Der erfolgreiche Versandhändler und Sportler Josef Neckermann war für viele Nachkriegsdeutsche das Wirtschaftswunder in Person. 100 Jahre nach seiner Geburt liegt sein einstmaliges Imperium in Trümmern.

Frankfurt/Main. Der Slogan „Neckermann macht's möglich“ brachte das Lebensgefühl im Wirtschaftswunderland Westdeutschland auf den Punkt. Wie kaum ein anderer hatte der Kaufmann Josef Neckermann (geboren am 5. Juni 1912) die Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten erahnt. Zunächst Wäsche und Textilien jeder Art, später Elektroartikel, Mopeds, Korsagen und Schweinehälften: Alles konnte man in dem bald telefonbuchdicken Universalkatalog bestellen. Das Frankfurter Unternehmen lieferte wie die Konkurrenten Otto oder Quelle bis in die hintersten Winkel der Republik.

Neckermann machte zudem in den 1960er Jahren die Pauschalreise in Deutschland populär, verkaufte zwischenzeitlich unter eigenem Namen auch Versicherungen und Fertighäuser. Doch 100 Jahre nach Neckermanns Geburt und gut 20 Jahre nach seinem Krebstod im heimischen Dreieich bei Frankfurt (13. Januar 1992) ist vom Handelsimperium nicht mehr viel übrig. Sämtliche Firmenteile sind entweder in internationalen Konzernen wie Thomas Cook oder Zurich Versicherungen aufgegangen oder ringen wie der Überrest des Versandhandels ums nackte Überleben.

Der Sohn eines Würzburger Kohle-Großhändlers hatte das Unternehmen mit zwischenzeitlich bis zu 20 000 Beschäftigten auf Grundlage mehrerer Firmen aufgebaut, die vormals jüdischen Kaufleuten gehört hatten und in der Nazi-Zeit zwangsweise „arisiert“ worden waren. 1937 übernahm der Parteigenosse und SA-Reiter Neckermann mit Hilfe des Regimes die Nürnberger „Wäschemanufaktur Karl Joel“ weit unter Preis. Dessen Enkel, der US-Popsänger Billy Joel (Uptown Girl), schloss erst drei Jahre nach Neckermanns Tod mit einem versöhnlichen Gedenkkonzert seinen Frieden mit den Deutschen. Die Familie Joel erhielt erst nach langen Prozessen eine Entschädigung.

Wegen seiner Nazi-Vergangenheit – Neckermann hatte unter anderem Textil-Großaufträge für Hitlers Wehrmacht abgewickelt – startete der letztlich als „Mitläufer“ eingestufte Firmenchef erst 1950 so richtig ins deutsche Wirtschaftswunder. Der erste Katalog des im verkehrsgünstigen Frankfurt neu begründeten Versandhandels umfasste gerade mal zwölf Seiten mit 147 Textilien. In den folgenden Jahrzehnten schien es mit einer dezidierten Billigstrategie im Wirtschaftswunder keine Umsatzgrenzen zu geben, dazu erschloss Neckermann ständig neue Geschäftsfelder.

1977 stieg Karstadt in das zu schnell gewachsene und zuletzt gefährlich angeschlagene Unternehmen ein. Versicherung und Reiseunternehmen hatte Neckermann schon zuvor abgestoßen. Beim Versandhandel kostete die Abstimmung mit dem später zugekauften Konkurrenten Quelle viel Kraft. Ironischerweise hat der kleinere Neckermann-Versand die Pleite des Karstadt-Nachfolgekonzerns Arcandor überlebt, während Quelle in den Strudel gerissen und abgewickelt wurde. Grund war der vorherige Teilverkauf der Sorgentochter an die US-Investmentgesellschaft Sun Capital, die inzwischen den auf Neckermann.de umbenannten Versandhandel komplett besitzt.

Freude haben die Amerikaner nicht mehr an der viel zu spät aufs Internet getrimmten Firma, die aus Kostengründen inzwischen auf den dicken Katalog verzichtet. Der Investor plant einen radikalen Schnitt: Mehr als jede zweite der noch 2500 Stellen soll wegfallen. Textilien will Neckermann nur noch für Markenhersteller, nicht mehr aber auf eigene Rechnung versenden. Mehr Gewinn versprechen angeblich Möbel und Technik. Das Zentrallager müsse zum Jahresende schließen.

Die Belegschaft wehrt sich verzweifelt, legt Alternativkonzepte vor und sucht bei der hessischen Landesregierung Unterstützung.

Neckermanns Sohn Johannes – eines von drei Kindern – verfolgt von seinem Wohnsitz im US-Staat New York die Entwicklung in Frankfurt mit Grauen. „Ich bedauere es sehr, wie die Amerikaner handeln – es ist typisch amerikanisch, kein soziales Gewissen“, sagte der 70-Jährige vor wenigen Tagen der „Frankfurter Rundschau“.

Der Weltklasse-Dressurreiter Josef Neckermann hat sich nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen noch mehr dem Sport gewidmet. Der mehrfache Olympiasieger und Weltmeister sammelte als Chef der Stiftung Deutsche Sporthilfe etliche Millionen ein, um hoffnungsvolle Sportler zu unterstützen. An der Spitze seiner zahlreichen Auszeichnungen erhielt Josef Neckermann das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern.