Mecklenburg: Im früheren Sperrgebiet haben sich viele Unternehmen angesiedelt. Sie schaffen Arbeitsplätze, aber sie wecken auch Neidgefühle.
Zarrentin. Daß es Oliver Schindler (39) einmal nach Boizenburg verschlagen würde, hätte er sich wohl kaum träumen lassen. Doch als der Erbe der Karlsruher Ragolds-Dynastie (Rachengold) vor einigen Jahren mit einer eigenen Bonbonfabrikation starten wollte, verfiel er schnell auf das mecklenburgische Städtchen. "Die Förderhöhe war für die Ansiedlung entscheidend. Jeder Cent ist schließlich Geld, das ich nicht bei der Bank aufnehmen muß", sagt der studierte Betriebswirt sehr deutlich. Konkret: Etwa 40 Prozent der 8,3-Millionen-Euro-Investition kamen aus staatlichen Töpfen.
Dazu, so Schindler, addieren sich die günstige Verkehrsanbindung und die niedrigeren Lohnkosten. Vor einem Jahr startete er seine Weichkaramellen-Produktion unter dem Namen ToffeeTec. Die Zahl der Mitarbeiter ist inzwischen auf 37 gestiegen. Jeden Tag laufen 2,5 Millionen Bonbons vom Band. "Das erste Jahr haben wir mit einem leichten Gewinn abgeschlossen", sagt der Unternehmer aus dem Badischen. Und hat schon ein neues Investment in Angriff genommen. Wenige Meter weiter baut er noch eine weitere Bonbon-Fabrik. Das Investitionsvolumen ist mit 25 Millionen Euro dreimal so hoch. 110 Arbeitsplätze sollen dort entstehen.
Schindlers Fabriken stehen für den Aufschwung im westlichen Mecklenburg - direkt hinter der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Was bis vor 15 Jahren noch entvölkertes Sperrgebiet war, entwickelt sich beständig zu einer ernstzunehmenden Wirtschaftsregion (siehe Grafik). "Für mecklenburgische Verhältnisse boomt es", sagt der Hauptgeschäftsführer der Schweriner Industrie- und Handelskammer, Klaus-Michael Rothe. Dennoch habe Mecklenburg-Vorpommern im Bundesvergleich 21 000 Unternehmen zu wenig. "Daran ändern auch die vollen Gewerbegebiete in Westmecklenburg nichts." Nach wie vor fehle im Nordosten die wirtschaftliche Substanz.
Dennoch weckt der Blick von der Autobahn 24 auf den ständig wachsenden Mega-Park bei Zarrentin Neid - gerade auch aus dem benachbarten Schleswig-Holstein. Ein großes Schild weist daraufhin, daß die Lebensmittelkette Edeka auf dem Gelände der ehemaligen Grenzstation zwischen den Dörfern Gallin und Valluhn ein neues Fleischwerk baut (280 Arbeitsplätze/40 Millionen Euro Investitionsvolumen). Die bisherigen Standorte in Pinneberg und Neumünster werden geschlossen. Auch der geplante Umzug von Großbäcker Kamps in ein Gewerbegebiet in Lüdersdorf in Nordwestmecklenburg direkt an der A 20 sorgte für beträchtlichen Unmut, genau wie vor einigen Jahren die Verlagerung der Kühne-Essig-Produktion von Hamburg nach Hagenow. Inzwischen wurden in Schleswig-Holstein Forderungen laut, Subventionen nur noch für neu entstehende Arbeitsplätze nicht aber bei Verlagerungen zu gewähren. Auch Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) verlangte eine neue Debatte um die Verteilung von Fördermitteln.
"Wenn ein Investor sich für einen Standort entscheidet, sind Subventionen nur einer von vielen Gründen", hält Wolf-Helmut Sieg (48), Chef der Wirtschaftsfördergesellschaft im Landkreis Ludwigslust, den Ost-Förderkritikern entgegen. Nach einer Untersuchung der Kieler Universität stehen die Subventionen sogar erst an 16. Stelle - von 20 möglichen Ansiedlungsgründen. "Vorhandene Flächen und die Geschwindigkeit, mit der die notwendigen Baugenehmigungen erteilt werden, sind heute ein sehr wichtiges Vermarktungskriterium", sagt Wirtschaftsförderer Sieg.
In Hagenow, einem ehemaligen Ackerbauerstädtchen acht Kilometer von der A 24 entfernt, gibt es beides. "Wir haben auf einem ehemaligen Militärgelände gerade ein neues Gewerbegebiet erschlossen", sagt Bürgermeisterin Gisela Schwarz (57, SPD). "Wenn ein Investor kommt, kann er alle Genehmigungen innerhalb von acht Wochen haben." Die Wirtschaftsleistung des 12 600-Einwohner-Städtchens ist nach der Wiedervereinigung deutlich gestiegen. Es gibt ein Kartoffelveredlungswerk, Danone produziert Fruchtzwerge, Kühne macht Essig und Global Notes Haftzettel. Die holsteinische Partnerstadt Mölln haben die Hagenower inzwischen überholt. "Die gucken schon ein bißchen neidisch", sagt Bürgermeisterin Schwarz. Sie könne das verstehen, aber "schließlich haben wir viel mehr unter der deutschen Teilung gelitten".
Ein Argument, das vor allem in Lübeck keine Zustimmung findet. Dort tobt ein heftiger Streit um ein neues Gewerbegebiet im nahen Lüdersdorf, das nach Meinung der Lübecker Politiker quer durch alle Parteien zu groß ist und deshalb Unternehmen, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen aus der Hansestadt abzieht. Nicht zuletzt angesichts der neuen Arbeitslosenzahlen von 20,8 Prozent fordern sie eine spezielle Lübeck-Förderung. Martin Broziat (42) von der Wirtschaftsfördergesellschaft im angrenzenden Nordwestmecklenburg versteht die Aufregung überhaupt nicht. "Bislang sind gerade einmal 14 Unternehmen von Schleswig-Holstein nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen", sagt er. Und: "Es ist doch besser, die Investitionen bleiben hier in Deutschland, als wenn sie ins Ausland fließen."
Dabei spielt für viele Unternehmen die Verkehrsanbindung eine wichtige Rolle. Westmecklenburg hat mit der A 24 (Hamburg-Berlin), der A 20 (Lübeck- Stettin), der im Bau befindlichen A 241 (Wismar-Schwerin) und der geplanten A 14 (Schwerin-Magdeburg) einiges zu bieten. Schon vor vier Jahren hat Dietmar Repka (50) sich den Mega-Park direkt an der A 24 als Standort für seinen Fischverarbeitungsbetrieb MarlinSeafood ausgesucht. "Die Nähe zu Hamburg war für mich entscheidend", sagt er. Den Fisch bekommt der Mecklenburger heute aus aller Welt, aber viele Kunden sitzen in Hamburg. Inzwischen beschäftigt Repka 40 Angestellte, die im vergangenen Jahr 800 Tonnen Fisch verarbeitet haben. "Die Standortwahl war richtig", sagt er. "Ich würde es immer wieder so machen."