Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Wird es noch Verkäufer geben? Kann Arbeitslosigkeit für die Gesellschaft eine Chance sein? Das Abendblatt und die Stiftung für Zukunftsfragen luden zum Expertenforum

    Horrorstudien über die Zukunft der Arbeit gibt es reichlich: Kürzlich rechnete der Branchenverband Bitkom vor, dass hierzulande binnen fünf Jahren bis zu zehn Prozent der Stellen wegfallen könnten, weil Roboter oder Algorithmen die Arbeit übernehmen. Noch schriller warnten zwei Oxford-Wissenschaftler vor vier Jahren: Sie befürchten, dass in den USA fast jeder zweite Arbeitsplatz gefährdet ist. Geht uns die Arbeit aus? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Zukunftsforums „Wie wollen wir arbeiten?“, zu dem das Abendblatt und die BAT-Stiftung für Zukunftsfragen geladen hatte. Auffällig: Kaum ein Experte mochte in die Untergangsgesänge einstimmen.

    Ganz im Gegenteil: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) verweist auf den kontinuierlichen Aufbau von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Hansestadt. Waren es 2004 nur 733.000 Menschen, sind es heute schon 953.000. „Wir bekommen jedes Jahr 1000 bis 2000 Betriebe hinzu, weil Hamburg ein guter Standort ist. Das liegt an einer investitionsfreundlichen Politik, die sich auch an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientiert“, betont der Bürgermeister. „Wir stehen in einem Wettbewerb um die besten Köpfe – da zählen etwa für Eltern sehr gute Betreuungsmöglichkeiten. Deshalb haben wir ein flächendeckendes Angebot an Kitas und Ganztagsschulen. Das ist ein wichtiges Argument für den Standort Hamburg.“ Einer Umfrage der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen zufolge sind diese „weichen Faktoren“ für Arbeitnehmer von großer Bedeutung, sagt Prof. Ulrich Reinhardt von der Stiftung. „80 Prozent betonen, dass die Firmen die Betreuung für Kinder gewährleisten müssen.“

    Tschentscher verspricht, den bisherigen Kurs des Senats fortzuführen. „Investoren können sich auf die Hansestadt verlassen“, sagt der Bürgermeister. Angesichts der Veränderung in der Arbeitswelt fordert er verstärkte Anstrengungen bei der Aus- und Weiterbildung. „Wir müssen gemeinsam mit der Wirtschaft zertifizierte Abschlüsse hinbekommen.“

    Welche Arbeitsplätze bieten langfristig Sicherheit?

    Zustimmung kommt von der Handelskammer. Ihre Hauptgeschäftsführerin Christi Degen lobt den Standort: „Die Stadtregierung ist wirtschaftsfreundlich und sehr offen für die Belange der Unternehmer.“ Deshalb habe die Kammer ihre Taktik im Umgang mit dem Rathaus verändert: Sie wolle sich nicht in kleinteiliger Kritik am Senat verkämpfen, sondern im Dialog nach gemeinsamen Lösungen suchen – etwa bei der Digitalisierung oder der Flächenpolitik. „Wir müssen frühzeitig Initiativen gemeinsam erarbeiten und voranbringen“, sagt Degen.

    Oppositionsführer André Trepoll (CDU) sieht die Erfolge der Stadt hingegen vor allem in der Bundespolitik begründet. „Hamburg profitiert in einer einzigartigen Weise von der wirtschaftlichen Entwicklung der Republik.“ Zugleich warnt er davor, die derzeit gute Lage für gottgegeben zu halten. Er sieht angesichts der Dynamik des Wandels Stadt und Land vor gewaltigen Herausforderungen: „Drogerieketten beispielsweise gehen davon aus, dass schon in wenigen Jahren keine Kassiererinnen mehr nötig sein werden. Da müssen wir uns Gedanken machen, was aus den Beschäftigten wird.“

    Geht uns also doch die Arbeit aus? Der Ökonom Prof. Thomas Straubhaar kommt zu einer überraschenden Antwort. „Nein, es wird vielmehr ganz neue Tätigkeiten geben.“ Ohnehin sei die Frage falsch gestellt: „Sollten wir nicht vielmehr hoffen, dass manche Tätigkeiten wegfallen?“ Seine Antwort atmet Optimismus: „Wir sollten die Chance nutzen, monotone, langweilige und nicht erfüllende Jobs durch Roboter oder Rechner zu ersetzen. Dafür können wir in anderen Bereichen wie der Pflege, wo wir viel mehr Menschen brauchen, aufstocken.“ Zudem würden viele Menschen gerne weniger arbeiten und mehr Zeit für ihre Familien haben. „Bei jüngeren Menschen und Hochqualifizierten ist dieser Wunsch besonders weit verbreitet. Da kann ,Arbeitslosigkeit‘ für die Gesellschaft durchaus eine Chance sein: Wir hören nicht auf zu arbeiten, aber wir werden weniger arbeiten.“

