US-Eigner Anschutz Entertainment Group zieht sein Engagement bei Hamburgs Eishockeyclub aus finanziellen Gründen mit sofortiger Wirkung zurück. Team, Fans und Konkurrenz reagieren geschockt

    Björn Jensen

    Es genügte ein kurzer Blick in sein von Müdigkeit und Verzweiflung gezeichnetes Gesicht, um zu wissen, wie ehrlich die Worte gemeint waren, die Uwe Frommhold, 58, in die Mi­kro­fone sprach. „Das ist mit großem Abstand der schwierigste Tag in meiner Laufbahn“, sagte der Geschäftsführer der Hamburg Freezers am Mittwochmittag auf der eilig einberufenen Pressekonferenz in der Barclaycard Arena. Kurz zuvor hatte er den Medienvertretern bestätigt, was um 11.30 Uhr über den Presseverteiler an die Öffentlichkeit und gleichzeitig in Gesprächen, Telefonaten oder per elektronischer Nachricht an Geschäftsstellenmitarbeiter, Spieler und Funktionsteam übermittelt worden war.

    Die Freezers werden, sollte bis zum Ende der Bewerbungsfrist am kommenden Dienstag nicht ein Wunder in Gestalt eines neuen Investors eintreffen, keine Lizenz für die Saison 2016/17 in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) beantragen. Damit endet nach 14 Spielzeiten die Geschichte eines Clubs, der im Sommer 2002 dank einer Lizenzübertragung der München Barons nach Hamburg gekommen war, in den ersten Jahren für einen Eishockeyboom gesorgt und sich nach einer Schwächeperiode zwischen 2007 und 2011 in den vergangenen Jahren sowohl sportlich als auch wirtschaftlich konsolidiert hatte. In der abgelaufenen Saison besuchten trotz des enttäuschenden Verpassens der Play-offs als Tabellenelfter im Schnitt 9022 Menschen die 26 Hauptrundenheimspiele.

    Als Hauptgrund für den Rückzug gab Freezers-Eigner Anschutz Entertainment Group (AEG), der im Jahr 2007 auch den Betrieb der Heimspielstätte übernommen hatte, die unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung an. „Trotz unseres soliden Engagements und eines stetigen Investments sehen wir uns weiterhin zahlreichen Schwierigkeiten ausgesetzt“, formulierte der eigens zur Pressekonferenz angereiste AEG-Europachef Tom Miserendino den Fakt sehr vorsichtig, dass sein Unternehmen mit den Freezers stets in der Verlustzone geblieben war. Auf rund drei Millionen Euro wird der jährliche Fehlbetrag geschätzt, der dank der Mischkalkulation mit dem Betrieb der Arena in erträglichem Rahmen gehalten werden konnte.

    Vor allem die Situation, mit den ebenfalls zum AEG-Portfolio zählenden Eisbären Berlin einen zweiten DEL-Club finanzieren zu müssen, habe dazu geführt, die Entscheidung gegen die Freezers zu fällen. „Berlin ist erfolgreicher, deshalb standen die Eisbären nie zur Debatte. Dort werden wir unser Engagement in vollem Umfang weiterführen“, sagte Miserendino. Bereits im März 2011 hatte AEG mit einem öffentlichen Aufruf potenzielle Partner für eine Übernahme des auf sieben bis neun Millionen Euro jährlich taxierten Freezers-Investments gesucht und die renommierte Hamburger Privatbank M.M. Warburg mit dieser Suche beauftragt. Allerdings hatte man, weil der erhoffte Erfolg ausblieb, den Verkaufsprozess nach einem halben Jahr öffentlich für beendet erklärt.

    Umso überraschender traf das Aus, das man im Eishockey als „Sudden ­Death“ in der Verlängerung kennt, nun das gesamte Umfeld der Freezers. Dort war man davon ausgegangen, dass die oft wiederholten Beteuerungen aus der AEG-Zentrale, man sei mit der Entwicklung in Hamburg zufrieden und habe keine Pläne, am Engagement etwas zu verändern, ernst gemeint waren. Dass Miserendino nun am Mittwoch verkündete, intern habe man den Verkaufsprozess nie gestoppt und seit 2011 sowohl in Deutschland als auch international nach einem Partner gesucht, verwunderte alle. „Wir hatten auch einige Interessenten, aber niemanden auf dem Niveau, das man benötigt, um in der DEL erfolgreich mitspielen zu können“, sagte er.

