Viele sind für ihre Forderung nach höheren Milchpreisen auf die Straße gegangen. Doch geholfen hat es nichts. Jetzt blicken sie neidisch zu den Opelanern.

Hamburg/Berlin. Als die Milchbauern vor einem Jahr den Hahn zudrehten und die Molkereien boykottierten, erinnerte ihr Kampf für höhere Abnahmepreise an den von David gegen Goliath. Landauf, landab spielten sich Szenen ab wie damals im niedersächsischen Edewecht: Dort blockierten 30 wütende Landwirte mit ihren Treckern die größte Käserei Europas. Nichts ging mehr. 32 Cent bekamen sie damals für den Liter Milch – zu wenig, um die Höfe zu halten, klagten sie. Wenn sich das Ende ihres bundesweiten Lieferstopps nun am 5. Juni jährt, wird dieser niedrige Erzeugerpreis aus Mitte 2008 noch weiter um ein Drittel geschrumpft sein. Der Kampf scheint für David chancenlos.

Dabei war die Freude nach dem zehntägigen Boykott zunächst groß. Die mächtigen Handelsketten hatten eingelenkt und höhere Preise in Aussicht gestellt. Das Zugeständnis verpuffte schon nach wenigen Tagen, die Discounter-Riesen verkauften Milch und Butter wieder billiger. Ohnehin war fraglich, ob die höheren Verkaufspreise eins zu eins bei den Landwirten angekommen wären. Und selbst wenn: Hätte König Kunde mitgespielt? Der vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter organisierte Boykott zahlte sich nicht aus – sondern war mangels Streikkasse einfach nur teuer.

Doch Bauern pflügen Gesätes nicht gleich wieder unter. Seit einem Jahr protestieren sie. Geändert an der Misere hat das wenig. Es sei nach wie vor schlicht zu viel Milch auf dem Markt, sagt Edda Thiele vom Institut für Agrarpolitik und landwirtschaftliche Marktlehre an der Stuttgarter Universität Hohenheim. Auch die 1984 eingeführte Milchquote – gedacht als Deckel gegen „Milchseen“ und „Butterberge“ - habe Menge und Bedarf nie harmonisiert. „Im Gegenteil haben Regulierung und Preisgarantien die Anpassung an sich ändernde Marktbedingungen stets verzögert, wenn nicht gar verhindert.“ Dies habe den nötigen Strukturwandel zu lange hinausgezögert.

Das zweite Problem ist die Preisbildung: Rund 100000 Milchbauern stehen 100 Molkereien gegenüber, die mit einer Handvoll Einzelhandelsketten über den Angebotspreis verhandeln. Thiele sieht den Schwarzen Peter aber nicht nur bei Molkereien und Discountern. „Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel ist einer der wettbewerbsintensivsten der Welt.“ Davon profitiere auch der Verbraucher. Dass an einem Höfesterben kein Weg vorbeiführt, will Thiele aber so drastisch nicht sagen. „Um den Strukturwandel kommt man nicht herum, man muss nur überlegen, wie die Politik ihn sozialverträglich ausgestalten kann“, sagt sie diplomatisch.

Für den obersten Milchviehhalter Romuald Schaber wäre ein Strukturwandel noch das kleinere Übel. „Was nun bevorsteht, ist ein totaler Strukturbruch“, sagt der Verbandschef. Bis zu 30 Prozent der Höfe sieht er in Gefahr, wenn die Preise die kommenden drei bis vier Monate so niedrig bleiben. Nur jeder fünfte Hof werde das nächste Jahr überleben, wenn die Krise länger anhalte. Erst mit 40 Cent, also etwa dem Doppelten des aktuellen Milchpreises, ließen sich Kosten decken. Auch die Preise im Supermarktregal sind drastisch gesunken.

Dabei standen die Milchviehhalter im Sommer 2008 kurz vorm Ziel: Nach einem Spitzengespräch mit Bund, Ländern und Milchwirtschaft wurden Pläne zur Senkung der Milchmenge festgezurrt. Doch der Bundesrat fegte die Beschlüsse im November vom Tisch. Zwar gab es im Januar neue Hoffnung, als die EU Exporthilfen wieder einführte und durch Butteraufkäufe Preise stabilisieren wollte. Das änderte jedoch laut Schaber nichts an den sinkenden Erzeugerpreisen.

Wenn es nicht höhere Erzeugerpreise gebe, seien alle anderen Hilfen „ein Herumdoktern an Symptomen“, sagt der Milchviehhalter. Die von der Koalition zugesagte Entlastung bei der Agrardieselsteuer und Zinshilfen zögern das Höfesterben nur hinaus. Der kleinere Milchviehhalterverband und der große Bauernverband sind zerstritten über Lösungen. „Zurzeit ist ein gemeinsamer Nenner nicht denkbar“, sagt Schaber.

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner, der Bedenken gegen eine Mengenregulierung hat, sieht alle Bauern bedroht. Bei einer Demonstration im Frankfurter Bankenviertel forderte er einen Schutzschirm auch für Bauern. Neben 25000 Opel-Mitarbeitern und 50000 Karstadt-Beschäftigten seien auch 380000 landwirtschaftliche Betriebe entscheidend, damit nicht das ganze System Schaden nimmt. Das klingt fast nach David gegen Goliath.