Hamburg. Nach dem verlorenen Olympiareferendum warnt die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) im Interview mit dem Abendblatt vor Wählerschelte – und richtet den Blick in der Flüchtlingspolitik nach vorn
Peter Ulrich Meyer
Die Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank hat sich wie keine andere Grünen-Politikerin für die Olympiabewerbung eingesetzt. Drei Tage nach dem Aus beim Referendum sprach das Abendblatt mit Fegebank über die Konsequenzen, ihre Stimmungslage und neue Ideen in der Flüchtlingspolitik.
Hamburger Abendblatt: Keine andere Partei hat sich wie die Grünen für die Einführung von Referenden starkgemacht. Jetzt haben Sie den Salat!
Katharina Fegebank: Wenn man das Volk abstimmen lässt in wichtigen Sachfragen, genau das ist ja der Sinn von Referenden, dann muss man auch mit den Ergebnissen leben und sie respektieren.
Ist das Referendum als ein Element der direkten Demokratie weiterhin richtig?
Fegebank: Wir wollten und wollen bei Großprojekten die Meinung des Volkes haben, jenseits von Wahlen und jenseits des politischen Alltagsgeschäfts. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass das der richtige Schritt ist, und halte an Referenden weiter fest.
Können Großprojekte in Hamburg
überhaupt durchgesetzt werden?
Fegebank: Ich hoffe das sehr, übrigens auch über Referenden. Wir müssen dann jeweils mit überzeugender Kraft für Mehrheiten werben.
Die Erfahrung zeigt, dass sich das Volk fast immer gegen die Politik entscheidet.
Fegebank: Das stimmt nicht. Wir hatten einen zwar denkbar knappen, aber erfolgreichen Volksentscheid für den Rückkauf der Energienetze. Da haben sich die Bürger positiv für etwas ausgesprochen.
Aber der Volksentscheid war gegen die Politik des damaligen Senats gerichtet, die Grünen waren in der Opposition. Das ist es ja gerade: In Hamburg kann sich der Senat in Volksentscheiden und Referenden beim Volk nicht durchsetzen.
Fegebank: Die Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass es ganz schwierig für Regierungen ist, Großprojekte alleine durchzusetzen – selbst wie jetzt im Schulterschluss mit Teilen der Opposition. Wir brauchen bei diesen Projekten immer die doppelte Mehrheit, also die Mehrheit im Parlament und die Akzeptanz bei den Bürgern.
Haben Bürgerschaft und Senat an
Gestaltungskraft verloren?
Fegebank: Wir haben mit der Volksgesetzgebung der letzten Jahre einen Standard erreicht, von dem ich nicht glaube, dass man ihn zurückdrehen sollte oder kann. Wir müssen in Zukunft auf anderen Wegen dafür sorgen, dass wir auch Mehrheiten erzeugen können.
Gibt es nicht immer eine Mehrheit der Menschen, die glauben, sie würden ohnehin nicht profitieren, und deswegen mit Nein stimmen?
Fegebank: Ich glaube das nicht. Man darf die Menschen auch nicht über einen Kamm scheren. Es ist bei vielen ein Prozess bis in die letzten Tage hinein gewesen, ehe sie sich in die eine oder andere Richtung entschieden haben.
Ihre Aussagen sind insgesamt stark von Hoffnung geprägt ...
Fegebank: (lacht) In diesen Tagen nicht das Schlechteste, oder?
In gewisser Hinsicht, ja. Trotzdem: Es scheint so zu sein, dass sich Teile der Bürgergesellschaft von der Politik abgekoppelt haben. Sie verweigern sich vielleicht sehr grundsätzlich. Woraus schöpfen Sie die Hoffnung, diese Menschen in Zukunft zu erreichen?
Fegebank: Die Neinstimmen verteilen sich quer durch alle Parteien bis tief ins bürgerliche Lager. Ich ziehe aber nicht den Schluss, dass diese Menschen sich vollständig von der Politik abgekoppelt haben. Im Gegenteil: Sie haben sich ja in großer Zahl an einer politischen Entscheidung beteiligt. Sie haben nur mehrheitlich in dieser einen Frage Nein gesagt. Ich kann aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis berichten. Viele haben gesagt: Olympia ist eine schöne Idee, aber übernehmen wir uns da nicht oder können wir das alles schultern, gerade auch angesichts des drastischen Anstiegs der Flüchtlingszahlen? Diese Frage wurde mir häufig gestellt, und deswegen hatte ich schon vor Sonntag das Gefühl, dass das eine ganz enge Kiste wird.
Kann Politik nicht mehr überzeugen?
Fegebank: Die Frage ist doch, ob wir alle gemeinsam nicht mehr überzeugen können: von den Sportvereinen über die Medien und Großunternehmen bis hin zu kleinen Start-ups. Es war keine Frage des Misstrauens in die Politik des Senats oder der Bürgerschaft. Ich möchte das trennen: Abstimmung über Olympia und Vertrauen in die Politik.
Sie machen sich bei Referenden abhängig von der politischen Großwetterlage. Oder muss man da nicht den Mut haben, es ohne Abstimmung zu machen?
