Sie wollen möglichst unerkannt bleiben, probieren Menüs in verschiedenen Restaurants und ihre Bewertungen sind zuweilen gefürchtet. Gastro-Kritiker ermitteln die besten Köche. Doch nicht jeder Meisterkoch legt Wert auf einen Stern.

Hamburg. Sie scheuen das Licht der Öffentlichkeit so wie Spione. Auf Fotos wird man sie nicht finden, auch ihren Einsatzort halten sie geheim. Sie speisen in den besten Restaurants des Landes und sind in den teuersten Hotels zu Hause. Ihre Autos kommen ohne Raketenwerfer und Defibrillator aus, aber schon ihr Kennzeichen, das mit KA beginnt, für Karlsruhe - dem Verlagssitz des Michelin-Führers - lässt Eingeweihte zusammenfahren.

Allerdings müssen sie bei ihren Einsätzen kaum um ihr Leben fürchten, sondern höchstens, dass sie irgendwann zu dick werden. "Ich habe im ersten Jahr fünf Kilo zugenommen, aber dann zum Glück mein Gewicht gehalten" erzählt Juliane Caspar (36) aus ihrem Arbeitsalltag einer Restaurantkritikerin. Die Chefredakteurin des Michelin-Führers reist genau wie ihre fest angestellten "Inspekteure" von Restaurant zu Restaurant, von Hotel zu Hotel, um die besten Tipps fürs Essen und Übernachten in Deutschland liefern zu können.

Die Michelin-Tester kommen alle aus Hotellerie oder Gastronomie und müssen zweimal am Tag mindestens drei, vier Gänge in einem Restaurant testen - mittags und abends. Dazu werden pro Tag noch acht Hotels begutachtet. Am Ende entscheiden die Kritiker dann über die "Oscars für die Köche": über die Frage, welche Restaurants sich im nächsten Führer mit einem oder maximal drei der begehrten Sterne schmücken dürfen. Auch von Chefredakteurin Caspar existiert kein Foto für die Öffentlichkeit, zumindest keines, auf dem ihr Gesicht zu erkennen ist. Der Michelin legt Wert auf sein Image, die Gastronomie seriös und unbestechlich zu testen. Als einmal das Ostend Queen in Belgien bewertet wurde, noch bevor das Restaurant eröffnete, stampfte der Verlag die gesamte, bereits gedruckte Auflage von 50000 Führern wieder ein.

Die Schlemmer-Führer haben sich zu Gourmet-Bibeln entwickelt

Doch solche Fehler sind sehr selten, denn mit ihrer jahrelangen Erfahrung und den bestens ausgebildeten Testern haben sich Schlemmer-Führer wie Michelin, der Gault-Millau, aber auch der Feinschmecker-Guide, der Varta-Führer und der Aral Schlemmer-Atlas zu Bibeln für Gourmets entwickelt. "Ursprünglich war es unser Ziel, Autofahrer zur Nutzung ihres Wagens zu bewegen: Sie sollten ein weiter entferntes Restaurant ansteuern und damit ihre Reifen abnutzen", erklärt Caspar die Hintergedanken der Brüder Michelin. Die Gründer des französischen Reifen-Herstellers begannen sich um 1900 plötzlich brennend für Restaurants zu interessieren . Heute bescheren die Gourmet-Führer Autozulieferern wie Michelin oder Varta kleine zusätzliche Umsätze, aber für viele Gastronomen können sie maßgeblich über deren wirtschaftlichen Erfolg entscheiden.

"Wenn Sie ein Restaurant haben, das außerhalb der Ballungszentren liegt, und Ihnen die Gourmettouristen wegbleiben, kann das schon einmal einen Umsatzrückgang von 30 Prozent bedeuten", sagt Heinz O. Wehmann (51). Der renommierte Koch ist Mitinhaber des Hamburger Landhaus Scherrer, dem einzigen Restaurant der Hansestadt, das die Michelin-Tester seit knapp 30 Jahren mit einem Stern und zwischenzeitlich auch fünf Jahre lang mit zwei Sternen bedacht haben. Wehmann selber ist überzeugt, dass gerade in einer Metropole wie Hamburg ein Restaurant aber nicht daran scheitern muss, wenn ihm ein Stern verloren geht.

Allerdings multipliziere sich die Wirkung solcher Bewertungen. Etwa dadurch, dass die Hitlisten auch in anderen Medien abgedruckt werden. Und auch auf die Attraktivität eines Restaurants als Arbeitgeber wirkten sich die Kritiken aus: So haben Sterneköche häufiger Zugriff auf besser ausgebildetes Personal, das zuweilen aber auch mehr kostet. Die finanziellen Belastungen für eine Spitzengastronomie haben dazu geführt, dass in Deutschland viele Gourmet-Restaurants nur auf Basis einer Mischkalkulation überleben können. Sie sind Teil eines Luxushotels oder werden von Mäzenen unterstützt. "Denn allein ein gut ausgestatteter Weinkeller kommt schnell auf einen Wert von 250000 Euro", sagt Wehmann und schätzt, dass von den 50 besten Restaurants in Deutschland sich nur zehn Prozent selber tragen.

