Vor den am Wochenende anstehenden Neuwahlen schaffen immer mehr Griechen aus Angst vor einem politischen und ökonomischen Chaos Geld ins Ausland.
Frankfurt/Main. Seit Wochen verlassen auf diese Weise viele Milliarden Euro das Land – Grund genug für Politiker in Athen und im übrigen Europa hinter vorgehaltener Hand über etwas nachzudenken, was seit Jahren der Vergangenheit anzugehören schien, zumindest in Europa: Kapitalverkehrskontrollen. Nachfolgend Fragen und Antworten zu dem Thema:
Was versteht man unter Kapitalverkehrskontrollen?
Die Kontrolle von Kapitalströmen kann grundsätzlich in zwei Richtungen erfolgen: einerseits können grenzüberschreitende Geldgeschäfte kontrolliert werden, die zu einem Ausbluten des Finanzsystems führen, wie es derzeit in Griechenland droht. Auf der anderen Seite kann sich ein Staat durch die Kontrolle der einfließenden Kapitalströme auch vor einem Zuviel an Geld und einer unerwünschten Aufwertung der eigenen Währung schützen. In beiden Fällen gibt es viele verschiedene Varianten: so können etwa grenzüberschreitende Geldgeschäfte begrenzt, hoch besteuert oder im Extremfall ganz verboten werden. Auch die Verfügbarkeit der Bürger über die auf ihren Konten vorhandenen Summen per Abhebung oder elektronischer Überweisung kann eingeschränkt werden. Hinzu kommen echte physische Grenz- und Zollkontrollen, um zu verhindern, das Bargeld in großem Stil in Koffern oder auf andere Weise das Land verlässt.
Sind Kapitalverkehrskontrollen erlaubt?
Kapitalverkehrskontrollen sind in der Europäischen Union eigentlich grundsätzlich verboten. Das ist in Artikel 63 des Gesetzes zum Gemeinsamen Binnenmarkt so geregelt. Allerdings wissen nicht nur Juristen, dass es keine Norm ohne Ausnahme gibt. Die steht in diesem Fall in Artikel 66: Demnach kann in außergewöhnlichen Situationen, „bei ernsten Schwierigkeiten in der Wirtschafts- und Geldpolitik“, eine Ausnahme gemacht werden. Das Verfahren ist kompliziert, denn neben den Finanzministern müssen auch die Europäische Zentralbank (EZB) und zudem die EU-Kommission zustimmen. Vorgesehen ist, dass die Kontrollen für maximal sechs Monate eingeführt werden können.
Welche Länder könnten Kapitalverkehrskontrollen einführen?
Sinnvoll könnte eine Kontrolle der Kapitalströme vor allem für GRIECHENLAND sein. Sollte bei den Neuwahlen das Lager der Euroskeptiker und extremen Parteien weiter zulegen, steuert das Land auf eine Staatspleite zu. Damit nicht aus Angst vor einem Ausscheiden aus dem Euro mit unabsehbaren Folgen alles Geld von den Griechen außer Landes geschafft wird und das Bankensystem kollabiert, könnte eine neue Regierung in Athen mit Kontrollen des Kapitalverkehrs gegenhalten. Allerdings zeigen viele historische Beispiele, dass Banker und Bürger sehr erfinderisch sind, wenn es darum geht, Geld aus dem Land zu schaffen, wenn die Kapitalflucht erst einmal in großem Stil begonnen hat.
Das umgekehrte Problem wie Griechenland hat die SCHWEIZ: sie gilt als sicherer Anlagehafen und gerade deshalb droht ihr im Falle weiter zunehmender Schwierigkeiten in Griechenland und der Euro-Zone einen wahre Kapitalflut. Das einströmende Geld, etwa von Konten vermögender Griechen, Spanier und Italiener würde den Franken wohl binnen kurzem massiv aufwerten lassen – für die Schweiz und ihre Exporteure ein Desaster. Notenbankchef Thomas Jordan hat deshalb bereits laut über die Möglichkeit von Kapitalverkehrskontrollen nachgedacht. Denkbar wäre etwa, dass die Schweizer Banken dazu verdonnert werden, Einlagen negativ zu verzinsen. Dieser Strafzins würde es für Ausländer unattraktiv machen, Geld in die Alpenrepublik zu überweisen. Denkbar ist auch, dass die Behörden Vermögen von Ausländern besteuern und Anlagen etwa in Immobilien genehmigungspflichtig machen.
Welche historischen Beispiel gibt es?
Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die westlichen Regierungen und Notenbanken sind eigentlich im Grundsatz gegen jede Form von Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs rund um den Globus. Und tatsächlich gehörten Kapitalverkehrskontrollen in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Industrieländern der Vergangenheit an und waren ums finanzielle Überleben kämpfenden Entwicklungs- und Schwellenländern vorbehalten. Eine Renaissance erleben sie so gut wie immer im Zusammenhang mit Schuldenkrisen. So etwa 1998 in Russland, während der Asienkrise in Korea oder in Argentinien 2000/01. In den vergangenen Jahren gingen dann im Zuge der expansiven Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve und der aus ihr folgenden Geldschwemme viele Schwellenländer zu schärferen Kontrollen über, da ihre Währungen zum Dollar stark aufwerteten. Betroffen waren und sind unter anderem Brasilien, Mexiko, Peru und Kolumbien. Island reagierte im Spätherbst 2008 in Ansprache mit dem IWF mit Kapitalkontrollen, um die auf den Zusammenbruch der drei größten Banken des Landes folgende Kapitalflucht zu mildern. (Reuters)