Niall Ferguson schlägt Alarm: Der bekannte Harvard-Historiker warnt eindringlich vor den Folgen einer EU-Finanzkrise, ausgelöst durch das taumelnde Griechenland. Dessen Regierung riskiere mit dem angekündigten Sparkurs einen blutigen Aufstand. Helfen könne nun nur noch Deutschland – mit viel Geld.
Zehn Jahre lang schien der Euro ein Erfolgsmodell zu sein. Zehn Jahre lang sah es so aus, als könne das paneuropäische Geld sich behaupten und sogar dem US-Dollar Konkurrenz machen. Bis zur Griechenland-Krise. Das Finanzchaos in dem Ägäis-Staat scheint all das infrage zu stellen. Der Kursverlauf des Euro zum Dollar erinnert zurzeit an den von Lehman Brothers im Herbst 2008. Zuletzt fiel er auf unter 1,39 Dollar. Doch die Gemeinschaftswährung wird nicht untergehen, sagt Harvard-Historiker Niall Ferguson. Berlin wird die Griechen freikaufen, ob die deutschen Wähler das wollen oder nicht. Die „Welt am Sonntag“ sprach mit Ferguson in Davos über die inneren Widersprüche der Währungsunion.
Welt am Sonntag: Professor Ferguson, im Juni 2009 haben Sie gesagt, wir seien an einem Punkt wie im April 1931. Damals sah es nach einer Erholung aus, doch das dicke Ende kam erst. Sie haben unrecht gehabt.
Niall Ferguson: Ich war einer der Bänkelsänger des Untergangs, das stimmt. Richtig ist aber auch: Im Juni vergangenen Jahres waren wir in der Tat noch nicht weiter als im April 1931. Ich habe den Sommer damit verbracht, mir die Risiken anzusehen, die von Osteuropa für deutsche, österreichische und andere westeuropäische Banken ausgingen. Das schien mir eine sehr gefährliche Situation zu sein. Dass die Banken davonkommen würden, war im Juni noch nicht sicher. Inzwischen lässt sich sagen: Dies ist gewiss nicht die Große Depression 2.0. In diesem Sinne haben die Konjunkturprogramme gewirkt.
Welt am Sonntag: Und in welchem Sinne nicht?
Niall Ferguson: Die Konjunkturprogramme haben eine Reihe von Ländern in Europa sehr anfällig gemacht, der hohen Defizite wegen. Ich habe immer gesagt, dass die Währungsunion fragil ist, weil es keine gemeinsame Finanzpolitik gibt. So haben Länder wie Griechenland, aber auch Portugal, Spanien oder Irland eine Finanzpolitik am Rande des Chaos betrieben. Wenn du erst einmal ein Budgetdefizit in Höhe von 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hast…
Welt am Sonntag: ...wie die griechische Regierung…
Niall Ferguson: ...und die Märkte sich entscheiden, deine Staatsanleihen zu verkaufen und die Zinsen damit in die Höhe zu treiben, bist du auf die Nase gefallen. Dann explodiert dein Schuldendienst und du sagst hirnverbrannte Dinge: Etwa, dass du dein Defizit von 13 auf drei Prozent herunterfahren willst innerhalb von zwei oder drei Jahren, was schlicht unmöglich ist. In den Straßen von Athen würde Blut fließen.
Welt am Sonntag: Wie sollten die stabileren Euro-Staaten damit umgehen?
Niall Ferguson: Die avisierten Ausgabenkürzungen sind nicht realistisch, eine Abwertung ist nicht möglich. Deshalb bleiben nur zwei Alternativen.
Welt am Sonntag: Die da wären?
Niall Ferguson: Es gibt dafür keinen vertraglich vorgesehenen Mechanismus, aber man könnte Griechenland theoretisch aus der Währungsunion werfen. Doch ich glaube, die deutsche politische Klasse ist so sehr auf die europäische Integration fixiert, dass das nicht passiert.
Welt am Sonntag: Sondern was?
Niall Ferguson: Die einzige Alternative ist, dass die Kernstaaten die Länder an der Peripherie subventionieren. In der Geschichte der europäischen Integration war Deutschland durchgängig der Nettozahler. Früher ging es um Landwirtschaftssubventionen, später um Sozialfonds, und nun sieht es so aus, als würden die Zahlungen eine neue Form annehmen. Ich glaube, wenn Deutschland die Errungenschaften des Euro erhalten will, muss es eine Rettungsaktion für Griechenland geben. Das wird wahrscheinlich Rettungsaktionen auch für andere Länder mit sich bringen.
Welt am Sonntag: Auch das ist in den europäischen Verträgen nicht vorgesehen. Immer wurde den Deutschen versprochen: Keine „Bail-outs“, niemals!
Niall Ferguson: Ja, es gibt keinen Konsens, erst recht nicht über große Rettungsaktionen zugunsten eines Landes, dessen Regierung, wie die griechische, korrupt war und Statistiken gefälscht hat. Wenn ich ein deutscher Wähler wäre, würde ich sagen: nie im Leben!
Welt am Sonntag: Weil sich dann niemand mehr zu Haushaltsdisziplin verpflichtet fühlen würde.
Niall Ferguson: Ja, das ist dasselbe Problem wie bei der Rettung von Banken, die zu groß sind, um sie pleitegehen zu lassen. Wenn man die einmal heraushaut, glaubt keiner mehr, dass man das nicht auch ein zweites Mal tun würde. Aber die europäischen Politiker haben nun einmal beim Maastrichter-Vertrag den Kopf in den Sand gesteckt. Sie dachten, wenn sie die Möglichkeit eines Staatsbankrotts ignorieren, dann gibt es ihn auch nicht.
Welt am Sonntag: Und was wird jetzt passieren?
Niall Ferguson: Es wird improvisiert werden müssen. Und ich bin gespannt, ob es rechtzeitig gelingt, einen Plan zu entwickeln.
Welt am Sonntag: Warum muss das schnell gehen?
Niall Ferguson: Fiskalkrisen kommen rasch und verlaufen nicht linear. Du stolperst vor dich hin, la-la-la, und dann plötzlich: Bam – die Märkte entscheiden, du bist Argentinien.