Fegebank: Nein, auf keinen Fall. Ich warne auch davor, jetzt Wählerschelte zu betreiben. Ich glaube, dass das ein sehr differenzierter Abwägungsprozess bei den meisten war und keine provinzielle Kleinmütigkeit oder Muffeligkeit. Es gab das Warnschild: Wir haben die Sorge, dass wir das im Moment nicht schultern können.
Sind die Hamburger zu mutlos?
Fegebank: (Lange Pause) Nein, ich denke, dass die Hamburger wollen, dass sich die Stadt nach vorn bewegt. Sie wollen wie wir eine nachhaltige Stadtentwicklung, die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, einen Innovationsschub. Diese Ziele bleiben, aber die Wege dahin haben sich nach dem Referendum geändert. Ich bin mir sicher, dass wir die Hamburger da an unserer Seite haben werden.
Aus der Abstimmung über Olympia können Sie das alles doch nicht herauslesen.
Fegebank: Nein. Ich meinte die Gründe, die für uns Grüne am Anfang ausschlaggebend waren, für Olympia zu stimmen. Diese Ziele bleiben bestehen.
Wie beurteilen Sie die Äußerungen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der Bund hätte Hamburg zwar finanziell unterstützt, aber nicht im gewünschten Maße?
Fegebank: Es ist aber sicherlich nicht von Vorteil gewesen, dass der Bund keine klarere Aussage zu den Finanzen vor dem Referendum gemacht hat. Das war bei vielen ein Beitrag dazu, dass die Unsicherheit größer war als die Hoffnung.
Hat es an Unterstützung aus dem Bund gefehlt?
Fegebank: Das war eine Ursache dafür, dass es so viele Zweifel gab.
Der Erste Bürgermeister hat gesagt: Wir können 1,2 Milliarden Euro zahlen, 6,2 Milliarden muss der Bund übernehmen, sonst ziehen wir die Bewerbung zurück. Haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Bund nicht erpressen lassen wollte?
Fegebank: Ich finde es völlig legitim, gerade bei so einmaligen Projekten Erwartungshaltungen zu formulieren.
Es war keine Erwartungshaltung, sondern ein Ultimatum. Der Bürgermeister hat gesagt, wenn Hamburg mehr als 1,2 Milliarden zahlen muss, steigen wir aus.
Fegebank: Wichtig ist doch eine Klarheit gegenüber den Bürgern. Es ging doch ums Referendum. Es ist völlig nachvollziehbar, dass wir sagen, so viel können wir ausgeben und nicht mehr. Darauf müssen sich die Hamburger verlassen können. Und dann muss klar sein, dass darüber hinaus der Bund einsteigen muss. Das war sehr transparent von uns.
Wie soll der Bund reagieren, wenn Olaf Scholz das öffentlich sagt? Da bleibt nur, zu akzeptieren oder auf Zeit zu spielen.
Fegebank: Der Bund hat sich offensichtlich für die zweite Variante entschieden.
Die Olympiaträume sind nun passé. Was zum Beispiel bleibt, sind die Unterbringungsprobleme bei den Flüchtlingen. Aller Voraussicht nach werden zu Weihnachten noch Flüchtlinge in Zelten leben. Das war anders angekündigt.
Fegebank: Das stimmt. Wir werden vermutlich noch einige Hundert Flüchtlinge an der Schnackenburgallee und am Ohlstedter Platz in beheizten Zelten haben. Wir haben alle Anstrengungen unternommen, Erstaufnahme- und Folgeeinrichtungen zu errichten. Bei den Flüchtlingszahlen der letzten Wochen und Monate treffen wir aber auf die harte Realität.
Was sollte angesichts dieser Probleme gemacht werden, um Flüchtlinge menschenwürdig aufzunehmen?
Fegebank: Wir müssen sehr schnell sein, weil wir bis Ende nächsten Jahres Flüchtlinge in der Größenordnung der Einwohnerzahl Flensburgs aufnehmen, unterbringen, versorgen, beraten, beschulen, in Arbeit bringen und integrieren müssen. Das sind rund 80.000 Menschen. Das sind etwa 35.000 mehr als in diesem Jahr.
Kann das gelingen? Und wenn ja, wie?
Fegebank: Ich finde, man sollte etwas größer jenseits der Stadtgrenzen denken. Integrationspolitik hört ja nicht am Ortsausgangsschild auf, sondern braucht die Kraft der Region, der Metropolregion. Es gibt ja den Trend, dass es die Menschen in die Städte zieht. Hier können sie schneller Kontakte zu anderen Menschen aufnehmen, hier gibt es einen Breitbandanschluss, Ausbildungsperspektiven und Jobmöglichkeiten. Das gibt es so nicht in dünn besiedelten Regionen. Wir haben in der Metropolregion gute Beziehungen im Bereich Wirtschaft und Tourismus. Die Frage ist, ob man mit Stade, Elmshorn, Buxtehude, Pinneberg, Norderstedt oder Ahrensburg auch eine Integrationsregion machen kann.
