Die neue Generation Biedermeier: Wie kommt es, dass unsere Kinder wieder Spießer werden?
Eltern sollten sich spätestens dann Gedanken über ihre Erziehung machen, wenn die Siebenjährige sagt: „Papa, ich möchte lieber in einem Haus wohnen.“ So richtig mit Wintergarten, sauber onduliertem Rasen und makellos perfekt gestrichenem Jägerzaun. Über die Fernsehwerbung einer Bausparkasse, „Wenn ich groß bin, möchte ich auch mal Spießer werden“, haben wir noch gelacht. Jetzt sind sie wirklich zurück, die Wiedergänger des bürgerlichen Miefs. Und zwar ausgerechnet die Generation iPad, von der die Älteren dachten, deren Welt spiele sich auf einem digitalen Touchscreen ab.
„Ja, wir sind die, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben“, beschreibt der Autor Philipp Riederle, 19, die neuen Begehrlichkeiten. Pantoffeln, Fernsehen auf dem Sofa und Gartenzwerge sind nicht mehr verwerflich, das ordentlich gewaschene und exakt eingeparkte Auto und die nach Farbe oder Größe sortierten Bücher im Regal die neuen Statussymbole. Das WG-Chaos ist out, Putzfrau, Geschirrspüler und Weinregal sind in. Eine der erfolgreichsten Jugendzeitschriften heißt demzufolge „Spiesser“.
Schon die Turnschuh-Revoluzzer vergangener Jahrzehnte hatten ja insgeheim ihre biedermeierlichen Sehnsüchte. Der Steinewerfer und spätere Minister Joschka Fischer spottete einmal: „Als ordentlicher Sponti hatte ich einen ADAC-Schutzbrief abgeschlossen.“ Der Handball-Paradiesvogel Stefan Kretzschmar nannte sich gar einen „Spießer im Tattoo-Pelz“.
Natürlich wollen Zukunftsforscher die Gründe für die neue Bürgerlichkeit kennen: Schutz und Geborgenheit seien letzte Sinnpfeiler in einer mobilen und ach so temporeichen Welt. Der Kölner Trendforscher Stephan Grünewald prophezeit, was Möbelhäuser gern hören: „Die Renaissance der Schrankwand.“
Fehlt eigentlich nur eins, um das neue Spießertum mit dem 21. Jahrhundert kompatibel zu machen: Einbauküchen, Grillbesteck und auch der Dackel an der Leine müssten sich mit dem Smartphone bedienen lassen.