Knausern ist in: Die Sparsamkeit der Bundesbürger gefährdet den Aufschwung. Und sie verändert die Gesellschaft.

Hamburg. Sympathisch sieht er nun wirklich nicht aus. Der Mann mit dem Cowboyhut auf dem Kopf, der Kaffeetasse in der Hand und dem fiesen, breiten Grinsen im Gesicht. Er, der fast täglich über die Mattscheibe in Millionen deutsche Wohnzimmer flimmert. Viel J. R. Ewing steckt in ihm. Amerikaner. Knallharter Kapitalist. Aber wer nimmt es ihm übel? Schließlich hat er nur eines im Sinn. Er will die Preise senken - in Deutschlands wohl bekanntestem Elektronikkaufhaus Media-Markt. So lautet zumindest die Werbebotschaft. Und die Kunden reiben sich die Hände, grinsen breit zurück. Denn billig ist zurzeit gut in diesem Land. Weil billiger aber besser ist, tritt am Ende der Werbespots stets die Mutter des Cowboys auf. Weil ihr die Preise des Filius' noch viel zu hoch sind. Und deshalb verlangt die "Mutter aller Schnäppchen" vom Sohn weitere Rabatte.

Der Cowboy und seine Mum treffen den Nerv der Bundesbürger. It's Schnäppchen-Time in good old dear Germany. Kaum ein Kunde, der nicht nach Sonderangeboten sucht, um Prozente feilscht und sich trotzdem über viel zu hohe Preise aufregt - natürlich wegen der Euro-Einführung. Obwohl die Inflationsraten doch eigentlich so niedrig sind wie selten zuvor. Egal. Das Gefühl siegt über den Verstand.

Spätestens mit dem Werbespot "Geiz ist geil" des Elektronikkaufhauses Saturn, begann die Welle der Knauserigkeit über das Land zu schwappen. Deutschland befand sich im konjunkturellen Tief und hat dieses seitdem nicht verlassen. Viele Menschen sind verunsichert, fürchten um ihren Arbeitsplatz, legen deshalb Geld auf die hohe Kante.

Das Besondere an der Situation: Auch diejenigen, die von der Wirtschaftsflaute persönlich gar nicht betroffen sind, sich um Job und Einkommen keinesfalls sorgen müssten, nähen ihre Portemonnaies zu. Die Folge: Die Sparquote steigt und steigt. Exakt 10,6 Prozent ihres verfügbaren Einkommens tragen die Deutschen derzeit zur Bank. Rund 3,7 Billionen Euro Geldvermögen haben sie mittlerweile gehortet. Diese Summe, so hat es "Die Zeit" ausgerechnet, entspricht dem Umsatz des kompletten DaimlerChrysler-Konzerns in einem Vierteljahrhundert.

Konsumforscher nennen dieses Phänomen Angstsparen. Psychiater sprechen in extremen unbegründeten Einzelfällen vom so genannten Verarmungswahn. "Diese Menschen geben kaum noch Geld aus, weil sie felsenfest glauben, dass sie pleite sind - obwohl das gar nicht stimmt", sagt Professor Dieter Naber, Chef der Psychiatrie in der Universitätsklinik Eppendorf. "Dann wird der Betroffene depressiv, seine Angst zu verarmen nimmt wahnhafte Züge an. "

Krankhafter Geiz - bisher findet man diese Persönlichkeitsstörung in Statistiken unter ferner liefen. Das Problem: Der Hilfsbedürftige geht nicht zum Arzt, weil er sich selbst gesund fühlt. Stattdessen leiden Verwandte und Bekannte. Aber ihnen dürfte es in einer Zeit, in der Geiz als geil gilt, schwer fallen, den Bruder oder Freund zum Psychiater zu schicken.

In früheren Zeiten wurde Geiz noch gesellschaftlich geächtet. Ob Molière, de Sade, Balzac, Knigge oder Kant - sie alle geißelten die Knauserigkeit ihrer Mitbürger. Entweder als fanatischen Sparwahn, soziale Zumutung oder zumindest als komische Marotte. Doch mittlerweile ist Geiz gesellschaftsfähig. Mehr noch. Man kann sogar mit ihm angeben. Er ist zur Tugend geworden. Wer sich im Morgengrauen vor die noch verschlossene Tür des Discounters stellt, um den laut Werbung billigsten und besten Fernseher der Welt zu ergattern oder vom preiswertesten Urlaub aller Zeiten schwärmt, kann damit Freunde und Kollegen beeindrucken. Statt Kopfschütteln erntet der moderne Geizhals heutzutage Schulterklopfen. Dabei sind die Grenzen zwischen ausgeprägter Sparsamkeit, Schnäppchenjagd als Hobby und krankhaftem Geiz schwer zu ziehen.

Der Wirtschaft ist die genaue Definition gleich. Sie hat darunter zu leiden, dass die Deutschen in einer ökonomisch ohnehin schwierigen Zeit, in welcher der Konjunkturmotor dringend Schmierstoff in Form kräftiger Konsumausgaben bräuchte, Onkel Dagobert als ihr neues Idol entdeckt haben. Vor allem der Einzelhandel bekommt die negativen Folgen zu spüren. Nach einem mehr als katastrophalen Jahr 2002 mit Einbußen auf niedrigem Umsatzniveau, ist für Kaufhäuser und Boutiquen im laufenden Jahr kaum Besserung in Sicht. Vor allem das wichtige Weihnachtsgeschäft droht mehr als bescheiden auszufallen. Bisher wurden die Erwartungen jedenfalls nicht erfüllt.

Zum Teil sind die Einzelhändler selbst schuld an dieser Entwicklung. Denn in ruinösen Rabattschlachten kämpfen sie um die Gunst der knauserigen Konsumenten. "Die Unternehmen sägen sich den Ast ab, auf dem sie sitzen", warnt der Präsident des bundesweiten Handelsverbandes BAG, Walter Deuss. Er glaubt nicht, dass man über ständige Sonderangebote, die Konsumlust der Kunden wecken kann. Im Gegenteil. "So wird der Instinkt der Schnäppchenjäger eher noch angefacht", befürchtet Deuss. Und Karstadt-Chef Wolfgang Urban wird in seiner Wortwahl sogar noch drastischer, spricht vom "kollektiven Selbstmord" der Einzelhändler.

Weihnachten - das Fest der Geizkragen? Fast sieht es danach aus. Laut Umfrage will bereits jeder Zehnte am 24. Dezember ganz auf Geschenke verzichten. 2002 waren es erst sechs Prozent. Für exklusive, teure Präsente können sich dagegen immer weniger begeistern. Stattdessen legen viele Eltern dem Nachwuchs Spielzeug von Aldi oder Lidl unter den Tannenbaum. Und Mutti bekommt das billige Nachthemd aus der Penny-Filiale um die Ecke.

Meistens glauben die Schnäppchenjäger für sich oder die Liebsten nicht nur etwas Preiswertes, sondern darüber hinaus auch etwas besonders Gutes zu kaufen. Doch hier ist Vorsicht geboten. Nach einer Untersuchung der Stiftung Warentest erweist sich jede vierte Aktionsware vom Discounter schlicht als Fehlkauf. Das vernichtende Urteil der Verbraucherschützer: "Schlangestehen lohnt sich meist nicht." Einige Artikel weisen sogar erhebliche Mängel auf. So kauften die Tester unter anderem Matratzen, die Krebs erregendes Trichlormethan ausdünsten und Gartenhäcksler mit extremen Sicherheitsmängeln. In solchen Fällen ist Geiz dann nicht mehr geil, sondern nur noch gefährlich.