Berlin . Thomas Gottschalk veröffentlicht seine Biographie „Herbstblond“. Die dauerplaudernde Frohnatur überrascht mit ernsten Tönen.
Thomas Gottschalk haut kurz vor seinem 65. Geburtstag nochmal richtig auf die Pauke - und veröffentlicht seine Autobiographie „Herbstblond“. Auch wenn man es ihm nicht unbedingt ansieht, macht sein Alter ihm zu schaffen. Denn ein Berufsjugendlicher, der Zeit seines Lebens gutes Geld mit seinem Temperament, seinem Charme und seinem weitgehend kindlich wirkenden Spaßempfinden verdient hat, macht sich vielleicht mehr Gedanken über den Reifeprozess als ein stinknormaler homo sapiens, der froh ist, wenn ihm der Rentenbescheid durch den Briefschlitz flattert.
Thomas Gottschalk, der neben dem derzeit zurückgezogen lebenden Harald Schmidt (57) und dem dauerpräsenten Günther Jauch (58) zu den Top drei der TV-Branche gehört, hat seine Memoiren geschrieben und mit dem Begriff „Herbstblond“ übertitelt. Was ihm immer noch die Möglichkeit offenlässt, in einer neuen Vermarktungswelle in - sagen wir 15 Jahren, eine robuste Gesundheit vorausgesetzt - die Erkenntnisse seines Lebens mit dem Titel „Winterweiß“ noch einmal aufzulegen.
„Grüßaugust der Nation“
Das Altwerden und das Alter nehmen bei Gottschalk viel Raum ein. Der Blick in den Spiegel, der eher neutrale Umgang junger RTL-Redakteure mit ihm und seinen Idolen von Deep Purple hinterlassen Spuren in dem „Grüßaugust der Nation“ - das passt ihm alles nicht. Gerne saugt der gebürtige Franke Streicheleinheiten aus Volkes Stimme auf wie in dieser Anekdote, die ihm vor nicht allzu langer Zeit in der neuen Wahlheimat Berlin widerfuhr: „Hat Dir schon ma eena jesacht, ditte aussiehst wie der Jottschalk?“, wurde er im Fahrstuhl angequatscht. „Ja, das passiert mir öfter.“ „Mann, damit kannste Jeld vadien!“ „Aber nicht so viel wie der.“ „Macht nischt, dafür biste zehn Jahre jünger.“
Er habe es nie für nötig gehalten, sich wie ein Erwachsener zu benehmen, und er lebe in der Wahnvorstellung, ewig Kind bleiben zu können - „zur Not eben ein altes Kind“. Neben vielen heiteren Anekdoten aus Kindheit, Jugend und Karriere, die das ganze Buch lesenswert machen und den Eindruck erwecken, als spreche neben einem permanent „Wetten, dass...“-Dauerplauderer Gottschalk, überrascht die Frohnatur mit ernsthaften Tönen. Intensiv befasst er sich mit den Suiziden zweier Freunde und Weggefährten: Lebemann Gunter Sachs und Ex-MDR-Intendant Udo Reiter, der ihn förderte. Gottschalks Erkenntnis: Er respektiert die Entscheidungen von Sachs und Reiter. Er werde aber nicht versuchen auszusteigen, bevor er am Ziel sei.
Viel Platz für Freunde und Kollegen
Seinen Freunden, engen Kollegen, die ihn lange begleitet haben, schenkt Gottschalk viel Platz: Neben Reiter und Sachs widmet er einige Seiten dem verstorbenen Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki, der 2008 den Deutschen Fernsehpreis fürs Lebenswerk ablehnte und der Gala-Moderator Gottschalk gleich nach dem Eklat das Du anbot. Genauso geht es dem Gummibär-Patron Hans Riegel aus Bonn (Haribo), der Gottschalk 25 Jahre als Werbefigur hielt. Auch Jauch findet ausführlich statt: Der habe ihm berichtet, sich ernsthaft mit dem Gedanken zu tragen, kürzerzutreten. „Was er nie tut“, lästert Gottschalk. Seine Passion, meint er über Jauch, hätte er in seinem Weingut finden können. Die Realität aber ist: „Jetzt ist seine Stimmung auch noch vom Wetter abhängig.“
Nichts lässt Gottschalk auf seine mit ihm seit 1976 verheiratete Frau Thea kommen, sie habe seinetwegen auf eine Karriere verzichtet. Die Söhne Tristan und Roman leben nach ihrem Studium in den USA, der eine getrennt von der Mutter seines Kindes. Gottschalks Enkel lebt in Berlin und wird vom großen Meister persönlich ab und an in den Kindergarten gebracht. Recht umfangreich fällt auch die Abrechnung mit seinen Kritikern aus, die alles in allem „ein gerechtes Unentschieden“ hervorbringt. Die heftigste Anekdote ist mehr als 20 Jahre alt, als ein Sat.1-Magazin ihn als Scientologen outen wollte - bei dem fraglichen Thomas Gottschalk handelte es sich bloß nicht um den Maître der TV-Kunst, sondern um einen anderen.
Recht knapp indes kommen Gottschalks Bemerkungen über sein Verhältnis zu Immobilien weg. Zwar schildert er ausführlich den Erwerb seines US-Anwesens und auch den Kauf und Verkauf des Schlosses am Rhein, aber über sämtliche andere Investitionen - wo immer sie stattgefunden haben mögen - gerät die Bilanz kurz: „...ich habe mir alle Immobilienkäufe meines Lebens immer im Nachhinein schönreden müssen. Ales in allem habe ich bisher draufgezahlt, aber die Endabrechnung liegt ja noch nicht vor. Außerdem waren mir Zahlen immer egal, wenn ich das subjektive Gefühl hatte, mich zu verbessern.“
Wenige Zeilen für Bruder Christoph
Auch das Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder Christoph beleuchtet Gottschalk in relativ wenigen Zeilen. Aufgrund der ähnlichen Stimmen seien sie zu verwechseln gewesen, die Gesprächspartner am Telefon hätten oft das Gefühl gehabt, dass Thomas mit im Boot gesessen habe, obgleich das nicht immer der Fall gewesen sei. Sie hätten sich ein paar Mal in die Haare gekriegt, sich dann aber wieder versöhnt. Beide wüssten, dass sie im Ernstfall für einander da seien. So im sogenannten Schleichwerbeskandal rund um „Wetten, dass..?“, den vor allem der „Spiegel“ vor ein paar Jahren thematisierte. Da spielte Christoph eine tragende Rolle, denn er besorgte vom Autohersteller ein Fahrzeug, mit dem ein Wettkönig belohnt wurde.
Letztlich bewegte der Unfall des Wettkandidaten Samuel Koch, der Ende 2010 beim Versuch, mit Sprungfedern über fahrende Autos zu springen, querschnittgelähmt am Boden liegen blieb, Gottschalk zum Rückzug von „Wetten, dass..?“. Doch mit 60 Jahren startete er noch einmal, bei der ARD mit der Vorabendshow und beim RTL-„Supertalent“ - wenn auch erfolglos. „Hätte ich mich nach den Abschiedsfeierlichkeiten und dem Quotensegen für die letzte „Wetten, dass..?“-Show im Dezember 2011 winkend aufs Altenteil begeben, hätte man mich zwar heiliggesprochen, aber das Nächste, was ich aus Deutschland gehört hätte, wäre mein Nachruf gewesen.“ (dpa)