An Land schrieb die Windkraft-Industrie in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren eine Erfolgsgeschichte. Doch mit den geplanten “Offshore“-Windparks auf See läuft es noch längst nicht wie erhofft.

Husum/Büsum. "Hier, genau hier" - Peter Harry Carstensen hackt mit dem Finger auf den Tisch wie ein Specht in den Baum - "hier steht die Wiege der Windkraft in Deutschland." Könnte sein, dass das nicht stimmt. Wohl eher war der "Growian" der Urvater der deutschen Windturbinen, jenes Großgerät, das man 1983 in Brunsbüttel an der Elbe eingeweiht hatte. Dort und nicht am Hafen von Husum, wo Schleswig-Holsteins Ministerpräsident gerade den Konferenztisch malträtiert, machte die Windkraft-Industrie ihre ersten Erfahrungen. Schlechte allerdings: Nach nur ein paar Hundert Betriebsstunden musste die "Großwindanlage", die technisch längst nicht ausgereift war, damals wieder abgebaut werden.

Mag sein, dass Carstensens Erinnerung hier etwas unscharf ist, den Titel "Welthauptstadt der Windkraft" trägt die nordfriesische Kleinstadt aber dennoch zu Recht: Seit Jahren schon ist Husum Gastgeber der weltweit größten Branchenmesse, zudem ein wichtiges Produktionszentrum für Windturbinen.

Peter Harry Carstensen, geboren auf der Nordseeinsel Nordstrand, hat viel dazu beigetragen, die Nutzung der Windkraft in Schleswig-Holstein voranzutreiben und damit auch die Branche in Deutschland insgesamt groß zu machen. Als Bundestagsabgeordneter der CDU war er in den 80er- und 90er-Jahren daran beteiligt, dass die wirtschaftlich angeschlagene Husumer Schiffswerft mit dem Bau von Windturbinen begann. Die Werft ist längst pleite, der alte Standort aber lebt wirtschaftlich fort, er war eine der Keimzellen des heutigen Windkraft-Unternehmens Repower Systems, dessen Zentrale in Hamburg sitzt. Dessen wichtigster Konkurrent, Weltmarktführer Vestas aus Dänemark, steuert von Husum aus sein Geschäft in Zentraleuropa. "Damals hatten wir von der Nutzung der erneuerbaren Energien noch völlig falsche Vorstellungen", sagt Carstensen, der zu einem Informationsbesuch zu Repower nach Husum gekommen ist. "Wir dachten seinerzeit auch nicht an den Klimawandel, sondern daran, wie wir zusätzlich Geld verdienen könnten. Und was meinen Sie, wer damals ganz fest an den Erfolg dieser Branche geglaubt hat? Da sage ich Ihnen in aller Bescheidenheit: ich."

Ganz ohne friesische Einsilbigkeit freut sich Carstensen darüber, was Schleswig-Holstein mit der Windkraft erreicht hat. Allein aus Windturbinen erzeugte das nördlichste Bundesland 2006 - den letzten aktuellen Zahlen zufolge - mehr als 50 Prozent seines gesamten Stroms. Damit liegt Schleswig-Holstein vor Brandenburg und Bremen, vor allem aber meilenweit vor dem Bundesdurchschnitt von 6,5 Prozent Strom aus Windkraft. Bis zum Jahr 2020 will Carstensen im "Land zwischen den zwei Meeren" mehr Strom aus Windkraft erzeugen, als insgesamt verbraucht wird - und damit dauerhaft zum Strom-Exporteur werden. "Schleswig-Holstein soll in Deutschland das Musterland für die Windenergie sein und bleiben", beschließt der Landesvater, bevor er zum nächsten Termin in seine Limousine steigt.

