Mit zwölf Anlagen wagen sich die Stromerzeuger auf neues Terrain. Erstmals wird auf hoher See in 30 Meter Tiefe Elektrizität für 50 000 Menschen produziert.
Hamburg. Nach jahrelanger Verzögerung beginnt in Deutschland die Nutzung der Windkraft auf See. 45 Kilometer nördlich von Borkum, im sogenannten Offshore-Windpark Alpha Ventus, wurde in der Nacht zu gestern die erste von dort künftig insgesamt zwölf Windturbinen fertiggestellt. Im April musste die Montage wegen schlechten Wetters abgebrochen werden. "Das ist die Premiere für die Nutzung der Offshore-Windenergie in Deutschland", sagte Projektleiter Wilfried Hube vom nordwestdeutschen Versorgungsunternehmen EWE. "Ich bin sicher, dass Alpha Ventus eine Erfolgsstory wird."
Seit Beginn des Jahrzehnts wird in Politik und Wirtschaft intensiv über den Aufbau von Offshore-Windparks in der Ostsee und in der Nordsee diskutiert. 14 Windparkprojekte in der Nordsee und vier in der Ostsee hat das zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg bislang genehmigt. Beantragt wurden insgesamt bislang rund 50 Projekte. Nach heutigem Diskussionsstand sollen im deutschen Seegebiet bis zum Jahr 2020 rund 10 000 Megawatt Leistung installiert werden und insgesamt bis zu 25 000 Megawatt. Alpha Ventus mit seinen im Endausbau zwölf Anlagen zu je fünf Megawatt Leistung soll Strom für rund 50 000 Menschen liefern. Die Offshore-Windanlagen sind durch Seekabel mit dem Landstromnetz verbunden.
Die erneuerbaren Energien decken in Deutschland mittlerweile rund zehn Prozent des gesamten Energiebedarfs ab und gut 15 Prozent des Stromverbrauchs. Etwa 280 000 Menschen arbeiten in der Fertigung von Windkraft- und Solaranlagen, von Biomasse- oder Erdwärmekraftwerken. Die Branche entwickelt sich zu einem wichtigen Wachstumszweig der deutschen Wirtschaft. Weltweit liegt Deutschland bei der installierten Leistung von Windturbinen und Fotovoltaikanlagen vorn, auch im Export von Technologien für erneuerbaren Energien.
Mit der Errichtung des Windparks Alpha Ventus wagt sich die Energiebranche auf ein völlig neues Terrain. Verzögerungen in Genehmigungsverfahren, wirtschaftliche Probleme, vor allem aber technologische Hürden haben den Auftakt der Offshore-Windkraftnutzung immer wieder verzögert. Windparks vor den Küsten gibt es schon lange, etwa in Dänemark, Schweden, den Niederlanden und in Großbritannien. Dort allerdings stehen die Windturbinen in flachem Wasser. Mit Fundamenten in rund 30 Meter Wassertiefe wie auf Alpha Ventus gibt es bislang praktisch keine Erfahrungen. "Wir haben hier Lehrgeld bezahlt, aber das Geld ist gut angelegt", sagte Oliver Funk vom Stromkonzern Vattenfall, der neben E.on und EWE an dem Windpark beteiligt ist. Bei künftigen Projekten werde jedes der beteiligten Unternehmen von den Erfahrungen aus Alpha Ventus profitieren.
Die Windparks auf See ergänzen die Windturbinen an Land, die in Deutschland mittlerweile eine installierte Leistung von 24 000 Megawatt umfassen. Das entspricht der Leistung von 24 Großkraftwerken, ist allerdings nicht direkt vergleichbar, da die Windkraftwerke wegen der schwankenden Windstärken keine konstante Leistung erbringen. Das Schwankungsproblem ist auf See jedoch geringer als an Land. Weit vor den Küsten weht der Wind in der Regel kräftiger und konstanter als im Inland.
Das Hamburger Unternehmen Repower Systems erhielt gestern von einer Vattenfall-Tochtergesellschaft den Auftrag für 30 Anlagen des Typs 5M. Vattenfall will die Turbinen im britischen Windpark Ormonde einsetzen. Das Topmodell des Repower-Programms mit einer Leistung von fünf Megawatt soll auch - mit sechs Exemplaren - im Windpark Alpha Ventus installiert werden. Die ersten sechs Anlagen, darunter die bereits aufgebaute, stammen vom Repower-Konkurrenten, dem französischen Konzern Areva. Beide Unternehmen montieren ihre Großanlagen am Hafen von Bremerhaven.
Erst im Februar hatte Repower den bislang größten Auftrag für die Offshore-Windkraftindustrie an Land gezogen. RWE Innogy, ein Tochterunternehmen des Energiekonzerns RWE, hatte mit Repower einen Rahmenvertrag über 250 Anlagen der Typen 5M und 6M geschlossen. Gesamtvolumen: rund zwei Milliarden Euro.