    Arno Rolf, Informatik-Professor an der Universität Hamburg und Autor des gerade erschienenen Buches „Weltmacht Vereinigte Daten“, teilt diesen Optimismus nur bedingt. Rolf rechnet mit einer grundlegenden Veränderung der Ökonomie durch künstliche Intelligenz und globale Plattformen. „Das Problem ist, dass sich Datenmonopole bilden, die immer mehr Geschäft an sich ziehen, worauf unsere Kartell- und Wettbewerbsgesetzgebung nicht eingestellt ist – und die sitzen in den USA.“ Noch vor zehn Jahren waren die Ölunternehmen in der Marktkapitalisierung führend, heute haben die Internetgiganten Google, Facebook, Amazon, Apple sie weit überholt.

    Trepoll fordert, dass Europa mehr Ehrgeiz entwickeln müsse, diesen US-Technik-Giganten etwas eigenes entgegenzusetzen: „Dass es klappen kann, zeigt ja der Erfolg von Airbus.“ Rolf befürchtet mittelfristig eine starke Spaltung der Gesellschaft in der Verteilung von Vermögen und Arbeit. „Es gibt auf der einen Seite einen großen Bedarf an IT-Experten und Spezialisten für Datenanalysen, während viele Berufe in der Mittelschicht wie beispielsweise Sachbearbeiter in Banken und Versicherungen Gefahr laufen, überflüssig zu werden.“ Arno Rolf: „Wir müssen verhindern, dass bei zunehmender Digitalisierung für diese gut ausgebildeten Beschäftigten nicht nur die ,Bespaßungs-Ökonomie‘ übrig bleibt, wo es nur noch um mehr Unterhaltung geht und wo zumeist per Online-Auktionen Freelancer-Jobs ohne Festanstellung und Sozialversicherung übrig bleiben.“ Vielmehr müsse es darum gehen, Arbeitszeitverkürzungen und auch Ansätze zur Humanisierung der Arbeit wieder aufleben zu lassen und gleichzeitig Forschung und Entwicklung voranzutreiben.

    Einfache Jobs sind besonders leicht zu ersetzen. Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kommt zur Erkenntnis, 58 Prozent der Jobs bei einfachen Helfertätigkeiten ließen sich wegdigitalisieren. Diese Quote steigt angesichts der rasanten Entwicklung immer weiter an. Selbst bei McDonalds, dem unfreiwilligen Namensgeber für schlecht bezahlte „McJobs“, bestellen die Kunden immer häufiger am Touchscreen – und ersetzen die Verkäufer.

    Jerome Güls, Consultant bei der Management Angels GmbH, die Interims-Manager mit Unternehmen und Projekten zusammenbringen, warnt vor den Folgen des Wandels: „Unternehmen müssen Mitarbeiter mitnehmen und ihnen Sicherheit geben. Veränderungen kann Angst machen.“

    Bürgermeister Tschentscher widerspricht den negativen Sichtweisen: „Das ist mir zu statisch, dass die Digitalisierung und Automatisierung uns nur Arbeit wegnimmt.“ Er leugnet die Gefahren nicht, versteht sie aber als Anreiz zum Handeln. Gerade in den vergangenen Jahren seien mit der Digitalisierung auch viele neue Jobs entstanden. Die Herausforderung bleibe, Menschen für die höheren Ansprüche des Marktes zu qualifizieren und fortzubilden. „Dazu müssen wir schauen, wohin sich die Arbeitswelt in den kommenden Jahrzehnten entwickelt.“ Dienstleistungen etwa in Kitas oder Pflegeein-richtungen ließen sich nicht auto-matisieren. „Vielleicht bekommen wir dann auch die Bewerber, die wir in diesem Bereich dringend suchen“, so Tschentscher.

    CDU-Fraktionschef André Trepoll empfiehlt, sich auf Jobs zu konzentrieren, bei denen Menschen gegenüber Maschinen im Vorteil seien, dort, wo Strategie, Empathie und Kreativität gefragt sind. „Einen Roboter als Bürgermeister brauchen wir nicht“, sagt Trepoll. Und Tschentscher kontert lachend: „Der wird als Letzter wegrationalisiert.“ Ökonom Straubhaar hält das Handwerk für langfristig aussichtsreich – dort seien Empathie, Feinmotorik, Kreativität und Genauigkeit gefordert, das leiste kein Roboter.