Niemand hätte den Boom der erneuerbaren Energien vor 20, auch nicht vor zehn Jahren für möglich gehalten. Gestützt von gesetzlichen "Einspeisevergütungen" für Ökostrom, ist in Deutschland ein ganz neuer Industriezweig entstanden. Allein die installierte Leistung der Windturbinen hierzulande entspricht der von etwa 20 großen Kohle- oder Atomkraftwerken. Wären da bloß nicht die ewigen Schwankungen des Windes, die mal mehr und mal weniger Strom in die Leitungsnetze drücken - der entscheidende Nachteil der klimaschonenden Technologie.

Um dieses Manko zumindest zum Teil auszugleichen, und um die "Windernte" noch einmal deutlich zu steigern, blicken Politik und Windkraft-Branche seit vielen Jahren in Richtung Horizont. "Offshore"-Windparks weit draußen auf dem Meer sollen neuen, kräftigen Schub in das Geschäft bringen, sollen dazu beitragen, dass den erneuerbaren Energien insgesamt endlich der Durchbruch bei der Energieversorgung des Landes gelingt. Die Leistung von umgerechnet weiteren zehn Großkraftwerken soll bis zum Jahr 2020 vor den Küsten von Nord- und Ostsee errichtet werden. Doch so einfach lässt sich die Erfolgsgeschichte nicht wiederholen, die die Windkraft an Land geschrieben hat.

Werner Marnette ist voll in seinem Element: Ungeduld. Der Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, früher Chef der Norddeutschen Affinerie in Hamburg, sitzt mit Publikum in einem Vortragssaal des Forschungszentrums "Westküste" der Universität Kiel bei Büsum. Gerade knöpft er sich Wolfgang Paulsen vor, den Geschäftsführer des "Bürgerwindparks Butendiek", der 34 Kilometer westlich von Sylt in die Nordsee gebaut werden soll. 20 Meter tief ist dort das Wasser. "Wie hoch werden die Erzeugungskosten für den Strom auf Butendiek sein?", will Marnette wissen. "Vielleicht 13 oder 14 Cent je Kilowattstunde. Wir haben ja bisher keine praktischen Erfahrungen", antwortet Paulsen. "Wie hoch sind Vollkosten bei einem Kohlekraftwerk?", schnappt Marnette in Richtung seines Ministerialdirigenten. "3,5 Cent bei Braunkohle", antwortet der. "Das muss man sehen, meine Damen und Herren, das muss man sehen", sagt Marnette zum Publikum. "Das ist ein ganz, ganz langer Weg da hinaus aufs Meer."

Längst sollten sich die Rotoren riesiger Windturbinen vor den deutschen Küsten drehen, noch dreht sich kein einziger. Schon vor Jahren habe man den Bau von insgesamt 80 Windturbinen auf Butendiek beginnen wollen, sagt Paulsen. Mittlerweile plane man mit dem Start für 2011. "Wir hätten nicht mit so großen Anlagen planen sollen, sondern es so machen müssen wie die Dänen: mit kleinen Anlagen beginnen, und dann größer werden."

Die größten Windturbinen der Welt, die größten Wassertiefen für Offshore-Anlagen überhaupt - mit deutscher Gründlichkeit gehen die deutschen Planer seit Jahren zu Werke und laufen dabei ins Leere. Die enorme Beanspruchung des Materials im Meerwind und im Dunst des salzigen Seewassers ist ebenfalls längst nicht gelöst, und auch nicht der Anschluss der Turbinen an das Landnetz. Nur ein einziger Offshore-Windpark, "Alpha Ventus" nördlich der Insel Borkum, ist bislang im Bau.

Ein Fan der Windkraft war Werner Marnette nie. Als Minister in Schleswig-Holstein muss er es sein, wenigstens ein bisschen. Aber der Besuch in Büsum bestätigt ihn in alten Gewissheiten: "Kohle, Kernkraft und Wind sind die drei wesentlichen Säulen für die Energieversorgung in Deutschland", sagt er vor der Rückfahrt nach Kiel. "Als Werner Marnette sage ich Ihnen: "Ich bekenne mich zur Kernkraft."