Hamburg. Der Ex-„Tagesschau“-Moderator über das Leben nach den Nachrichten, mehr Rechte für Homosexuelle und seine Leidenschaft für Porzellan.

Man würde Wilhelm Wieben gern einen Dandy nennen, wenn dieses Wort nicht so einen negativen Unterton mitbringen würde. Negatives fällt einem aber zu dem ehemaligen „Tagesschau“-Sprecher, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, nicht ein. Dafür verkörpert er die positiven Seiten dieser Lebenseinstellung formvollendet: Er kleidet sich elegant, spricht so gemessen wie gebildet, ist den schönen Seiten des Lebens zugetan.

Dagmar Berghoff war 1976 die erste Frau im „Tagesschau“-Team
Dagmar Berghoff war 1976 die erste Frau im „Tagesschau“-Team © dpa | Dieter Klar

In seiner Wohnung in Winterhude empfängt er zum Gespräch, an der linken Hand blinkt ein Siegelring. Den Kaffee serviert er in feinem Porzellan, eine seiner Sammelleidenschaften. Auf den Balkonen vor den Fenstern wächst und gedeiht ein ganzer Dschungel von Pflanzen, auch sie schart Wieben mit Freude um sich. Seine silbernen Haare sind akkurat zurückgekämmt, das Gesicht strahlt Lebensfreude und -länge aus. Mit seinem Alter kommt er gut zurecht, „aber eine große Feier gibt es nicht“. Nur drei Gäste, darunter seine langjährige Freundin Dagmar Berghoff. Nach einem guten Essen spielen sie – so verlangt es die lieb gewonnne Tradition – Rummikub. „Berghoff und ich entdeckten das Spiel in Frankreich bei Freunden und waren sofort begeistert.“

Die „Tagesschau“, 26 Jahre lang sein Arbeitsplatz, verfolgt er noch immer

Begeisterung ist etwas, was man vielleicht nicht unbedingt von Wieben erwartet. Ihm, der wie kaum ein anderer das Bild des distanzierten, stets auf Professionalität bedachten Nachrichtensprechers prägte. Beide Charaktereigenschaften und der Sinn für Traditionen gehören zu seiner Persönlichkeit, das merkt man schnell. Seinen ehemaligen Arbeitsplatz, die „Tagesschau“, verfolgt Wieben nach wie vor, aber „ich bin reiner Zuschauer“. Und das schon seit fast siebzehn Jahren. Am 29. Juni 1998 moderierte er die wichtigste deutsche Nachrichtensendung nach 26 Jahren zum letzten Mal – ohne seine Kollegen oder die Zuschauer über diesen Schritt zu informieren. Ganz leise hört man nach Ende der Viertelstunde Wiebens sonore Stimme „Danke, das war’s.“ sagen. Warum ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt? „Ich habe mich immer überraschen lassen von meinem Gefühl der Unlust. Und als es da war, habe ich gesagt ,Warum eigentlich nicht?‘“.

Die gebotene Kühle, mit der er gute wie schlechte Nachrichten verlas, bedeutet nicht, dass er nicht Anteil nahm an dem, was passierte. Neben der Ansage „Guten Abend, meine Damen und Herren, Deutschland ist Fußball-Weltmeister“, gleich zu Beginn seiner Karriere als Sprecher der 20-Uhr-Nachrichten im Jahr 1974, erinnert sich Wieben besonders intensiv ausgerechnet an Nachrichten, denen er nicht sein Gesicht gegeben hat: „Ich habe leider 1989 im November eine Schiffsreise gemacht. Da wäre ich gern in Hamburg gewesen und hätte die Meldung von der Grenzöffnung verlesen.“ Und als er einige Monate später dem Publikum vor dem Fernseher von der sich anbahnenden Wiedervereinigung erzählte, „waren das Momente, die ich nicht mehr erwartet hätte. Wir waren ja alle so eingestellt, dass da eben eine Mauer ist, eine Grenze.“

Als diese schließlich wegfiel, erwachte der leidenschaftliche Teil Wiebens umso stärker für die neuen Bundesländer. Seit seiner ersten Reise nach Mecklenburg-Vorpommern – nach der Grenzöffnung, aber noch vor der Wiedervereinigung –, als ihm bewusst wurde, „dass Schwerin nicht auf dem Mond liegt, sondern bloß eine gute Stunde Autofahrt entfernt“, hat Wieben „unendlich viele“ Reisen nach Sachsen und Thüringen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt unternommen.

