Gurke, Tannenspitzen, Preiselbeeren, Hopfen und Malz: 200 Aromastoffe werden inzwischen zum Destillieren neuer trendiger Gins benutzt.
Neuberg. Natürlich gibt es die Klassiker immer noch: den Gin-Fizz mit Soda, den Gin Tonic der britischen Queen Mum oder den Martini mit viel Gin und wenig Wermut, geschüttelt und nicht gerührt. Aber das Image des Wacholdergetränks Gin hat sich rapide gewandelt. Nach der Wodka- nun also die Ginwelle: Dutzende neue Sorten mit neuen Aromen kommen auf den Markt, für edle Destillate wird das Dreifache wie für einfache Sorten bezahlt.
„Gin ist angesagt“, stellt Markus Kern von der Cocktailschule in Neuberg (Hessen) fest. Er hat in diesem Jahr den Cocktailpreis der deutschen Barkeeper-Union gewonnen. „Gin wird die Spirituose dieses Jahrzehnts“, ergänzt Franz Höckner, der Lobby Bar Manager im Hotel „Adlon Kempinski“ in Berlin. Der Salzburger sagt: „Eine Bar ohne Gin ist wie eine italienische Küche ohne Pizza.“
Im Prinzip ist die Ginherstellung einfach, ohne lange Reifezeit wie bei Whisky oder Cognac. Die Basis ist jeder landwirtschaftliche Alkohol, vor allem aus Getreide. Beim Destillieren nimmt der Gin gleichzeitig das Aroma von beigefügten Wacholderbeeren auf. Die Europäische Union definiert, dass der Wacholdergeschmack vorherrschend bleiben muss, auch wenn Gin mit weiteren Aromastoffen und Gewürzen erneut gebrannt und damit zum „Destillierten Gin“ wird. Eine Sonderkategorie ist der „London Dry Gin“, der mindestens 37,5 Prozent Alkohol haben muss.
Kunst und Fantasie von Ginherstellern und Barkeepern entfaltet sich heute bei den zur Aromatisierung benutzten sogenannten Drogen oder Botanicals. Das sind klassisch der unterschiedlich intensive Wacholder, Zitrusfrüchte, Koriander oder Kardamom. „Mittlerweile haben wir aber fast 200 Botanicals“, sagt Kern. Dazu gehören Küchengewürze wie Rosmarin, Basilikum und Safran, Ingwer, Angelikawurzel, Kubebenpfeffer, Gurken, Litschi oder Oliven. „Heute kommt es sehr darauf an, welcher Gin verwendet wird und welches der neuen Tonics“, erklärt er. „Und dann noch, zu welcher Jahres-, Tages- oder Nachtzeit ich ihn serviere und welches ’Flavoring’ ich benutze: eine Limettenscheibe oder Gurke oder eine Cherry-Kirsche. Wir haben eine Fülle an Auswahl, und das ist es, was den Reiz ausmacht.“
Ähnlich sieht es Höckner, der vom Restaurantführer Gault Millau zum Barkeeper des Jahres 2012 gewählt wurde. Früher habe es wenige Drinks mit Gin wie den Fizz, den Tonic oder die White Lady gegeben und natürlich den Martini Cocktail. „Das ist der König der Cocktails, er braucht nur einen Tropfen Wermut und der Rest ist Gin, der eiskalt gerührt wird.“
Früher gab es nur wenige Ginsorten wie Gordon’s, Seagram’s oder Beefeater, bevor sich neue Modemarken etablieren konnten wie Hendrick’s, der mit Gurkenaroma destilliert und einer Gurkenscheibe serviert wird. „Der kommt sehr sexy rüber“, sagt Höckner. Daneben ist Tanqueray gefragt oder Bombay Sapphire in der hellblauen Flasche.
Der Name Gin ist vom lateinischen Namen des Wacholders (juniperus) abgeleitet oder genauer vom Ginvorläufer Genever, den im 17. Jahrhundert ein Arzt in Holland erfunden hat. Vom Kontinent heimkehrende englische Soldaten brachten Genever nach England, wo er zum Gin wurde. 1736 musste das Parlament das billige Volksgetränk wegen der sich ausbreitenden Trunksucht sogar verbieten. Man hob diesen Bann aber schnell wieder auf, weil der danach illegal gebrannte Gin noch schädlicher war.
Dieses böse Image ist in der heutigen Zeit verblasst. Längst wird auch außerhalb des traditionellen Ginlandes England Gin produziert. Zu den neuen Kultmarken gehört Mare aus Spanien, destilliert mit mediterranen Kräutern und Oliven. Auch der deutsche Schwarzwald Dry Gin Monkey 47 gehört jetzt zu den teureren Hypemarken. Er hat 47 Prozent Alkohol und wird mit 47 Drogen erzeugt, darunter Fichtensprossen, Holunderblüten und Preiselbeeren. Eine bayerische Note bietet die Marke Duke aus München, zu deren Botanicals Hopfenblüten und Malz gehören. „Wir sind der einzige biozertifizierte Gin in Deutschland“, sagt Marketingchef Maximilian Wagner.
Im „Adlon“ gehört Gin auch in den Kaiser-Cup, den Hauscocktail. „Ich nehme klein geschnittene Früchte der Saison und mariniere sie in Gin wie bei einer Bowle, decke das Ganze mit etwas Cointreau und Granatapfel ab und gieße es mit Champagner auf“, sagt Höckner.
Welchen Rat hat der Barmann für seine Gäste? „Den ganzen Abend bei derselben Spirituose bleiben, also nicht nach dem Gin-Fizz zum Planter’s Punch mit Rum wechseln.“ Fünf Longdrinks mit Gin pro Abend seien okay, aber bitte in zweieinhalb und nicht in einer halben Stunde. Ganz wichtig: auf jedes Glas Spirituose ein großes Glas Wasser trinken. „Das wird Ihnen den Abend immer verlängern, und auch am nächsten Tag wird man es merken.“ Kern sieht das etwas anders: „Wasser ist okay, aber nur aus den Eiswürfeln und dem Tonic.“