Sie ist Schwester Aloysius in “Doubt“, sie war der Teufel, der Prada trägt und als Karen Blixen “Jenseits von Afrika“. Meryl Streep macht Rollen unvergesslich. Ein Gespräch über Ohnmacht und Oscars, Opern und Obama.

Der Name Meryl Streep ist Synonym für hohe Schauspielkunst. Für ihre Darstellung einer unerbittlichen Nonne im Drama "Doubt" (deutscher Titel "Glaubensfrage"), die ihr auch den Award der Schauspielergewerkschaft bescherte, wurde sie zum 15. Mal für einen Oscar nominiert. Der Film ist ab 5. Februar bei uns auf der Leinwand zu sehen ist, allen voran den für seine brillante Hauptdarstellerin. Mariam Schaghaghi hat die 59-Jährige in Paris getroffen.


Journal:

Meryl Streep, wie ergeht es Ihnen, wenn Sie so ein gutes Drehbuch wie hier für "Doubt" lesen? Macht es Ihre Aufgabe einfacher - oder gerade deswegen zu einer größeren Herausforderung?

Meryl Streep:

Ich fühle mich erleichtert! Denn je besser das Drehbuch ist, desto mehr Futter hat man als Schauspieler. Ich fand es hervorragend, wie ausgewogen dieses Stück ist, dass beide Seiten, Schuld und Unschuld, sich die Waage halten. Wie authentisch! John Patrick Shanley, der das Drehbuch schrieb und Regie führte, ist selbst von Nonnen und Priestern erzogen worden.



Kannten Sie "Doubt" denn schon als Broadway-Version?

Ja. Es ist ja selten, dass ich Rollen spiele, die ich schon mal bei anderen gesehen habe! Aber hier war es so. Meine Freundin Cherry Jones hat die Hauptrolle jahrelang gespielt. Das musste ich erst einmal aus meinem Gedächtnis löschen. Ich wollte ja nichts klauen ... Obwohl ich zugeben muss, dass ich doch manchmal dazu neige! Es war also eine Herausforderung, die mir aber sehr viel Spaß gemacht hat.



Es geht auch um Macht und Diskriminierung. Wurden Sie je in Ihrem Leben diskriminiert?

Natürlich, und ob! Viele Male sogar. In meinem Beruf ist es zum Beispiel so, dass Frauen viel weniger Geld verdienen als Männer. Was keine echte Überraschung ist, das ist genau wie in anderen Berufen. Das ist eine Form der Diskriminierung, ich wurde aber auch schon als junge Schauspielerin wegen meines Aussehens diskriminiert. Als Frau begreift man schnell, dass es Grenzen gibt bei dem, was man tut.



Wie ist es mit dem Thema Alter? Sie werden im Sommer 60 Jahre alt - bekommt eine ältere Schauspielerin nicht mehr so viele Rollen angeboten?

Es ist schwer, das zu monieren, denn auf der Skala der Ungerechtigkeiten, die es auf dieser Welt gibt, ist das nicht wirklich bedeutsam. Das ist jedenfalls keine große Ungerechtigkeit. Wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Staatsangehörigkeit oder ihres Aussehen diskriminiert werden und leiden, ist das heftiger. Aber Menschen sind eben so: Die einen mögen keine Deutschen, die anderen keine Dicken, die nächsten keine Alten. Menschen scheinen sich einfach gerne gegenseitig zu diskriminieren. Geben Sie einem Menschen einen Grund, einen anderen nicht zu mögen - und er wird ihn dankbar annehmen!



Sie spielen eine Nonne, Schwester Aloysius. Welchen Aspekt finden Sie an ihr am beeindruckendsten?

