetze sind dazu da, um eingehalten zu werden. Auch Steuergesetze. Und wem die Gesetze nicht passen, der muss eben eine andere Regierung wählen, auch wenn aus aktuellem Anlass wieder einmal zu befürchten steht, dass die auch nichts anders macht.

Aber einen Moment lang innehalten sollten wir schon, bevor das Ressentiment mit uns durchgeht, weil es „denen da oben“ an den Kragen geht, weil sich jemand eben nicht die Mühe gemacht hat, Quittungskonvolute anzuhäufen, sondern eine andere Abkürzung ausgekundschaftet hat.

Mit jedem Zumwinkel, den der Fiskus an den Füßen aufhängt, um ihm das Geld aus den Taschen zu schütteln, sollte sich der ganz normale Steuerbürger ebenso geplündert fühlen. In jedem von uns steckt ein Zumwinkel – im Guten wie im Schlechten.

Quelle: Welt Online