Aktuelles Beispiel ist das Restaurant La Vie in Osnabrück, das sich bisher mit einem und neuerdings sogar mit zwei Michelin-Sternen schmücken darf. Der Gourmettempel liegt in einer der schönsten historisch geprägten Straßen der Stadt des Westfälischen Friedens. Das Restaurant wird vom Stahlunternehmer Jürgen Großmann unterstützt. Der holte den bereits hoch gelobten Küchenchef Thomas Bühner mit kompletter Koch- und Servicemannschaft vom Restaurant des Spielcasinos auf der Hohensyburg bei Dortmund nach Niedersachsen. Der in Hamburg lebende Großmann, der die ehemals marode Georgsmarienhütte wieder fit machte, nutzt sein Restaurant in der Provinz gerne für Einladungen an Größen aus Wirtschaft und Politik. DaimlerChrysler-Chef Dieter Zetsche, Bahnboss Hartmut Mehdorn oder Kanzlerin Angela Merkel haben beim "Salon" im La Vie schon ein paar Worte zum Amuse- Gueule gesprochen.

In der Küche ist eine perfekte Aufmerksamkeit notwendig

"Wir haben ein besseres Programm als der Überseeclub in Hamburg", sagte Unternehmer Großmann über seine Gäste kürzlich im "Handelsblatt". Die Eintrittsgebühr von 150 Euro für die Promi-Veranstaltungen hilft dabei, seine Hobbykasse aufzufüllen.

Dabei bringt eine weitgehende finanzielle Unabhängigkeit für viele Köche erst die Chance, sich um Verbesserungen feinster Details kümmern zu können - die Basis für eine exzellente Küche. "Ich erkläre meinen Köchen meine Vorstellung von Qualitätsbewusstein häufig mit der Geschichte eines Mannes, der nur noch im Augenwinkel sieht, dass ihm ein Taschentuch aus der Manteltasche gefallen ist: Wenn er sich dann umdreht, sich bückt und das quasi wertlose Stück Papier aufhebt, ist das auch eine Form von perfekter Aufmerksamkeit, wie sie in der Küche notwendig ist. Denn wenn Ihnen bei einem Gericht ein Fehler passiert ist, können Sie ihn häufig nicht mehr korrigieren", erklärt der Hamburger Wehmann den Anspruch der Sterneküche.

Manche Gastronomen sehen die Tests auch kritisch

Sternekoch Christian Rach vom Hamburger Tafelhaus, der derzeit in der RTL-Serie "Rach, der Restauranttester" glücklose Gastronomen wieder zu Lieblingen der Gäste mutieren lässt, sieht die Tests allerdings auch kritisch: "Die Häuser müssen sich ihre eigene Identität bewahren." Sein Restaurant an der Elbmeile in Nachbarschaft von modernen Szenebars wie Au Quai oder Indochine sei eben modern eingerichtet, "und der Varta-Führer ist bei der Bewertung unserer Ausstattung immer sehr knauserig", sagt Rach. "Aber deswegen legen wir uns noch lange keinen Teppichboden hin". Bestes Beispiel für einen Hamburger Gastronomen ohne besondere Ambitionen auf Sterne, dafür mit herausragendem Erfolg, ist Tim Mälzer: Der Lifestyle- Koch, der seit 2003 beim Sender Vox mit "Schmeckt nicht, gibts nicht" zu sehen ist, ist mit seinem Weißen Haus in Övelgönne schon überaus erfolgreich gewesen, als er noch nicht zum Medienstar aufgestiegen war.

Andere haben ihre Sterne sogar schon zurückgeben wollen, wie Matthias Dahlinger von der Freiburger "Eichhalde", der der Preisspirale der Sterne-Gastronomie entkommen wollte. Auch Ursula und Reinhold Ketterer vom "Engel" im Schwarzwald kritisierten, dass ihr Stern die Hemmschwelle für die Besucher in einer für ihre Sparsamkeit bekannten Region erhöhe. Der Verzicht auf den Himmelskörper kommt in den Statuten des Michelin allerdings nicht vor: "Wir bewerten für unsere Leser, nicht für die Köche", sagt Kritikerin Caspar. "Kommen

wir zu dem Ergebnis, dass ein Restaurant einen Stern verdient, drucken wir diese Bewertung auch so ab." Auch dann, wenn der Koch noch so oft verbreitet, ihm sei der Stern schnuppe.