Ich finde sie unendlich interessant! Sie wirkt ja sofort Angst einflößend, ist durch und durch eine autoritäre Respektsperson. Dabei ist sie genau genommen eine Frau, die gar keine Macht hat - außer über Kinder vielleicht. Sie ist zwar Schulleiterin, aber ihr Vorgesetzter ist der Mann, der an der Schule Sport unterrichtet. Sie wird in ihrem Orden nie über ihre jetzige Position hinauswachsen können. Sie ist nachtragend, verzeiht nichts und ist völlig festgefahren in ihren Ansichten. Sie erinnert an einen Stahlpanzer - aber was hat sie zu einem solchen gemacht? Außerdem ist sie ungewöhnlich sensibel für das Thema "Sexueller Missbrauch von Kindern". Warum? Was ist da in ihr drin? Sie riecht es ja förmlich, wenn so etwas im Raum steht - all diese Fragen haben mich beschäftigt und dazu geführt, dass ich in ihrer Vergangenheit gebohrt habe. Menschen und ihr Verhalten sind immer ein Resultat ihrer Vergangenheit, ihrer Wunden, ihrer Erfahrungen, ihrer Traumata. Das wurde mir bei Schwester Aloysius wieder bewusst.



Trotz aller Strenge und Härte hat die Schwester auch sympathische Züge. Ist das Ihnen zu verdanken?

Ich bin entzückt, dass Sie das so sehen! Manchmal bekommt man ein Skript, und die Figur ist sehr eindimensional dargestellt. Dann ist es dein Job, das zu untergraben, und zwei, drei, vier Schichten zu der Person hinzuzufügen, sie emotional zu verankern. Das habe ich zum Beispiel in "Der Teufel trägt Prada" getan, hier nicht.



Eine Nonne, eine Chefredakteurin - sehen Sie irgendeine Parallele zwischen Ihrem Charakter in diesem Film und Ihrer Rolle in "Der Teufel trägt Prada"?

Immer, wenn man in einem Film eine ältere Frau sieht, die eine Macht- oder Autoritätsposition innehat, empfindet man die Figur als beängstigend oder sogar monströs. Ich habe einige solcher Figuren gespielt: die Mutter eines Präsidentschaftskandidaten in "Der Manchurian Kandidat", die Chefredakteurin in "Der Teufel trägt Prada" und jetzt Schwester Aloysius. Das zeigt vielleicht, wie unwohl uns noch immer beim Anblick einer Frau auf einer Machtposition ist.



Sind Sie selbst eigentlich ein spiritueller oder gläubiger Mensch?

Ich interessiere mich sehr für Religion und religiöse Menschen, schon immer. Ich selbst gehöre aber keiner Kirche an, doch die Frage nach der Suche, nach dem Sinn des Lebens hat mich immer schon fasziniert. Ich empfinde mein Leben auch als Suche. Bisher bin ich jedoch nur so weit gekommen, dass ich die immense Größe dieser Frage besser erahnen kann.



Hat die Rolle der Nonne Sie auf Ihrer spirituellen Suche weitergebracht?

Nun, die Suche ist wahrscheinlich noch präsenter geworden - in meinem Alltag, in meinem Bewusstsein, aber auch wenn ich schlafe! Ich bin nicht sicher, ob es mein Verständnis wirklich vorangebracht hat, aber es hat dazu geführt, dass ich intensiver darüber nachdenke - definitiv.



Haben Sie selbst auch autoritäre Züge an sich? Können Sie richtig Strenge an den Tag legen, zum Beispiel bei der Erziehung Ihrer Kinder?

Wahrscheinlich schon! In jeder Familie gibt es ja einen Elternteil, zu dem die Kinder gehen, wenn sie eine Erlaubnis brauchen. Das ist meistens der Vater. Bei uns auch, ich bin die, die lieber nicht gefragt wird. Meine Kinder haben sogar einen Code für solche Angelegenheiten, und zwar "DTM". Das ist die Abkürzung für "Don't tell Mom", "Mama nicht erzählen". Ich habe das so oft am Telefon gehört, wenn sie miteinander telefoniert haben: "Das ist ja lustig! Toll! Ach so ... Okay. Na klar, DTM!" Ich habe nie gewusst, was sie damit meinen, es hat lang gedauert, bis ich dahintergekommen bin!



