Der Sieg beim Eurovision Song Contest hat sie selbstbewusst gemacht. Conchita Wurst prescht mit forschen Ideen voran.
Wien/Berlin. Conchita Wurst, Siegerin des Eurovision Song Contest 2014, träumt von einer Girlband mit älteren Popsängerinnen. Auf die Frage, mit welchen drei Künstlern sie gerne zusammenarbeiten würde, sagte die bärtige Dragqueen in einem dpa-Interview: „Okay, ganz spontan: Es ist Celine Dion, es ist Tina Turner und es ist Cher. Am besten ein Quartett. Eine Girlband.“
Am Freitag nahm Wurst („Rise Like A Phoenix“), hinter der der schwule Österreicher Tom Neuwirth, 25, steckt, in Berlin einen Sonderpreis bei der sogenannten Stonewall Gala entgegen, einer Veranstaltung für Homosexuellenrechte.
Auch wenn die Homo-Szene der deutschen Hauptstadt zurzeit zerstritten wirkt und am Sonnabend in Berlin gleich mehrere Demos zum Christopher Street Day (CSD) anstanden: In der Nacht zum 11. Mai gab es einen Moment, der viele Lesben, Schwule und Trans*-Menschen einte. Es war der überraschende Sieg von Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest in Kopenhagen.
In Berlin trat Wurst im Deutschen Theater bei der „Stonewall Gala“ auf, einer Veranstaltung für die Rechte von Lesben und Schwulen, organisiert von dem in der Berliner Szene wegen konzeptioneller und kommerzieller Fragen umstrittenen CSD-Verein. Es moderierte Haudrauf-Comedian Ingo Appelt, der unter anderem witzelte, er wünsche sich eine komplett homosexuelle Bundeswehr – Motto: „Wir sind schwul in Kabul.“
Zwar gab es Preise für Menschenrechtsaktivisten wie Dorothy Akenova aus Nigeria und Peter Tatchell aus Großbritannien sowie das Team der satirischen ZDF-„heute Show“, die sich gern selbstironisch als Homolobby bezeichnet, doch Höhepunkt war der Auftritt von Ehrengast Conchita, die einen Sonderpreis aus der Hand des Schauspielers Georg Preuße erhielt (auch bekannt als Travestiefigur Mary).
„Vielen, vielen, vielen Dank“, sagte Wurst auf der Bühne. Seit ein paar Wochen sei sie „nur noch glücklich, von morgens bis abends“. Der Nachrichtenagentur dpa sagte sie: „Ein Preis für Zivilcourage, der aus der Community kommt, ist natürlich enorm wichtig für mich, weil das einfach die Bestätigung dafür ist, dass ich keinen Schwachsinn rede, und dass ich was Gutes mache und dass die Leute das auch so empfinden.“
Sie wolle jedoch keine „Ikone“ sein. „Ich bin kein Vorbild.“ Sie wolle auch nicht, dass sich jetzt jeder junge Mann eine Perücke aufsetze und dazu einen Bart trage. „So zu sein wie ich bin, das ist zuerst einmal nur meine eigene Wahrheit.“
Mancher Mann aus den Anfangstagen der Schwulenbewegung erzählt einem, wie er vor sechs Wochen vor dem Fernseher Tränen in den Augen hatte, als Conchita Wurst die größte Musikshow der Welt gewann. Conchita nutzte damals charmant die Chance, vor Millionen Fernsehzuschauern allen, bei denen ihre Existenz Hass und Ekel hervorruft, „We are unstoppable“ (Wir sind nicht aufzuhalten) entgegenzurufen. So viel Breitenwirkung fürs Anderssein und Werben um Respekt ist selten.
Zumal die Gay Community als sogenannte Randgruppe kein besonders gemeinschaftliches Bild abgibt und sich untereinander Scharmützel liefert. Sexismus, Rassismus oder Ausgrenzung wegen des Aussehens gibt es im Alltag auch unter LSBTTIQ (lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgenderen, intersexuellen, queeren Menschen). Das Nicht-Heterosexuellsein und das Hinausfallen aus der klassischen Geschlechterrolle schafft noch lange keine Solidarität untereinander. Anders zu sein aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft, das ist allein nicht abendfüllend. Es sei denn, man heißt Conchita Wurst.
An diesem Abend schaffte es die Frau mit Bart, zumindest in diesem Theatersaal in Berlin, ein Gefühl dafür zu geben, wie es wäre, wenn jeder Geschlechterrollen und Lebensweisen offener sehen würde.
Zum Berliner Szene-Streit fand Wurst übrigens klare Worte: Die Zerstrittenen sollten sich einigen und wieder aufs Wesentliche konzentrieren. „Wir sind eine Community und sollten zusammenhalten und gemeinsam unsere Rechte einfordern, die uns zustehen.“