Behörde sieht keine Preisabsprachen bei Mineralölkonzernen: Abgucken beim Konkurrenten ist nicht verboten.

Hamburg. Abendblatt:

Herr Heitzer, warum ist das Kartellamt gegenüber den vier großen Stromkonzernen in Deutschland so machtlos?

Bernhard Heitzer:

Ich würde nicht sagen, dass die Kartellbehörden machtlos sind. Gerade haben wir eine umfangreiche Strompreisuntersuchung für die Bundesrepublik eingeleitet. Zudem stoppt eine wirksame Fusionskontrolle eine weitere Marktkonzentration in diesem Bereich. Aber auch der Kunde ist nicht machtlos: Die Verbraucher sollten von ihren Wechselmöglichkeiten Gebrauch machen und so für mehr Wettbewerb sorgen.



Abendblatt:

Der Wettbewerb funktioniert aber nicht. Der Strompreis ist heute deutlich höher als zu Zeiten der Liberalisierung Ende der 90er-Jahre.

Heitzer:

Richtig ist, dass sich seit dem Jahr 2004 der Strompreis für Endkunden um fünf Cent jährlich erhöht hat. Das ist auch für uns zum Teil nicht nachvollziehbar. Auch deshalb haben wir die derzeitige Sektoruntersuchung gestartet.



Abendblatt:

Was genau werfen Sie den Stromkonzernen vor?

Heitzer:

Es geht zunächst einmal um eine grundsätzliche Untersuchung der Mechanismen auf dem Strommarkt. Dabei gehen wir unter anderem auch dem Vorwurf nach, dass bestimmte Unternehmen auf dem Großhandelsmarkt manipuliert haben.



Abendblatt:

Es gab schon mehrere Versuche, das Verhalten von Vattenfall, E.on, EnBW und RWE an der Leipziger Strombörse kritisch unter die Lupe zu nehmen. Passiert ist nichts.

Heitzer:

Wir lassen uns für diese Untersuchung 20 Millionen Daten von den Konzernen geben. Das sind viertelstündliche Angaben über Produktion, Kosten, Fahrweise und Kapazitäten der Kraftwerke sowie dem Angebotsverhalten der Erzeuger auf den Großhandelsmärkten und damit sehr umfassende Informationen.



Abendblatt:

Und die Konzerne geben die Angaben raus?

Heitzer:

Ja, wenn auch nicht ohne einen entsprechenden Auskunftsbeschluss. Bis zum 6. Mai erwarten wir die Antworten.



Abendblatt:

Und dann sinken die Strompreise?

Heitzer:

Das Ergebnis der Untersuchung ist völlig offen. Zunächst werden wir Monate brauchen, um die Daten auszuwerten.



Abendblatt:

Mal ehrlich: Wäre es nicht am besten, die vier Stromriesen Vattenfall, E.on, RWE und EnBW zu zerschlagen?

Heitzer:

Eine Entflechtung würde ganz ernste verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen. Die Eigentumsgarantie ist schließlich ein hohes Gut in unserem Grundgesetz. Wir müssen aber dennoch versuchen, die verkrusteten Strukturen im Strommarkt aufzubrechen. Das ist beispielsweise durch eine Übertragung von Kapazitäten zur Stromerzeugung an unabhängige Dritte möglich. Teilweise geschieht dies auch als Ergebnis des Verfahrens der EU-Kommission gegen E.on, in dessen Rahmen der Versorger bereit ist, Kapazitäten von 5400 Megawatt abzutreten.



Abendblatt:

Das sollte vermehrt geschehen?

Heitzer:

Dies würde dem Wettbewerb auf diesen Märkten zugute kommen. Erwähnt sei auch, dass das Auslaufen der Betriebserlaubnis für alte Kernkraftwerke grundsätzlich Chancen für eine Entflechtung des Strommarkts bietet. Dadurch werden den großen vier Energiekonzernen zunächst Kapazitäten weggenommen, die dann bei unabhängigen Dritten neu geschaffen werden könnten. Allerdings ist dies eine politische Frage, bei deren Beantwortung auch zu berücksichtigen ist, dass dann zumindest vorübergehend mit erhöhten Preisen zu rechnen wäre.



