Familienfirmen in Hamburg. Was sind ihre Stärken? Wer steckt dahinter? Heute: das Teehandelshaus Hälssen & Lyon von 1879.

Hamburg. Probierstündchen beim traditionsreichen Teehandelshaus Hälssen & Lyon in der Speicherstadt. 25 Sorten Tee stehen zur Verkostung bereit. Doch der Anblick der Teeblätter dürfte so manchen Laien stutzig machen. Die mattweißen unförmigen Gebilde im grünen Tee aus Japan sind tatsächlich Popcorn. Bei dem chinesischen Tee haben fleißige Hände die Teeblätter einzeln zusammengenäht und kleine Rosen erschaffen. Daneben liegen gedrehte Pyramiden und gerollte Kügelchen, alles kleine Kunstwerke aus Teeblättern. Der ebenfalls chinesische "silver needle tea" (Silberne-Nadeln-Tee) wird aus durchsichtigen Kannen eingeschenkt, denn beim Übergießen sinken die Teeblätter erst auf den Boden, harren dort etwas aus und tanzen wenige Sekunden später einzeln wieder nach oben. Ist das Genuss, Expertenwissen oder einfach völlig durchgedreht? "Die Asiaten haben einfach eine besondere Fantasie und Liebe zum Tee", sagt Dietmar Scheffler (43) über den extravaganten Teil seines Sortiments - darunter Tees, für die chinesische Liebhaber und Snobs schnell mal 1000 Dollar pro Kilo bezahlen. Und auch in Deutschland wird die Anhängerschaft solcher Spezialitäten immer größer, sagt der Chef von Hälssen & Lyon. Allerdings machen diese exquisiten Tees nur einen kleinen Teil seines Angebots aus. Nicht umsonst heißt der Leitspruch der Hamburger Firma "Die Welt des Tees unter einem Dach". Ein enormer Anspruch, schließlich produzieren immerhin 30 Länder mehrere Tausend Sorten Tee, und einige Hundert Aromastoffe setzen darüberhinaus geschmackliche Trends. Aber übertrieben ist das Motto nicht. Das Hamburger Teehandelshaus besitzt in Allermöhe das weltweit größte Lager für Teespezialitäten. Hier lagern nicht nur bis zu 10 000 Tonnen Tee, sondern auch Zutaten für Früchtetees aus 122 Ländern, wie Hibiscus aus dem Sudan oder Ginseng aus China, die in Allermöhe mit dem Tee vermischt werden. Hälssen & Lyon bezieht seine Ware entweder direkt von den Gärten oder über Broker, die den Tee bei Auktionen in den großen Städten der Teeanbauländer wie Kalkutta, Colombo oder Mombasa ersteigern. Weil die Teegärten ständig Abnehmer suchen, schicken sie der Firma in der Speicherstadt täglich per Flugzeug mehrere Hundert Muster. Von der Vielfalt profitieren die Kunden der Hamburger, Teeboutiquen weltweit und Unternehmen wie Lipton oder Twinings. Der Export in Länder wie die USA, Frankreich oder Italien macht bei Hälssen & Lyon mittlerweile rund 70 Prozent des Umsatzes aus. Das Unternehmen hatte viel Zeit, um diese Beziehungen aufzubauen und zu einem der führenden europäischen Teehandelshäuser zu wachsen. Schon am 1. Januar 1879 war das Haus von Gustav Vincent Hälssen und Alfred Moritz Lyon ins Handelsregister eingetragen worden. Neun Monate später starb Hälssen in London durch einen Droschkenunfall. 1895 stieg J.C.F. Ellerbrock ins Geschäft ein und wurde 1907 Teilhaber. Schon früh gründete sich der Erfolg der Hamburger auf ihren Erfindungsreichtum: 1935 wagten sie als Erste Versuche mit der Entkoffeinierung von Tee (und Kaffee), 1960 begannen sie mit der Produktion von voll löslichen Instanttees. Noch heute gehört die Firma zu je 50 Prozent den Nachfahren von J.C.F. Ellerbrock. In dritter Generation sind heute Olaf C. Ellerbrock (72) und Horst-Jürgen (70) zu je 50 Prozent am Geschäft beteiligt. Den beiden Brüdern haben die Teetrinker den aromatisierten Tee zu verdanken. Sie erfanden in den 60ern neue Geschmacksrichtungen für Tee, nachdem die Verbraucher zuvor - wenn überhaupt - nur den mit Bergamottöl behandelten Earl Grey sowie Jasmin- und Rosentee aus China kannten. Olaf C. Ellerbrock ist zudem seit 1974 Generalkonsul der Republik Sri Lanka, des ehemaligen Ceylons - wohl kein Zufall, denn schon 1961 hatte Hälssen & Lyon in Colombo die CeyTea Ltd. gegründet und stellte dort als erstes Unternehmen der Welt Instanttees aus frisch gepflückten Teeblättern her. Seitdem sich die Inhaber vor vier Jahren aus dem operativen Geschehen zurückgezogen haben, ist Dietmar Scheffler, studierter Betriebswirt, für die Geschicke des Familienunternehmens verantwortlich.