Hamburg. Was Wissenschaft und Politik zur Entwicklung der direkten Demokratie in Hamburg sagen
Das Abendblatt hat Experten aus Wissenschaft und Politik nach ihrer Meinung zu 20 Jahren Mehr Demokratie gefragt.
Prof. Kai-Uwe Schnapp, Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg: „Hamburg steht nach meiner Wahrnehmung gut da, das bestätigt auch das Direkte-Demokratie-Monitoring von Mehr Demokratie. Die Stadt hat weit ausgebaute Instrumente und mit Abstand die stärkste Nutzung bundesweit. Mit dem Verfassungsgerichtsbescheid von 2016 wurden die Möglichkeiten gefühlt eingeschränkt. Faktisch ist es so, dass der Entscheid Gegenstände aus dem Einflussbereich der direkten Demokratie herausgenommen hat (etwa Haushaltsentscheidungen), die auch bis zu dem Zeitpunkt der Entscheidung nicht in Volksentscheiden entschieden wurden. Nach dem Beschluss ist es amtlich, dass das auch nicht passieren soll. Ich stehe auf der Position, dass nicht ein Maximum an direkter Demokratie der Idealzustand ist, sondern ein sinnvoller Mix von repräsentativen und direkten Elementen. Es stellt sich jetzt eher die Frage, ob hier und da schon wieder Beschränkungen oder wenigstens Haltelinien notwendig sind. So fordert Mehr Demokratie einen Verzicht auf jede Mindestbeteiligung (das sogenannte Quo-rum). Setzt man diese Forderung um, so bedeutet das, dass im Zweifel extreme Minderheiten politische Entscheidungen determinieren können. Das ist meines Erachtens nicht im Sinne von Demokratie als Beteiligung aller an Entscheidungen, von denen sie betroffen sind. Der Einfluss des Vereins auf die Hamburger Politik war und ist positiv, weil das Thema durch den Verein massiv auf die Agenda gesetzt wurde und dort gehalten wird.“
Andreas Dressel, SPD-Fraktionschef: „Mehr Demokratie hat der politischen Debatte rund um die plebiszitären Elemente in unserer Stadt zweifellos wichtige Impulse gegeben. Gemeinsam haben wir auch im Kompromisswege manches erreichen können. Aber die Aktiven sind in vielem über das Ziel hinausgeschossen. Ich wünsche mir, dass der Verein in Zukunft mehr zum Kostenbewusstsein von Volksinitiativen beiträgt. In Zeiten der Schuldenbremse geht es eigentlich nicht mehr, dass Volksinitiativen riesige Mehrausgaben fordern, ohne eine saubere Gegenfinanzierung vorzulegen.“
André Trepoll, CDU-Fraktionschef: „Nach 20 Jahren Mehr Demokratie sehe ich Licht, aber auch Schatten. Direkte Demokratie ist, viel stärker noch als die repräsentative Demokratie, von kurzfristigen Stimmungslagen und -schwankungen abhängig und macht sie damit anfälliger für Populisten. Ich halte zumindest eine Anhebung der Zustimmungsquoren bei Volksentscheiden außerhalb von Wahlen für unentbehrlich.“
Anjes Tjarks, Grünen-Fraktionschef: „Die Stärkung der direkten Demokratie ist zweifellos eng mit dem Verein Mehr Demokratie verknüpft. Es ist nun wichtig, dass wir alle gemeinsam die Volksgesetzgebung in den kommenden Jahren kritisch, aber auch konstruktiv weiterentwickeln.“