Und auch in weiter entfernten Ecken der Welt ist Wieben herumgekommen, hat Kap Hoorn umrundet und das arktische Eis gesehen, war allein und mit Freunden unterwegs

Inge Meysel outete Wilhelm Wieben

Aus seiner Homosexualität hat Wieben nie einen Hehl gemacht, „aber ich war leider auch kein Rebell“. Das hieß für lange Jahre, dass er sich in dieser Hinsicht verstecken musste. Er ist damit aufgewachsen, dass seine Veranlagung „verfemt“ war, wie er sagt, und diese Prägung sei nicht zu unterschätzen. Wenn er von jenem Teil seines Lebens spricht, wird Wiebens Stimme leise, die richtigen Worte zu finden, fällt ihm sichtlich schwer: „Man war daran gewöhnt, dass es so ist.“ Das Bewusstsein dafür, dass diese „Heimlichkeiten“ ein Ende haben müssten, habe sich erst spät eingestellt.

Als Inge Meysel ihn 1995 in einem Interview mit dem „Stern“ zu ihren „schwulen Freunden“ zählte, so wird es gern kolportiert, habe sie ihn damit unfreiwillig und versehentlich geoutet. Wieben erzählt die Geschichte etwas anders. Der „Stern“ habe sich kurz vor der Veröffentlichung bei ihm gemeldet, um zu fragen, ob es in Ordnung gehe, das Interview so zu veröffentlichen: „Und da hab ich ,Ja‘ gesagt. Hätte ich das nicht getan, hätte ich mir das nie verziehen. Ich wollte mich nicht selbst verleugnen.“ Über das erfolgreiche Referendum in Irland zur Öffnung der Ehe für alle Liebenden freut sich Wieben umso mehr. Und umso weniger Verständnis bringt er für die Reaktion des Vatikan auf, der den Volksentscheid als „Niederlage für die Menschheit“ geißelte: „Ich lehne es absolut ab, Kirchenführern die Deutungshoheit über unser Leben zu überlassen. Ich hege keine Sympathien für irgendeine Religion.“

Es soll das einzige Thema bleiben, bei dem sich Wieben – zu Recht – echauffiert. Viel lieber spricht er mit leiser Selbstironie über die Erkenntnis, dass er ein Leben lebt, in dem sich „alles fügt, ohne dass ich die treibende Kraft bin“. Die Versuche des an der Berliner Max-Reinhardt-Schule ausgebildeten Schauspielers, selbst steuernden Einfluss zu nehmen, seien hingegen von weniger Erfolg gekrönt gewesen: „Als ich in den 60er-Jahren in Bremen beim Radio arbeitete, kam ich auf den Gedanken, bei Peter Zadek vorzusprechen, der damals Oberspielleiter unter Kurt Hübner war. Und das muss so erbärmlich gewesen sein, dass Zadek mich mit der ironischen Bemerkung ,Das kannst du ja noch mal mit einem Freuuund einstudieren‘ entließ.“

Das Schauspiel blieb trotzdem Wiebens Steckenpferd, er spielte immer wieder kleinere und größere Rollen. Unter anderem war er in den 80er-Jahren die „Konstante, nicht Konstanze!“ an der Hamburger Staatsoper. Neun Spielzeiten lang gab er den Bassa Selim in „Die Entführung aus dem Serail“, während um ihn herum die Besetzung wechselte.

Geschenkwünsche zu seinem Geburtstag hat Wilhelm Wieben zwar keine. Aber über das neue Stück Porzellan für seine Sammlung, von dem er bereits weiß, dass er es heute bekommt, wird er sich freuen. Seine blauen Augen werden leuchten, wenn er es auspackt. So, wie sie es tun, wenn er von seinen Freunden, seinen Pflanzen, seinen Reisen, seinen Erlebnissen schwärmt. So, wie es sich für einen formvollendeten Dandy gehört, der die schönen Seiten des Lebens zu schätzen weiß.