Abendblatt:

Noch schlimmer als beim Strom sieht es derzeit auf dem Gasmarkt aus. Eine Uni-Studie ergab gerade, dass die Versorger ihre Preise deutlich weniger gesenkt haben, als es ihnen durch die gesunkenen Beschaffungskosten möglich gewesen wäre. Schreiten Sie in diesem Fall ein?

Heitzer:

Wir haben erst im vergangenen Jahr 33 Gasunternehmen dazu veranlasst, ihre Preise zu senken. Das hat für die Jahre 2007 und 2008 für die Verbraucher einen Preisvorteil von 240 Millionen Euro erbracht. Ein gutes Ergebnis, wie ich finde.



Abendblatt:

Ein großes Ärgernis für Autofahrer sind die stets vor Ostern oder den Sommerferien steigenden Benzinpreise. Das riecht doch eindeutig nach Preisabsprachen.

Heitzer:

Auch für die Mineralölbranche haben wir eine Sektoruntersuchung eingeleitet, deren Zwischenergebnisse wir in zwei bis drei Wochen vorlegen werden. Ich kann aber jetzt schon sagen, dass wir keine Anzeichen für illegale Preisabsprachen gefunden haben.



Abendblatt:

Warum? Die Preissprünge vor den Feiertagen sind doch offensichtlich.

Heitzer:

In diesem sehr transparenten Markt ist eine zentrale Preisumstellung einfach durch Abgucken möglich. Abgucken beim Benzinpreis ist aber erlaubt, nur Absprechen nicht. Das ist so ähnlich wie bei den Bäckern. Da werden Sie in Ihrer Straße auch keine unterschiedlichen Brötchenpreise finden.



Abendblatt:

Eher als unterschiedliche Benzinpreise.

Heitzer:

Vielleicht. Sich am Preis eines anderen zu orientieren, ist kartellrechtlich jedenfalls nicht relevant.



Abendblatt:

In der derzeitigen Wirtschaftskrise wird viel nach staatlichen Hilfen und Beteiligungen für Not leidende Firmen gerufen. Das müsste ihnen als Verfechter der freien Marktwirtschaft doch ein Dorn im Auge sein

Heitzer:

Staatliche Beteiligungen sind bei Banken übergangsweise tolerierbar, weil sie eine systemische Bedeutung für die Wirtschaft haben. Aber wenn diese Beteiligungen wieder abgegeben werden, dann muss das unter kartellrechtlicher Kontrolle geschehen. In der gewerblichen Wirtschaft sehe ich überhaupt keinen Grund für Staatsbeteiligungen.



Abendblatt:

Auch nicht bei Opel?

Heitzer:

Es gibt keinen Grund, aus dem sich der Staat bei Opel beteiligen sollte.



Abendblatt:

Es gibt ein Thema, bei dem Sie sich als Kartellamtschef zuletzt viel Kritik gefallen lassen mussten. Stichwort Fußball-Bundesliga.

Heitzer:

Oje.



Abendblatt:

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) wirft Ihnen eine unrechtmäßige Einmischung in die Vermarktung der Bundesliga vor.

Heitzer:

Kritik kam in der Tat von der DFL und den betroffenen Unternehmen, aber ich habe eine Unzahl von Briefen und E-Mails von Fußballfans bekommen, die alle auf meiner Seite waren. In der Sache gilt nach wie vor: DFB, DFL und die beteiligten Unternehmen wollten von uns ein Vermarktungsmodell genehmigt bekommen, das einem Kartell gleichkommt. Und sie wollten für dieses Kartell unabhängig von jeder wettbewerbsrechtlichen Aufsicht die Preise festsetzen. So geht es nicht. Insofern habe ich keinen Anlass, selbstkritisch über die Entscheidung des Kartellamts nachzudenken.