    Und doch könnte dieses Mal der technische Fortschritt, der in der Vergangenheit stets mehr Jobs schuf, als er vernichtete, anders sein. Das Smartphone beispielsweise ersetzt heute den Fotoapparat, das Navigationsgerät, den Brief und die Taschenlampe ... Straubhaar teilt diesen Pessimismus nicht. „Gerade bei jungen Menschen spüre ich eine enorme Bereitschaft, die Chancen des Wandels zu sehen und ihn zu gestalten.“ Der Wirtschaftsprofessor verweist aber darauf, dass wir unsere Bildungsausgaben falsch gewichten. „Von den 210 Milliarden, die wir jährlich ausgeben, erreichen 190 Milliarden die Menschen unter 25 Jahren – für den Rest des immer länger werdenden Lebens geben wir nur noch zehn Prozent aus.“ Das Problem mit dem angesprochenen Beispiel der Kassiererin sei doch, dass ihr die Zeit und das Geld fehle, sich weiterzubilden. Güls verwies auf Programme, die auch Geringqualifizierte innerhalb von drei Monaten erfolgreich zu IT-Consultants ausbildet. „Da gibt es Leute, die von der Kasse kommen. Weiterbildung und lebenslanges Lernen sind wichtig, um sich auch in Zeiten der Veränderung sicher zu fühlen.“

    Wenn viele Jobs durch Algorithmen, Roboter und künstliche Intelligenz ersetzt werden, gerät die Finanzierung des Staats in eine Schieflage. Arno Rolf wirft angesichts dieser Überlegungen die Frage auf, wie sich der Sozialstaat in Zukunft finanzieren soll. „Da müssen wir endlich die Datenmonopole angemessen besteuern und uns über die Finanzmarkttransaktionssteuer unterhalten.“

    Bürgermeister Tschentscher verweist auf die ungeheure Wertschöpfung der Hightech-Unternehmen, die es angemessen zu besteuern gilt: „Der negative Steuerwettbewerb zwischen den Ländern muss beendet werden.“ Auch Straubhaar will in Zukunft eher die Wertschöpfung besteuern als den Faktor Arbeit. „Roboter- und Datensteuern helfen nicht weiter.“

    Warum Nordeuropa ein Vorbild für Deutschland ist

    Ulrich Reinhardt wirft angesichts der Debatte eine grundsätzliche Frage auf: „Dient die Wirtschaft eigentlich noch dem Menschen? Oder dient der Mensch schon der Wirtschaft? Geht es um die Steigerung des Lebensstandards oder der Lebensqualität, um mehr Zeit oder Geld?“ Arbeit sei etwas zutiefst Menschliches. „Die höchste Wahrscheinlichkeit zu sterben, liegt in dem Jahr, in dem man aufhört zu arbeiten“, zitiert der Zukunftsforscher Studien. Bei der Arbeit komme auf es stets auf das richtige Maß an. „Wir müssen Lebensqualität mitdenken.“ Degen ist sich sicher, dass der digitale Wandel die Lebensqualität der Menschen insgesamt steigern werde, weil unbeliebte Arbeiten weniger, kreative Jobs hingegen stärker gefragt würden. Wie Lebensqualität und Beschäftigungsmöglichkeiten parallel wüchsen, zeige beispielsweise die Reisebranche. „Die Menschen hatten auch große Angst vor der industriellen Revolution – und am Ende ging es ihnen deutlich besser. Die Welt der Möglichkeiten erweitert sich.“

    Johannes Hauke, Manager des Coworking Mindspace am Rödingsmarkt, richtet den Blick nach Skandinavien. „Dort gelingt die Verbindung von Produktivität und Lebensqualität.“ So stehe in den nordischen Ländern die Familie oft an erster Stelle, an ihr müsse sich der Arbeitstag orientieren. Für diese Lebensqualität, abgesichert durch einen funktionierenden Sozialstaat, sind die Menschen bereit, höhere Steuern zu zahlen. „Bis 15 Uhr wird gearbeitet, und dann geht es zur Familie – und am Abend wird weitergearbeitet.“

    Durch die Digitalisierung werde der Arbeitstag flexibler. Straubhaar stimmt Hauke zu: „In allen Umfragen zur Zufriedenheit liegen die nordischen Länder vorne. Wenn Gesellschaften wissen, was sie wirklich wollen, sind die Menschen glücklicher.“ Deshalb erwartet Hauke bald einen Gegentrend: „Wir Menschen wollen Menschen treffen. Und je digitaler das Leben wird, desto größer wird die Sehnsucht nach dem analogen. Ich bin mir sicher, in 25 Jahren werden wieder Verkäufer eingestellt.“