Wird sich Ihr Leben als Schauspielerin verändern, jetzt wo auch Ihre Jüngste flügge wird?

Noch lebt meine Jüngste zu Hause! Aber sie will im nächsten Jahr auf die Uni gehen, dann wird sich für mich schon etwas ändern. Und das Leben meines Ehemannes wird sich vor allem ändern. Dann kann er sich nämlich nur noch um mich kümmern!



Wie haben Sie das Kunststück hinbekommen: eine einzigartige schauspielerische Karriere aufzubauen und gleichzeitig vier Kinder großzuziehen?

Eigentlich ist das Filmgewerbe in dieser Hinsicht sehr entgegenkommend. Mir fällt sonst kein anderer Beruf ein, wo man sich die Arbeit so gut verteilen kann. Ich konnte gewöhnlich vier bis fünf Monate für einen Film arbeiten, und mir dann wieder vier bis fünf Monate frei nehmen. Ich habe daher wohl mehr Zeit mit meinen Kindern verbracht als die meisten berufstätigen Mütter.



Und wenn Sie im Ausland gedreht haben?

Ich bin nicht mehr so viel gereist, als die Kinder größer waren. Solange sie klein, handlich und transportabel waren, habe ich sie mitgenommen. Als sie größer wurden und Theater machten, dass sie lieber in ihrer Schule und bei ihren Freunden bleiben wollten, bin ich bei ihnen geblieben.



Glauben Sie, dass es für Ihre Kinder manchmal schwer ist, die Sprösslinge einer so bekannten Mutter zu sein?

Bestimmt, ja. Ich war sehr dankbar dafür, dass meine Eltern ganz normale Menschen waren. Meine Kinder sind da einer ganz anderen Situation ausgesetzt, das weiß ich schon! Aber ich habe immer zu ihnen gesagt, dass sie zwar sehr privilegiert sind, aber auch ein Handicap haben - nämlich mich! Ich bin eine Behinderung, das wissen und verstehen sie. Und ich habe ihnen gesagt, dass es gut ist, ein Handicap zu haben, sonst stünde ihnen nichts im Weg und sie hätten keine Ausrede, wenn sie mal nicht so gut abschneiden. So haben sie eine!



Von Ihnen erwartet man in Hollywood bei jedem Film eine oscarreife Leistung. Ist das kein hoher Druck?

Hmh - nun, ich suche mir die Rollen nicht danach aus, irgendein Pferderennen im Februar damit zu gewinnen. Ich porträtiere Menschen. Ich glaube, kein Schauspieler denkt bei seiner Rollenwahl daran. Man braucht manchmal ein paar Jahre, um über einen Charakter nachzudenken oder einen Film ...



Und wenn es doch passiert? Sie sind jetzt zum 15. Mal für einen Oscar nominiert worden, häufiger, als jeder andere Schauspieler. Sind Sie dennoch aufgeregt?

Ja, aufgeregt bin ich schon! Zumindest wenn es um die Oscar-Verleihung geht. Es gibt ja einen Haufen Auszeichnungen. Aber die einzigen, die für mich zählen, sind der Oscar und der "Screen Actors Guild Award" von der Gewerkschaft der Schauspieler. Weil da Schauspieler diejenigen sind, die die Entscheidung treffen. Wenn Sie hören würden, dass jeder Journalist in Europa sagt: "Ihre Arbeit war eine der fünf interessantesten Leistungen des vergangenen Jahres", dann würde das doch etwas ganz Besonderes sein. Das ist dann wirklich ein Lob.



Mit Ihnen sind Kate Winslet, Anne Hathaway, Angelina Jolie nominiert, eine andere Generation. Gibt es unter Ihren jungen Kolleginnen eine, die Sie ganz besonders bewundern?

