Es ist die erfolgreichste Videospielreihe aller Zeiten: Vor zehn Jahren entwickelte der US-Amerikaner Will Wright “Die Sims“ – eine kleine Welt, in der die Bewohner gehegt und gepflegt werden wollen. Wright setzte dabei auf einen Trick: Erstmals wandte sich ein Spiel direkt an Frauen.

Vor etwas mehr als zehn Jahren stand ein 40-jähriger Amerikaner in einem Aachener Keller, der als Konferenzraum diente, und eine Handvoll deutscher Manager wusste nichts mit ihm anzufangen. Will Wright hieß der Besucher, war Videospiele-Entwickler und sah mit seiner großen Brille und dem Seitenscheitel aus wie der typische Computerfreak.

Er war gekommen, um dem Games-Hersteller Electronic Arts (EA) ein neues Spiel vorzustellen. In Aachen saß damals Kingsoft, der deutsche Vertrieb des kalifornischen Konzerns EA, der damals noch weit vom Milliardenumsatz und dem Prunkbau am Kölner Rheinufer entfernt war.

Wright fuhr gerade um die ganze Welt, um Werbung für eine ganz neue Spielidee zu machen. Es hatte mit kleinen Männchen zu tun, die er "Sims" nannte. Er zeigte den verblüfften Games-Vermarktern also Figürchen, die im Computer zu Leben erwachen sollten. Keine Waffen, keine Action. Die deutschen Kollegen dachten: So ein Unsinn, sehnten sich nach ihrer Pause und wetteten, dass dieses Konzept in wenigen Monaten vergessen ist.

Die Wetten haben sie allerdings verloren. Das Spiel "Die Sims" mit seinen drei Teilen und etlichen Zusatz-Sets ist das große Spiel der Nullerjahre geworden. Es ist mit 100 Millionen verkauften Einheiten die erfolgreichste Videospielreihe überhaupt. Ihre 1,6 Milliarden Dollar Umsatz reichen an den bisher größten Kinoerfolg, James Camerons "Avatar" heran (knapp 1,9 Milliarden).

Der Erfolg der Sims erklärt sich vor allem aus einem Trick: Erstmals hatte ein Spielehersteller auch Frauen als Zielgruppe im Auge. Für die Branche hat der Entwickler Will Wright damit Großes geleistet, er löste den Imagewandel der Videospiele aus, der sie hier zu Lande bis in den Deutschen Kulturrat geführt hat, wo sie heute neben Oper oder Literatur stehen. Das Geheimnis der Sims ist das, was Philosophen Hypostasierung nennen, die Wiederholung und Überhöhung des ohnehin Bestehenden: Die Sims sind so langweilig wie wir alle. Sie sitzen arbeitend am PC, sie stehen auf Popkonzerten in der letzten Reihe herum, sie ärgern sich, wenn sie keinen Partner haben. Wer sich bemüht, kann als Sim reich werden und in scharf gebügelten Hosen auf einer Pool-Party plaudern. Doch was man als Wunscherfüllung des Spielers sehen könnte, steht nicht im Zentrum des Spiels. Man hat meist mit Alltagsärger zu tun. Es war falsch, wenn das Spiel immer wieder eine "virtuelle Soap-Opera" genannt wurde. Selbst die schlechteste Soap bemüht sich um Flucht aus den Beschränkungen des Lebens und zeigt Menschen, die mehr erreichen als der Zuschauer. Die Sims tun das Gegenteil. Sie zwingen den Spieler zum Abspülen, Staubsaugen - und zum regelmäßigen Duschen.

Oft wurde in den vergangenen Jahren gesagt, wir hätten keine Stars mehr, keinen neuen Michael Jackson und selbst die Hollywood-Millionäre sind heute so greifbar und normal, wie Grace Kelly sich nie gemacht hätte. Auch diesen Trend haben die Sims vorweggenommen. Man muss sich das erfolgreichste Unterhaltungsprodukt der Nullerjahre als Absage an jeden Glamour vorstellen. Die Idee, den Alltag zum Spiel zu machen, stammt eigentlich aus dem Jahr 1985. Damals erschien "Little Computer People" für Heimcomputer wie den Commodore C-64. Es zeigt ein Haus im Querschnitt, in dem ein Männchen seinen Hund streichelt, kocht oder fernsieht.

Der erste Teil der Sims war nicht viel komplexer, der 2009 erschienene dritte ist schon die Simulation einer ganzen Kleinstadt, in der Spieler sich frei bewegen können. Per Download lässt das Spiel sich heute fast beliebig erweitern. Der Hersteller ist stolz darauf, dass schon 670 000 Frisuren geladen wurden. Die große Zeit dieses Spiels ist vorbei - dass Games zu einem dreisten Realismus in der Lage sind, ist bekannt. Innovativ findet das heute niemand mehr.

Quelle: Welt Online