Trotz aller Kritik wird US-Notenbankchef Ben Bernanke wohl wiedergewählt. Der US-Präsident nutzte die Stellung des Ökonomen bislang aus.

Washington. Dass Ben Bernanke nervös war, wurde spätestens im Juli 2009 offensichtlich. Der Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ging auf Wahlkampftour in eigener Sache. Hätte sich der 56-Jährige dabei auf Zeitungsbeiträge im "Wall Street Journal" beschränkt, wäre das auch nicht weiter aufgefallen.

Doch der oberste US-Notenbanker suchte die Nähe zum Volk. In einem Gemeindesaal in Kansas stellte er sich den Fragen der Bürger. Und sagte dort vor laufender Kamera: Er wolle nicht als der Notenbankpräsident in die Geschichte eingehen, der während einer zweiten Großen Depression im Amt war. So weit herab hatte sich noch nie ein Fed-Chef vor ihm begeben.

Schon damals muss Bernanke klar gewesen sein, dass seine Wiederwahl keine ausgemachte Sache war. US-Präsident Barack Obama ließ ihn zappeln und sprach sich erst im Herbst für eine zweite Amtszeit Bernankes aus. Und dann wurde der Notenbank-Chef im Bankenausschuss des Senats von Jim Bunning aus Kentucky auch noch als Inbegriff eines "moralischen Risikos" beschimpft. "Sie verschaffen Ihren Herren an der Wall Street billiges Geld, während normale Geschäftsleute um ihren Kredit kämpfen müssen", so Bunning.

Am 28. Januar 2010 entscheidet der Senat, ob Bernanke weitere vier Jahre als Fed-Chef die Geldpolitik der mächtigsten Notenbank lenken darf. Die Zeit wurde knapp, am Sonntag endet seine Amtszeit. Es ist so gut wie sicher, dass er die erforderlichen 60 Stimmen der 100 Senatoren bekommt, damit über seine Vertragsverlängerung abgestimmt wird.

Schließlich hat der Senat noch nie seit Gründung der Fed 1913 einen Wunschkandidaten des Präsidenten abgelehnt. Zudem ist Bernanke Republikaner, er wurde 2006 von George W. Bush nominiert. Müsste Obama einen neuen Kandidaten benennen, würde er wohl einen Demokraten wählen. Allein deshalb dürfte Bernanke die Stimmen vieler Republikaner sicher haben.

Das Theater um die Wiederwahl war eine herbe Ohrfeige – die Bernanke stellvertretend für die Regierung einstecken muss. Zu Hause in ihren Wahlkreisen bekommen die Senatoren seit Monaten den Unmut zu spüren. Viele Amerikaner fühlen sich benachteiligt: Die Banken erholen sich schneller als erwartet von der Krise, doch die Arbeitslosenquote verharrt im zweistelligen Bereich. "Sollte Bernankes Wiederwahl scheitern, wäre das ein schwerer Schlag für das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit der Fed", sagt US-Ökonom Bernd Weidensteiner von der Commerzbank.

Dabei sind sich die meisten Ökonomen einig, dass Bernanke zum Höhepunkt der Finanzkrise Ende 2008 richtig handelte. Nach Ansicht des US-Chefvolkswirts von Goldman Sachs, Jan Hatzius, verdient die Regierung Beifall für ihr entschiedenes Eingreifen: "Das betrifft die Verantwortlichen im Weißen Haus und dem Finanzministerium ebenso wie die Mitarbeiter der Notenbank Federal Reserve." Auch der sonst kritische US-Ökonom Nouriel Roubini lobte Bernanke für sein Krisenmanagement.

Um die Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren, griff Bernanke in einem nie da gewesenen Ausmaß in den Markt ein. Für fast eine Billion Dollar nahm die Fed Banken wertlose Schrottpapiere ab. Die Zinsen senkte Bernanke auf ein historisches Tief.

