Für deutsche Straßen ist das Fahrzeug noch nicht zugelassen. Allerdings könnte es auf dem Subkontinent den Verkehr revolutionieren.

Neu Delhi/Hamburg. Man fühlte sich an das Konzert eines Popstars erinnert, als am Mittwoch in Neu Delhi das billigste Auto der Welt vorgestellt wurde. Tausende Besucher und mehr als hundert Kamerateams waren dabei, als der indische Konzern Tata Motors seinen neuen "Volkswagen" für den Subkontinent präsentierte. 100 000 Rupien - umgerechnet 1700 Euro - soll der Wagen kosten, der vom Äußeren ein wenig an den Smart erinnert. Schaut man auf die technischen Details, hat er allerdings wenig vom europäischen Konkurrenten: Kleiner Zweizylindermotor, 33 PS, 3,10 Meter lang, nur ein Außenspiegel, ein Scheibenwischer, kein Radio, keine Klimaanlage - und für den eher mäßigen Komfort einen nicht gerade niedrigen Verbrauch von vier bis fünf Liter auf 100 Kilometer.

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Mit Blick auf die Umwelt gibt es denn auch schon kritische Worte zu dem neuen Popstar der Straße. Umweltschützer verweisen auf die bereits hohe CO2-Belastung in Indien. Und "grün" ist der neue Tata nun auch nicht gerade. Der CO2-Ausstoß wird bei 97 Gramm pro Kilometer liegen. Das dürfte die Luftqualität in den smoggeplagten Metropolen Asiens noch weiter verschlechtern. Zudem warnen Experten vor einem Verkehrsinfarkt in den Städten. Denn schon heute sind die Straßen zum Beispiel in der Hauptstadt Neu Delhi hoffnungslos verstopft: Autos, Taxis, Laster, überfüllte Busse - und dazu Fußgänger, Fahrräder, Pferde sowie vereinzelt Elefanten bahnen sich den Weg durch das Gedränge.

Von September an soll es den Nano zu kaufen geben. Er könnte tatsächlich zu einer Revolution auf den indischen Straßen führen. Denn der billigste Wagen auf dem Markt ist bislang der Suzuki Maruti für den doppelten Preis. In Deutschland wird man das Auto zumindest zunächst vergeblich suchen. "Es ist fast unmöglich, zu einem solchen Preis ein Auto anzubieten, dass die europäischen Sicherheitsstandards erfüllt. Und die wiederum sind nötig, um den Wagen auf den deutschen Markt zu bringen", sagte Klaus Dittmar vom TÜV Nord dem Abendblatt. "Selbst bei den niedrigen Löhnen in Indien kann ich mir das nicht vorstellen", so der Ingenieur. Schließlich müsse das Fahrzeug den Front- und Seitencrash bestehen und dürfe auch keine unverhältnismäßig große Verletzungsgefahr bei Unfällen mit Fußgängern darstellen.

"Außerdem wird Tata das Auto hier gar nicht anbieten wollen", ist Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer überzeugt. Der Hersteller habe eine andere Strategie. Wer sich das Auto dennoch kaufen wolle, könne es aber aus Indien einführen und hier versuchen, es durch eine TÜV-Einzelabnahme zu bringen.

Der Vater des Billigautos ist Ratan Tata, Chef des riesigen Tata-Mischkonzerns (17,5 Milliarden Euro Umsatz, 220 000 Beschäftigte), der bald auch die Marken Jaguar und Land Rover übernehmen dürfte. In Indien ist der Tata-Konzern, der 1869 in der britischen Kolonialzeit von Jamsetji Tata gegründet wurde, ein industrieller Koloss mit 96 Tochterfirmen - von der Telekommunkationsanlage bis zum Lastwagen. Die Inder tragen Tata-Uhren, fahren mit Tata-Autobussen und sie machen - sofern sie es sich schon leisten können - Urlaub in Tata-Hotels.

"Ich wollte ein sicheres, erschwingliches, für jedes Wetter geeignetes Auto herstellen, dass alle Sicherheits- und Umweltstandards erfüllt", sagte der 70-jährige Philantrop Tata gestern in Neu Delhi. Er wolle mit dem Gefährt auch mehr Komfort auf die Straßen des Subkontinents bringen, wo oft fünfköpfige Familien auf einem Motorrad unterwegs sind. Während der Autopräsentation lief die Titelmusik aus dem Stanley-Kubrick-Film "2001 - Odyssee im Weltraum". Und Ratan Tata verkündete: Das neue Auto sei ein Ereignis in der Verkehrsgeschichte wie der erste Flug zum Mond.

Doch neben der guten Tat glaubt Tata auch an das gute Geschäft. Bis zu einer Million Einheiten im Jahr meint der Konzern langfristig verkaufen zu können. Das Milliardenvolk ist noch weitgehend unmotorisiert. Nur sieben von 1000 Indern besitzen ein Auto. Und auch in Ländern wie China, Brasilien und Russland könnte das neue Gefährt schnell zum Renner werden. Dennoch sollen vorerst nur 250 000 Stück im Jahr vom Band rollen.

Der Kampfpreis des Autos ist nur möglich, weil Tata auf alles Überflüssige verzichtet. Der herkömmliche Benzinmotor ist wie beim alten VW Käfer im Heck untergebracht. Sicherheit und Komfort nach westlichen Maßstäben sucht man vergebens. Die Konkurrenz will Tata bereits nachahmen. So plant der indische Hersteller Bajaj ebenfalls ein Auto, dass nicht mehr als der Nano kosten soll. Tatas "Volkswagen" ist also nur der Anfang für die Revolution auf Indiens Straßen.