Das heißt, Flüchtlinge sollen die Ballungsräume ähnlich nutzen wie die Einheimischen.
Fegebank: Richtig. Hier haben wir genau das, was wir jenseits der Unterbringungsmöglichkeiten brauchen: Infrastruktur, Mobilität, Bildungsangebote und Arbeitsmarktintegration. Das ist die Idee einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Das wird neben der Schaffung der Erstaufnahmemöglichkeiten die größte Aufgabe sein, die gesellschaftliche Integration herzustellen.
Was könnte der Anreiz für die Städte sein, das mehr als bisher zu tun?
Fegebank: Nur um das klarzustellen: Mir geht es hier nicht um die kurzfristige Unterbringung. Ich will keine Busse mit Flüchtlingen nach Itzehoe schicken. Mir geht es darum, eine langfristige, gemeinsame Integrationsstrategie zu entwickeln. Mit Blick auf den Fachkräftemangel und den demografischen Wandel halte ich das für alle für eine sehr bedenkenswerte und interessante Überlegung. Das gilt nicht nur für Hamburg, sondern auch für die mittleren Zentren. Natürlich profitiert man nicht sofort davon, das wird ein paar Jahre dauern. Aber es wird Wachstum und Arbeitsplätze auch für das Umland bedeuten.
Ist vorstellbar, dass der Senat
von dem bisherigen Dogma abrückt,
Schulturnhallen nicht mit Flüchtlingen zu belegen?
Fegebank: Ich sehe nicht, dass wir Schulturnhallen dafür öffnen.
Die Grünen haben sich von kleinen Einheiten bei den Flüchtlingsunterkünften verabschiedet. Können Sie die Vorbehalte gegen Massenunterkünfte verstehen?
Fegebank: Es gibt die Akzeptanzprobleme. Ich finde es wichtig, sich diese anzuhören und die artikulierte Sorge ernst zu nehmen, aber dennoch sehr klar in der Haltung zu sein. Die Zeit spielt gegen uns. Wir sprachen eben darüber, dass zu Weihnachten noch Menschen in Zelten leben werden. Das heißt doch, dass wir noch sehr viel schneller sein müssen mit dem Bau von Erst- und Folgeunterkünften. Gleichzeitig bitte ich um Verständnis, dass der Zeitraum der Beteiligungsverfahren verkürzt wird. Das ist ein schwieriger Balanceakt, weil man eher Akzeptanz erhält, wenn man die Leute frühzeitig mitnimmt.
Für die betroffenen Bürger ist das hart.
Fegebank: Man muss mit den Bürgern darüber diskutieren, wo die Alternativen sind. Ich sehe die nicht. Und deshalb halte ich den Kurs für richtig, der bei uns auch sehr, sehr kontrovers diskutiert wird. Aber hier geht es um Menschen, die ein Dach über dem Kopf brauchen, die eine Lebensperspektive entwickeln müssen.
Eine Alternative wäre, den Zuzug zu begrenzen.
Fegebank: Das funktioniert nur in CSU-Parteitagsreden. In der Realität müssen wir die Fluchtursachen bekämpfen und zu einer fairen Kontingentregel auf europäischer Ebene kommen. Ich setze darauf, dass das gelingt, kann aber nicht darauf warten, sondern muss mit der Situation vor Ort umgehen.
Befürchten Sie eine Klagewelle?
Fegebank: Es stimmt mich natürlich nachdenklich, wenn Bürger den Weg über die Gerichte suchen. Bei allem Verständnis für die Menschen, in deren Nachbarschaft eine Menge passiert, bin ich davon überzeugt, dass unser Weg der richtige ist.
Aber jede Klage ist auch ein gescheiterter Integrationsversuch.
Fegebank: Ich hoffe, dass wir durch die Darstellung der Gesamtsituation, der fortwährenden Dialogbereitschaft und einer guten Präsenz vor Ort für Akzeptanz werben. Da sind Klagen mahnende Beispiele, dass man es an der einen oder anderen Stelle intensiver tun müsste. Wichtig ist auch, dass die Hamburger das Gefühl bekommen, es geht bei der regionalen Verteilung so gerecht zu, wie es möglich ist.
Noch einmal zurück zum Sonntag: Macht Ihnen Politik nach einer solchen Niederlage eigentlich noch Spaß?
Fegebank: Mir macht Politik große Freude, sonst würde ich das nicht tun. Und ich hoffe, dass ich das transportiere, dass ich mit Leidenschaft bei der Sache bin. Aber am Sonntagabend und auch noch am Montag war ich sehr geknickt. Man macht weiter und funktioniert, weil Stunde für Stunde viele Dinge zu entscheiden sind. Es gehört aber auch dazu, dass es nach so einer Entscheidung über eine Sache, für die ich aus Überzeugung gestanden habe, ein paar Tage dauern darf, bis das gesackt ist und man sich gesammelt hat. Zur Politik gehört dazu, dass man mit Niederlagen so umgeht, dass man gestärkt daraus hervorgehen kann.