Geldversorgung der Banken wird massiv ausgeweitet. Verbraucher spüren nichts von niedrigen Kreditzinsen.

Hamburg

Mit einer erneuten Zinssenkung und dem erstmaligen Ankauf von Anleihen will die Europäische Zentralbank (EZB) in der Rezession die Geldversorgung der Wirtschaft ankurbeln. Der Leitzins, zu dem sich die Banken Liquidität bei der EZB besorgen können, wurde auf das historische Tief von einem Prozent gesenkt. Die Reduzierung um 0,25 Prozentpunke hatten Experten auch erwartet.

Damit sank der Leitzins auf den tiefsten Stand seit Einführung des Euro 1999. Seit Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2008 wurde der Leitzins von 4,25 Prozent auf ein Prozent ermäßigt. Kredite bei den Banken sollen so günstiger werden, um Investitionen und den Konsum anzukurbeln. Nachteil dieser Entwicklung: Sparer bekommen für ihr Geld kaum noch Zinsen.

"Die Untergrenze bei den Zinsen dürfte jetzt erreicht sein", sagt Jörg Hinze vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). "Die Zinsen werden wohl weder in diesem Jahr noch 2010 von der EZB angerührt", prognostiziert auch Michael Schubert von der Commerzbank. "In den Fokus der Währungshüter rücken jetzt andere Maßnahmen, die Geldversorgung weiter zu stimulieren", sagt Experte Hinze. Dazu gehört, dass den Banken die Angst genommen wird, sie könnten sich über einen kurzfristigen Zeitraum hinaus keine Liquidität mehr beschaffen. So wurden die Refinanzierungsgeschäfte mit den Banken von bisher sechs auf zwölf Monate ausgeweitet. Für diesen Zeitraum können sich jetzt die Banken bei der EZB unbegrenzt Kredite besorgen. "Das gibt den Banken bei einem sehr günstigen Zinssatz Planungssicherheit", sagt Jochen Intelmann von der Hamburger Sparkasse.

"Das sind jetzt die neuen Stellhebel der Zentralbanker", sagt Kai Carstensen vom Ifo-Institut. Er sieht es aber nicht als zwingend an, dass der Leitzins bei einem Prozent verharren muss. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hält das aktuelle Zinsniveau für angemessen, betonte aber gleichzeitig: "Wir haben nicht beschlossen, dass dies der niedrigste Stand ist, den wir niemals unterschreiten könnten."

Zusätzlich will die EZB ein Programm zum Aufkauf von besicherten Anleihen (Covered Bonds) auflegen. Es soll ein Volumen von 60 Milliarden Euro haben. "Das ist die eigentliche Überraschung der EZB-Entscheidung", sagt Intelmann. Die Papiere können die Banken dann bei der EZB einreichen und sich mit frischem Geld versorgen. Das kommt den Unternehmen zugute und dürfte deren Refinanzierung weiter erleichtern", erwartet Norbert Braems vom Bankhaus Sal. Oppenheim. Details sollen erst in vier Wochen nach der Sitzung des Zentralbankrates genannt werden. "Die EZB spielt auf Zeit. Sie hofft, dass sich die Anzeichen für eine Erholung der Konjunktur weiter verbessern", sagt Intelmann. Zur Konjunktur hatte sich Trichet nur verhalten geäußert: "Die jüngsten Konjunkturdaten und Umfragen deuten eine Stabilisierung auf sehr niedrigem Niveau an, nachdem das erste Quartal deutlich schwächer als erwartet ausgefallen war."

Anlageexperten rechnen mit einer weiteren Talfahrt der Zinsen für Privatkunden. Viele Banken haben die Zinssenkung bereits vorweggenommen. So reduzierte die Volkswagen Bank den Zinssatz auf dem Tagesgeldkonto um 0,4 Prozentpunkte auf 2,1 Prozent. Die ICICI-Bank reduzierte von drei auf 2,50 Prozent. Die Mercedes-Benz-Bank senkte die Zinsen für Tagesgeld von drei auf 2,40 Prozent. "Die Zinsen für Tagesgeld haben sich seit Oktober von damals durchschnittlich 3,6 Prozent fast halbiert", sagt Max Herbst von der FMH-Finanzberatung. In diesem Zeitraum gab es sieben Zinssenkungen der EZB. Noch drastischer verschlechterten sich die Anlegerkonditionen beim Festgeld. Bei dieser Anlageform sanken die Zinsen von durchschnittlich knapp fünf Prozent auf rund zwei Prozent. Herbst erwartet, "dass sich der Abwärtstrend beim Tages- und Festgeld in den nächsten Monaten fortsetzt".

Im Gegenzug blieben die Kreditzinsen hoch. Für den Dispositionskredit müssen bei vielen Banken noch zwölf Prozent und mehr bezahlt werden. "Die Entscheidungen der EZB zur Geldversorgung sind angemessen", sagt Hinze. "Aber was die Banken daraus machen, muss man abwarten." Der DGB-Chefvolkswirt Dirk Hirschel forderte deshalb: "Die Bundesregierung sollte die Banken, die Staatsgelder erhalten haben, dazu zwingen, den niedrigen Leitzins an Unternehmen und Verbraucher weiterzugeben."