Muss der Steuerzahler am Ende geradestehen für mögliche Webfehler beim Atomausstieg? Wenn das Verfassungsgericht den Energiekonzernen Recht geben sollte, könnten Zahlungen in Milliardenhöhe die Konsequenz sein. Doch die Bundesregierung gibt sich gelassen.

Berlin. Peter Altmaier kommt mit dem Rad. Am Eingang des RWE-Sommerfestes gibt der neue Bundesumweltminister seinen Jutebeutel ab. Regierungsgeheimnisse seien darin nicht verborgen, lässt er die Damen an der Garderobe wissen. Drinnen im Berliner Haus der Kulturen der Welt unweit des Kanzleramtes stellt sich wenig später der Sprecher des Atomforums beim Minister vor. Altmaier lässt ihn wissen: „Tut mir leid, aber die Messe ist wirklich gelesen.“ Für ihn gibt es kein Zurück, er will zum erfolgreichen Energiewende-Minister werden.

Bei der Feier des Energieriesen kursieren am Dienstagabend erste Meldungen über Schadenersatzforderungen der Atomkonzerne von bis zu 15 Milliarden Euro. Am Mittwoch bestätigt Eon dann einen Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass man den Schaden durch den Ausstieg nach Fukushima auf rund acht Milliarden Euro taxiert.

RWE hat bisher nur den Schaden für Biblis A und B beziffert und nennt mindestens zwei Milliarden als erste Hausnummer. Wenn noch Forderungen wegen der kürzeren Laufzeiten für Gundremmingen B und C sowie für das AKW Emsland folgen und zudem Vattenfall sowie womöglich auch der südwestdeutsche Versorger EnBW Schadenersatz fordern, könnte die 15-Milliarden-Schwelle in der Tat gerissen werden.

Die Konzerne pochen darauf, dass es sich um verfassungswidrige Eingriffe in ihre Eigentumsrechte handle – sie müssten schon mit Rücksicht auf ihre Aktionäre prüfen, ob der Staat einen solchen Eingriff in ihre Vermögenswerte durchführen und früher zugebilligte Atomstrommengen kappen dürfe. Altmaier und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) könnte somit ein unangenehmes Nachspiel für die schwarz-gelbe Kehrtwende drohen, doch in der Regierung heißt es am Mittwoch: „Jedem steht das Recht zu klagen zu.“ Man warte das Ganze sehr gelassen ab.

Die Grünen sehen eine Mitschuld bei Merkel. „Mit dem rot-grünen Atomausstiegskonsens hätte es diese Schadenersatzklage der Atomkonzerne nicht gegeben“, kritisiert der Energiepolitiker Hans-Josef Fell. Da aber Schwarz-Gelb Schadenersatzforderungen der Konzerne nicht wie Rot-Grün bei ihrem ersten Atomausstiegsgesetz vor zehn Jahren auf dem Verhandlungswege ausgeschlossen hat, habe die Regierung der Klage sogar fahrlässig Vorschub geleistet, so Fell. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin betont zugleich: „Die Atomkonzerne sollten ihre ganze Kraft besser in die Energiewende stecken, statt sich als Prozesshansel zu profilieren.“

Dass RWE und Eon Verfassungsbeschwerden einreichen, war lange bekannt, nun ist auch ein Preisschild an ihre Forderungen gehängt worden. Aber mehr auch nicht. Denn bis das Verfassungsgericht entschieden hat – womöglich schließen sich Vattenfall und EnBW an -, könnten bis zu zwei Jahre vergehen. Und erst nach einem Urteil zugunsten der Kernkraftwerksbetreiber könnten Zivilgerichte die tatsächliche Schadenshöhe festlegen.

Es ist fraglich, ob sie wirklich mit Milliarden-Entschädigungen rechnen könnten. Denn sie berufen sich unter anderem auf Investitionen, die sie in Erwartung der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung getätigt hätten. Doch die entsprechende 12. Novelle des Atomgesetzes war nur acht Monate gültig, bis sie vor knapp einem Jahr von der 13. Atomgesetznovelle abgelöst wurde. Diese sah die Stilllegung von acht Meilern und die stufenweise Abschaltung der restlichen neun Anlagen bis 2022 vor.

Allerdings hatten Experten bei den Fachberatungen zum Atomausstieg im Bundestag schon 2011 verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, die selbst in Regierungskreisen geteilt wurden. Etwa die zwangsweise Abschaltung von Krümmel, obwohl das AKW anders als die übrigen sieben stillgelegten Meiler zu den neueren Anlagen gehörte. Hinzu kam die Entscheidung, Gundremmingen B 2017 abzuschalten und Gundremmingen C erst 2021 – obwohl beide 1984 ans Netz gegangen waren. Da die Ungleichbehandlung nicht begründet wird, lauern hier Fallstricke.

Nun müssen zunächst die Bundesregierung, aber zum Beispiel auch Greenpeace oder der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Stellungnahmen zu den Beschwerden von RWE und Eon abgeben. Doch unabhängig von einem drohenden jahrelangen juristischen Streit war es jüngst Bundespräsident Joachim Gauck, der indirekt auf das weit größere Problem bei der Abwicklung der Kernenergie hinwies.

Die ungeklärte Endlagerfrage für hochradioaktiven Atommüll und deren Kosten ist die wirklich gefährliche Erblast, die die Klagen überdauern wird. Die Konzerne pochen auf Gorleben, um nicht noch weitere riesige Zusatzkosten zu haben – bisher ist unklar, wie sie sich an den Zusatzausgaben bei einer neuen bundesweiten Suche nach Alternativen zu Gorleben beteiligen müssten. Gauck sagt, Kosten für Umweltrisiken seien den Verursachern in Rechnung zu stellen „und nicht den Steuerzahlern“. Die Regierung dürfte nun nicht geneigt sein, den einstigen Verbündeten bei der Kostenverteilung für eine milliardenschwere neue Endlagersuche groß entgegenzukommen.