Hamburg. Fanforscher Gunter A. Pilz fordert harte Reaktion des Staates und der Verbände
Der Baden-Badener Soziologe Gunter A. Pilz (72) hat sich in Deutschland als Fan- und Konfliktforscher im Sport einen Namen gemacht.
Wie bewerten Sie die neue Welle der Gewalt in Dortmund?
Gunter A. Pilz: Es scheint eine neue Eskalationsstufe einer Hasskultur in einem Teil der Ultras zu geben, die sich nicht damit abfinden können, dass Vereine wie Leipzig von finanzkräftigen Menschen oder Unternehmen aus der Taufe gehoben werden und schnell erfolgreich agieren. Leipzig hat offenbar die Rolle von Hoffenheim übernommen.
Wut und Hass richteten sich völlig wahllos auch gegen Kinder und Frauen.
Dramatisch! Wenn Familien betroffen sind, die friedlich ein Spiel besuchen wollen, ist das inakzeptabel. Dabei arbeitet die Borussia vorbildlich, was Prävention und Intervention betrifft. Dass die Ausschreitungen gerade in Dortmund passiert sind, zeigt einerseits, dass die Arbeit der Vereine Grenzen hat. Auf der anderen Seite muss man den Funktionären den Vorwurf machen: Wenn sie sich eine Woche vor dem Spiel Scharmützel liefern, tragen sie nicht dazu bei, die beschriebene Hasskultur zu dämpfen. Im Gegenteil, sie gießen noch Öl ins Feuer.
Ist die Gewalt in Dortmund ein Einzelfall oder nur die Spitze einer Bewegung?
Kurzfristig habe ich große Bedenken. Unter den Fans gibt es nun mal ein paar Chaoten, für die es keine Grenzen gibt. Mittelfristig ist zu hoffen, dass sich die Situation in Leipzig ähnlich normalisiert, wie es in Hoffenheim der Fall ist. Dort scheint es mit dem grenzenlosen Hass vorbei zu sein, die Lage hat sich weitgehend normalisiert. Grundsätzlich finden Sie aber überall eine ähnliche Symbolik: Einige Fans brauchen und suchen sich einen Verein, an dem sie ihren Hass auslassen können. Dies betrifft vor allem Derbys, denken Sie nur an die Begleiterscheinungen bei Partien zwischen Eintracht Frankfurt und Darmstadt. Ähnliche Emotionen kennen Sie ja in Hamburg aus den Duellen zwischen dem HSV und dem FC St. Pauli.
Was ist nun zu tun?
Dass in Dortmund normale Fans angegriffen wurden, war eine völlig neue Qualität der Gewalt. Deshalb sollten schleunigst alle Werkzeuge, die dem Rechtsstaat zur Verfügung stehen sowie Sanktionsmöglichkeiten der DFL und des DFB aktiviert werden. Einzelfälle wie die in Dortmund werden medial stark aufgeputscht. Auch wenn die Zahl der Gewalttaten nicht zunimmt, so ist die Qualität dieser Fälle doch eine andere, sie ist zunehmend entgrenzt. Hier muss man entgegensteuern, um das in den Griff zu bekommen. (lx)