150 Arbeitsplätze stehen vor dem Aus. Die Beschäftigten haben Existenzangst, der Bürgermeister ist erbost - das Unternehmen schweigt. Zu Besuch an der Ostsee.

Eckernförde. "Da blutet einem das Herz, wenn man sieht, dass so eine Firma ohne ersichtlichen Grund kaputt gemacht wird", sagt Fritz Jahn, Betriebsratschef des Waffenherstellers Sauer & Sohn in Eckernförde. 150 von 450 Mitarbeitern werden bei dem Traditionsbetrieb in der schleswig-holsteinischen Provinz ihren Job verlieren, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Die Unternehmensleitung will die Produktion von Jagdwaffen ins Allgäu verlegen. Vor zwei Jahren hatte die Firma mit Michael Lüke und Thomas Ortmeier aus Emsdetten zwei neue Eigentümer bekommen, die gleichzeitig den Wettbewerber Blaser im württembergischen Isny übernommen hatten. Ausgerechnet dort wollen die Investoren nun die Produktion konzentrieren, schimpft Jahn.

Für die Beschäftigten in Eckernförde ein Schock. "Wir fühlen uns verkauft, verschoben und verraten", sagt Jan Krabbenhöft mit Bitterkeit in der Stimme. Die Jagdwaffen seien doch das "Herz der Firma", so der Sauer-Mitarbeiter. Dass nur die Pistolenproduktion und die Herstellung von Läufen für Kurz- und Langwaffen in Eckernförde bleiben sollen, empfinden viele hier schon als den Anfang vom Ende.

Krabbenhöft (39) programmiert und steuert die Maschinen in dem Zweckbau der Fabrik am Rande des Städtchens am Ostseestrand seit 20 Jahren und hat hier schon seine Ausbildung gemacht. Ein sicherer Job, glaubte er wie etliche seiner Kollegen, und kaufte vor einem Jahr einen Resthof. Jetzt will er gar nicht daran denken, wie er den Kredit für das Haus abbezahlen soll, wenn es bei Sauer für ihn nichts mehr zu tun gibt. Seine Frau ist Arzthelferin, kann aber noch nicht wieder mitverdienen. Tochter Eva ist erst zweieinhalb.

Die Sorge von Krabbenhöft um sein finanzielles Auskommen ist die private Tragödie der Sauer-Mitarbeiter. Die Furcht etlicher Familien in einer Region, in der das Waffenwerk der größte private Arbeitgeber ist, bald mit Hartz IV auskommen zu müssen. Zu der Existenzangst kommt bei vielen der Beschäftigten aber auch noch die Wut über die neuen Eigentümer. "Es ist ein Bauchgefühl", sagt Betriebsrat Jahn im Gespräch mit dem Abendblatt über vermeintliche Versäumnisse des Managements zwar immer. Aber die Verdachtsmomente häufen sich, dass der Standort Eckernförde durch Missmanagement ausgeblutet wurde und vielleicht sogar noch mehr Stellen wegfallen. "Der Abbau könnte erst der Anfang eines längeren Prozesses sein", deutet auch Bürgermeister Jörg Sibbel an.

Bis 2008 war die Produktion in Eckernförde noch ausgelastet. Hier wurden Waffen für das FBI, für Zollbehörden und die Polizei gefertigt. Allein 300 000 Pistolen hatte die französische Polizei bei den Schleswig-Holsteinern bestellt. Ein Riesenauftrag, der mehrere Jahre Arbeit brachte. Ein imageträchtiger dazu, denn die Ansprüche der Polizei beim Thema Waffen gelten als sehr hoch. Umso verwunderlicher war es, dass die Firma jüngst bei einem Auftrag der norddeutschen Bundesländer für Polizeiwaffen leer ausging. "Früher haben wir jede Ausschreibung gewonnen, hier hat aber Zeit gefehlt für die Entwicklung und es gab Qualitätsmängel", sagt Sauer-Mitarbeiter Michael Hollmetz. Ob der häufige Wechsel des von den neuen Eigentümern eingesetzten Managements mitverantwortlich war für solche Probleme, beantwortet man in Eckernförde mit einer Gegenfrage: "Warum konnte das Unternehmen mit dem Auftrag aus Frankreich bis zuletzt seine Wettbewerbsfähigkeit beweisen und scheiterte dann so plötzlich?", fragt Bürgermeister Sibbel. Außerdem sei es "bemerkenswert", dass Lizenzen und Patente der Firma Sauer jetzt auf den Konkurrenten Blaser im Allgäu überschrieben wurden, drückt Sibbel eine weitere Sorge der Eckernförder aus.

Das Unternehmen selbst möchte sich derzeit "nicht äußern", hieß es aus der Firmenleitung. Schließlich stehe man in Verhandlung und müsse "die Mitarbeiter schützen", sagte eine Sprecherin dem Abendblatt.

Allerdings sind Geschäftsführung und Betriebsrat bei ihren Forderungen noch meilenweit auseinander. Das Unternehmen möchte die Arbeitszeit auf 40 Stunden ausweiten. "Und damit wahrscheinlich noch mehr als die 150 Arbeitsplätze" verzichtbar machen, befürchtet Jahn, der selber für eine Verkürzung von derzeit 35 auf nur noch 30 Stunden plädiert. Bis neue Produkte serientauglich sind, könnte Sauer mit einer derart verkürzten Arbeitszeit eine Durststrecke überwinden - und weitgehend auf Entlassungen verzichten. Die Mitarbeiter sind bereit, auf Gehalt zu verzichten, haben sie bereits zu verstehen gegeben. Heute Abend wollen sie noch einmal abstimmen, wie weit sie bei den Einbußen gehen würden.

Aber nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Politiker des Landes wollen den Standort nicht kampflos aufgeben. Am Freitag trifft sich Sibbel mit Vertretern der regionalen Politik und will auch den Ministerpräsidenten Peter-Harry Carstensen informieren. Schließlich galt Sauer stets als gewinnträchtiges Unternehmen und damit der Gemeinde mit 23 000 Einwohnern als zuverlässige Steuerquelle.

Die Gemeinde schmerzt aber auch der Verfall seines einstigen Vorzeigeunternehmens, immerhin ist Eckernförde seit Jahrzehnten das Herz einer Waffenfabrik, deren Produkte auf der ganzen Welt bekannt sind. "Eine Sauer ist der Mercedes unter den Jagdwaffen", sagt Sibbel und holt eine Chronik der ältesten deutschen Waffenfabrik aus dem Schrank.

Ein reich bebilderter Band zeigt wahre Kunstwerke, reich verzierte Gewehre und Pistolen, die Sauer seit 1751, damals noch als Königliche Gewehrfabrik Spangenberg und Sauer, in alle Welt lieferte. Bis heute gehören arabische Scheichs, die schon mal Jagdwaffen für 80 000 Euro das Stück bestellen, oder prominente Sportler zu den Kunden. "Letztens haben wir eine Waffe für den Boxer Nikolai Walujew gefertigt", sagte Sauer-Mitarbeiter Alfred Schneider, und auch in seiner Stimme schwingt der Stolz auf die Leistung seines Arbeitgebers mit: "Er hat sie selber bei uns in Eckernförde abgeholt."