    Frommhold, der am 3. Mai über die Pläne und Freitagnacht über die endgültige Entscheidung informiert worden war, setzte die rund 20 Mitarbeiter der Geschäftsstelle am Mittwochvormittag in Kenntnis. Sportdirektor Stéphane Richer informierte die Spieler, von denen ein Großteil ebenso wie Cheftrainer Serge Aubin im Urlaub weilt. Am 25. Mai, dem Tag nach dem Ende der Lizenzierungsfrist, wird es eine Betriebsversammlung geben, auf der das weitere Vorgehen besprochen wird. „Dann werden wir die Arbeitsverträge fristgerecht kündigen müssen“, sagte Frommhold, der seine Resthoffnung auf einen rettenden Investor auf ein Prozent taxierte – „aber auch nur, weil es fatal wäre, wenn ich sagte, dass ich keine Hoffnung mehr habe“.

    Spieler und Funktionsteam sind vom 25. Mai an vertragsfrei. Bereits geschlossene Arbeitsverhältnisse sind erst mit Erteilung einer Lizenz gültig, weshalb AEG keine Abfindungen wird zahlen müssen. Die DEL wird die frei gewordene Lizenz wahrscheinlich an einen Nachrücker aus der Zweiten Bundesliga vergeben. „Wir sind von der Entwicklung auch total überrascht worden und hoffen nun erst einmal, dass Hamburg doch noch eine Zukunft hat. Wenn nicht, werden wir dennoch mit 14 Teams in die Saison 2016/17 starten“, sagte DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke dem Abendblatt. Einen vergleichbaren Rückschlag hatte es in der DEL zuletzt 2010 gegeben, als sich der aktuelle Meister Hannover Scorpions aus finanziellen Gründen zurückgezogen hatte. In Hamburg war das Footballteam Sea Devils im Jahr 2007 von den 32 Teambesitzern der US-Topliga NFL mit der Einstellung des Spielbetriebs in der NFL Europa ebenso handstreichartig aufgelöst worden.

    Die Freezers-Profis reagierten mit tiefer Bestürzung auf das Aus. Kapitän Christoph Schubert brach seinen Familienbesuch in Bayern sofort ab. „Ich bin fassungslos und weiß nicht, wie es weitergeht. Ich appelliere an die Hamburger Wirtschaft. So können wir uns doch nicht mehr Sportstadt nennen, wenn wir nur noch den HSV und St. Pauli ­haben“, sagte er. Torhüter Dimitrij ­­­Ko­tschnew, derzeit im Urlaub in den USA, sagte: „Ich wurde davon total überrascht und werde Zeit brauchen, um zu verstehen, was das wirklich bedeutet.“

    Von der Opposition gab es harsche Kritik an der Sportpolitik des Hamburger Senats. „Das Aus der Freezers ist ein weiterer herber Schlag und reiht sich in die Serie der sportpolitischen Tiefschläge der vergangenen Monate ein“, sagte Thomas Kreuzmann, sportpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Auch die DEL-Konkurrenz konnte die Nachricht kaum fassen. Von fast allen Clubs gab es in den Netzwerken Solidaritätsadressen. Die Internetseite der Freezers brach unter der Last der Aufrufe zusammen. Die Fans reagierten mit Wut und Unverständnis. Rund 300 trafen sich am Mittwochabend zu einer spontanen Kundgebung vor der Barclaycard Arena, um ihren Unmut auszudrücken. 2200 Dauerkarten waren für die neue Saison bereits optioniert worden. Alle, die bereits Geld überwiesen haben, werden dieses erstattet bekommen.

    Die Zukunft der Volksbank-Arena, in der die Freezers bislang trainierten, ihre Geschäftsstelle und einen Fanshop betrieben, ist nun unsicher. Eigentümerin der Halle ist die Alexander-Otto-Sportstiftung, Otto hatte Planung, Bau und Betrieb mit rund 15 Millionen Euro aus Privatmitteln gefördert. Für eine Stellungnahme war der im Urlaub weilende Mäzen nicht zu erreichen. Dafür sprach Andreas Mattner, Chef des für den Nachwuchs zuständigen Freezers e. V., von einem „schwarzen Tag für die Sportstadt Hamburg. Die Entscheidung ist sehr schade für die herausragende Arbeit, die im Nachwuchs seit zehn Jahren geleistet wird.“

    Ob die Mannschaft in der höchsten deutschen Nachwuchsspielklasse DNL erhalten bleibt, ob die Freezers möglicherweise in einer unteren Liga neu starten oder mit Oberligaclub Hamburg Crocodiles kooperieren könnten – auf all diese und noch viel mehr Fragen gilt es, in den kommenden Tagen Antworten zu finden.

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