Warum Norwegens Frauen den Weltrekord bei Aufsichtsratsplätzen mit 41 Prozent halten, an Konzernspitzen aber immer noch Seltenheitswert haben.

Oslo. Anne-Lise Aukner dirigiert vom 14. Stock eines Osloer Hochhauses 1168 Beschäftigte und empfindet dabei nichts speziell „Weibliches“: „Meine Entscheidungen treffe ich genau wie Männer in dieser Funktion, und so sehen es auch die Mitarbeiter.“ Leicht seufzend, aber geduldig lässt sich die Chefin der norwegischen Tochter des Hightech-Kabel-Herstellers Nexans aus Frankreich auf ein Gespräch darüber ein, warum Norwegens Frauen den Weltrekord bei Aufsichtsratsplätzen mit 41 Prozent halten, an Konzernspitzen aber immer noch Seltenheitswert haben: „Schade eigentlich, dass wir uns immer noch an geschlechtsspezifischen Fragen abarbeiten müssen.“

Systematisch mit solchen Fragestellungen arbeiten Nina Solli und Tone Knutsen von Norwegens Industrieverband NHO, wenn sie Frauen für Spitzenstellungen in Unternehmen und auch in Aufsichtsräten ausbilden. Seit Norwegens Regierung Anfang 2008 als erste der Welt eine Zwangsquote von 40 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten von an der Börse notierten Unternehmen eingeführt hat, ist der Bedarf enorm.

1100 Frauen mit Appetit auf und Talent für Spitzenstellungen haben das NHO-Programm „Female Future“ bisher durchlaufen. Man sei nahe dran, das selbstgesteckte Ziel von 50 Prozent in darauffolgenden Top- Jobs zu erreichen, berichten Solli und Knutsen. Sie sind wie ihr Verband gegen die Zwangsquote und sehen die wirklich grundlegenden Probleme bei der gleich starken Vertretung von Männern und Frauen in Top-Jobs anderswo angesiedelt als in frauenfeindlichen Büros und kungelnden Männer-Clubs: „Zu uns kommen nur Frauen, bei denen die häuslichen Pflichten Fifty-Fifty geteilt werden.“

Etwas ungläubig blicken beide, als sie hören, dass Karrierewünsche deutscher Frauen nach wie vor durch das massive Fehlen von Kindergartenplätzen ein oft endgültiges Ende finden: „Klar, das gibt es bei uns schon lange, und ohne geht nichts.“ So hat Norwegen im Gefolge von Quote, Männern an Wickeltischen, Waschmaschinen und Kochtöpfen sowie dank umfassender staatlicher Kinderbetreuung einen Frauenanteil in Aufsichtsräten von inzwischen 41 Prozent. Im europäischen Durchschnitt sind es nur elf Prozent. Das deckt sich in etwa mit dem Anteil der Frauen in deutschen Aufsichtsräten. Entscheidend dabei ist jedoch, dass der überwiegende Teil in Deutschland infolge der Mitbestimmungsregeln und damit als Arbeitnehmervertreterinnen in den Aufsichtsrat einzieht. In Aufsichtsräten ohne Mitbestimmung beträgt der Frauenanteil nach verschiedenen Studien nicht einmal drei Prozent.

Der Bedarf an weiblichen Aufsichtsräten ist so enorm, dass etliche frühere Managerinnen, Anwältinnen und nicht zuletzt Politikerinnen in den Beruf der professionellen Aufsichtsrätin gewechselt sind. „Die Großhändlerinnen“ nennen sie Solli und Knutsen und mögen dieses Modell eher nicht. Vor allem an der allerersten Stelle in größeren Unternehmen selbst allerdings sind auch die Norwegerinnen mit einem Anteil von 12,4 Prozent der absoluten Top-Positionen schwach vertreten. „Die Männer sind bisher die viel besseren Netzwerker gewesen. Das müssen unsere Frauen dringend lernen“, sagen die NHO-Ausbilderinnen für Spitzenkräfte.

Anne-Lise Aukner sieht die wichtigste Ursache in der Scheu vieler Frauen vor der „Einsamkeit ganz oben“. „Wenn man ganz nach oben will, kommt alles letztlich auf die Verantwortung für Gewinn und Verlust an.“ Damit stehe und falle genau wie der Chef auch die Chefin, und das schrecke nach ihrer Erfahrung extrem viele Frauen ab, die „eher auf Sicherheit setzen“. Das „Netzwerken“ mit Kollegen und Kolleginnen und ähnlicher Position sieht sie dagegen nicht mehr als männliches Privileg: „Die jüngeren Frauen können das sehr gut, und die männliche Netzwerke sind auch für sie nicht verschlossen.“

Heftig diskutiert wird in Norwegen die Frage, ob und wie die Zwangsquote für weibliche Aufsichtsräte den Aufstieg von Frauen auch in andere Spitzenstellungen erleichtert hat. Marit Hoel vom „Center for Corporate Diversity“ (CCD) in Oslo untersucht die Entwicklung seit Jahren und kommt zu verblüffenden Ergebnissen: „In Unternehmen, für die unsere Frauenquote nicht gilt, steigt der Anteil von weiblichen Vorstandskräften stärker als in denen mit der 40-Prozent- Quote im Aufsichtsräten.“

Das könnte passen zu der Antwort von Anne-Lise Aukner auf die Frage, ob sie als Unternehmenschefin bewusst stärker Frauen fördere oder auf Probleme mit Kleinkindern eher Rücksicht nehme als männliche Chefs: „Nein.“ Auf die Frage, warum sie als Vorstandsmitglied in Norwegens Industrieverband NHO denn gegen die Frauenquote sei, lacht sie, wird ein bisschen rot und sagt: „Bin ich das wirklich? Ich finde, sie hat schon geholfen.“ Nina Solli und Anne Knutsen finden die Veränderung einer anderen Zwangsquote wichtiger, damit Frauen besser Karriere machen können: Sie wollen, dass norwegische Väter mindestens ein Drittel des Baby-Urlaubes für frisch gebackene Eltern von insgesamt 44 Wochen nehmen müssen.