Oh, ja, ganz viele! Amy Adams, die die junge Nonne spielt, finde ich zum Beispiel außergewöhnlich. Und auch Viola Davis, die in "Doubt" eine Mutter spielte, die bislang niemand kennt und die jetzt auch für den Nebenrollen-Oscar nominiert wurde, halte ich für eine unserer Besten. Von ihr wird man noch hören!



Passiert es Ihnen oft, dass junge Schauspieler vor Ehrfurcht erstarren, wenn das schauspielerische Schwergewicht Meryl Streep den Raum betritt und sie mit Ihnen zusammen arbeiten sollen?

Ach, ich genieße solche Momente, solange es irgendwie möglich ist. Denn kurz darauf vergesse ich meinen Text und jeder denkt: "Ohhhhh - die ist ja völlig doof!" Dann ist es vorbei! Schauspielerei besteht darin, zusammen zu sein und einander zuzuhören, auf einander zuzugehen. Um darin erfolgreich zu sein, muss man sich öffnen. Sobald man das während einer Probe macht, gibt es keine Barrikaden mehr. Wenn man das nicht hinkriegt, macht man seine Arbeit nicht ordentlich.



2008 war ein besonderes Jahr für Sie, vor allem wegen des gigantischen Erfolgsphänomens von "Mamma Mia!" Hat Sie das überrascht?

Nein, gar nicht. Wie soll man überrascht sein, wenn man bedenkt, dass allein 30 Millionen Menschen sich dieses Musical angesehen haben?! Mir war klar, dass das ein großer Erfolg wird. Aber Hollywood war überrascht, sehr überrascht sogar! Und es war herrlich, so viel Spaß wie bei diesem Film hatte ich selten in meinem Leben! Ich habe mich wirklich wie ein Rockstar gefühlt!



Sie sollten eine Fortsetzung vorschlagen ...

Sie meinen etwas in der Art von "Großmamma Mia"?



Stimmt es, dass Sie früher ernsthaft Opernsängerin werden wollten?

Ja, als ich 15 war. Aber seitdem nicht mehr. Ich kann singen, wenn man mich lässt. Und es macht mir auch Spaß. Aber meist singe ich nur, wenn ich allein bin, weil meine Kinder es nicht ausstehen können. Es ist ihnen todpeinlich! Sie könnten ja einen Freund zu Besuch haben, und da will niemand seine Mutter im Wohnzimmer singen hören. Das fänden sie furchtbar. Sie meinen es nicht persönlich, aber das Einzige, was sie mich gern machen ließen, war, sie herumzuchauffieren.



Wenn Sie abends nach Hause kommen, fühlen Sie sich nach einem Drama wie "Doubt" anders als nach einem unterhaltsamen, herrlich albernen Musical?

Wenn ich nach "Mamma Mia!" nach Hause ging, war ich fast komatös! Der Dreh war sehr anstrengend! Wir haben den kompletten Film mit einem Budget gedreht, das bei "Matrix" gerade mal für Requisiten gereicht hätte. Das Budget war längst nicht so groß, wie man erwarten würde! Also drehten wir schnell und mussten hart arbeiten. Ich war am Ende des Tages völlig platt. Allein um die falsche Bräune jeden Tag runterzukriegen, brauchte ich schon eine Stunde! Ich bin oft in der Badewanne eingeschlafen.



Ihr Lieblingslied von "ABBA"?

Natürlich "The Winner Takes It All". Ich liebe diesen Song!



Ein großer Gewinner ist gerade ins Weiße Haus eingezogen. Was wünschen Sie Ihrem neuen Präsidenten Barack Obama?

Ich hoffe, dass Obamas guter Wille länger als ein oder zwei Jahre hält. Und ich hoffe, dass man ihm volle Vergebung gewährt, wenn er einige Dinge nicht erreichen oder umsetzen kann. Denn das wird passieren, ganz klar. Immerhin sitzt da in Washington noch immer derselbe alte Kongress. Das wird nicht einfach für ihn werden!