Gleichzeitig kaufte die Notenbank erstmals seit ihrem Bestehen länger laufende Staatsanleihen auf. Kritiker verglichen dies mit einer Maschine zum Gelddrucken. Sie lästerten, dass die Fed mittlerweile alles kaufe außer Ketchup. Nach Ansicht der renommierten Geldpolitikexpertin vom National Bureau of Economic Research, Anna Jacobson Schwartz, könne Bernanke nur in zwei Zahlenkategorien denken: "Entweder Null oder gleich Milliarden."

Fakt ist aber, dass sich die größte Volkswirtschaft der Welt auf dem Weg der Besserung befindet. Selbst wenn die Erholung schleppend verläuft, dürften sich die USA vermutlich bereits im Sommer aus der Rezession befreit haben. Und gelingt Bernanke nach seiner voraussichtlichen Wiederwahl das Kunststück, im Laufe seiner zweiten Amtszeit die Zinsen weder zu früh noch zu spät anzuheben, hätte er mit seiner Politik des billigen Geldes entscheidend dazu beigetragen.

Kritik muss er sich an anderer Stelle gefallen lassen. Bernanke soll im Herbst 2008 ungerechtfertigten Druck auf den damaligen Chef der Bank of America, Kenneth Lewis, ausgeübt haben, damit dieser trotz absehbarer Milliardenverluste die angeschlagene Investmentbank Merrill Lynch übernimmt.

Und wieso die Fed damals zusammen mit den anderen Verantwortlichen aus Washington zu dem Schluss kam, Lehman Brothers Pleite gehen zu lassen, nachdem sie ein halbes Jahr vorher die kleinere Bank Bear Stearns vor demselben Schicksal bewahrt hatten, ist vielen Ökonomen bis heute ein Rätsel. Am schwersten lastet jedoch die umstrittene Rettung des Versicherungskonzerns AIG auf ihm.

Dass er dabei nicht allein im Kreuzfeuer steht, mag nur ein schwacher Trost sein. Die Aktion kostete die US-Steuerzahler 180 Milliarden Dollar und brachte Bernanke den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Bailout-Ben" ein. Wie viel der Staat von dem Geld wiedersehen wird, ist unklar. Bis heute versucht ein Untersuchungsausschuss herauszufinden, ob damals alles mit rechten Dingen zugegangen war.

Einen weiteren Vorwurf kann man Bernanke für seine Arbeit machen, bevor er den Chefposten von seinem Vorgänger Alan Greenspan übernahm. Der heute 83-jährige Greenspan leitete fast 20 Jahre lang die Fed. Während er damals als Genie verehrt wurde, gilt er mittlerweile als mitschuldig an dem Ausbruch der Krise.

Denn Greenspan ließ die Zinsen auf einem niedrigen Niveau und übersah dabei, dass sich auf dem Immobilienmarkt eine gefährliche Preisblase aufpumpte. Bernanke hat diese Politik stets unterstützt und die Gefahren ignoriert. Und als er später selbst Chef der Fed war, ist er trotz entsprechender Warnungen nicht gegen Hypothekenbanken vorgegangen, die teils mit betrügerischem Eifer die Krise am amerikanischen Häusermarkt ausgelöst haben.

Präsident Obama hat sich Anfang der Woche jedenfalls noch einmal demonstrativ hinter Bernanke gestellt. Die USA bräuchten einen Notenbankchef, der die Arbeit zur Wiederbelebung der Wirtschaft fortsetzen könne, sagte er in einem Fernsehinterview. "Er hat meine stärkste Unterstützung", so der Präsident. "Ich glaube, er hat gute Arbeit geleistet."

Gestern hat auch der Offenmarktausschuss der Federal Reserve Bernanke demonstrativ den Rücken gestärkt. Das Gremium, das über die Geldpolitik der Vereinigten Staaten entscheidet, sprach sich für ihn aus.

Quelle: Welt Online