Auf wundersame Weise ist er auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt. Er dient sogar dem Deutschland einig Vaterland. Seine Metamorphose zum neuen Bundesbürger ist noch längst nicht zu Ende. Eine ungewöhnliche Karriere - erzählt aus Sicht einer Mecklenburgerin.

Ein Gespenst geht um im vereinten Deutschland, das Gespenst des Ossis . Von den westlichen Schwestern und Brüdern ein Jahrzehnt lang milde belächelt, verschmäht oder gar tot geglaubt, läuft er jetzt zur Höchstform auf: als Kultfigur. Der Film "Good bye Lenin" von Wolfgang Becker, auf der Berlinale als bester europäischer Film mit dem "Blauen Engel" ausgezeichnet, ist bundesweit ein Publikumsmagnet. Bereits in der ersten Woche nach dem Kinostart am 13. Februar lockte er 500 000 Zuschauer in die Kinos, mit zwei Millionen wird gerechnet. Allein in Berlin läuft er in 15 verschiedenen Kinos - und alle Vorstellungen sind nahezu ausverkauft. Wie aus dem Nichts hatte der Ossi bereits 1999 in den Filmen "Sonnenallee" (Leander Haußmann) und "Helden wie wir" (Sebastian Peterson) vom Standort Berlin aus eine gesamtdeutsche Karriere gestartet, die bis heute ungebrochen ist. Jung und Alt klopfen sich auf die Schenkel, wenn er in seiner DDR-Alltagswelt auf der Leinwand erscheint, konserviert zwischen Einheitsschrankwand und Blümchentapete. So viel Beifall ist der Ossi nicht gewöhnt, denn im wirklichen Leben hatte er es schwerer. Vierzig Jahre lang musste sich der linientreue Biedermann aus der sozialistischen Platte gegen "bourgoise oder sogar subversive Elemente" (O-Ton DDR) behaupten und sich dafür von denen noch als "Zonenbrot" beschimpfen lassen. Kurz nach der Wende stand "der Ossi" als Klischeefigur plötzlich im öffentlichen Rampenlicht, entdeckt von Parteien und Medien, stellvertretend für 16 Millionen DDR-Bürger unterschiedlichster Gesinnung und Ausprägung, von denen sich die meisten unauffällig assimilierten. Trotzdem entlud sich an "dem Ossi" der Zorn über den neu eingeführten Soli-Zuschlag. Als ästhetische Anfechtung kam er daher, festzumachen an Dederon-(Nylon-) Kittel, Doppelrippunterhemd, ausgefranster Dauerwelle. Und meistens sprach er Sächsisch. Das ist kein Zufall. Der sächsische Dialekt verriet zweifelsfrei seine Ost-Herkunft, denn der emsige Sachse war schon zu DDR-Zeiten über die Grenze hinaus präsent gewesen: als Staatsratsvorsitzender, Grenzsoldat, Leistungssportler oder Musterschüler vom "Roten Kloster", der Leipziger Journalistenschmiede. Er kämpfte sächselnd für die DDR oder dagegen, manchmal sogar beides, nacheinander oder gleichzeitig; der behäbigere Mecklenburger dagegen - wat mutt, dat mutt - ließ den freien Horizont der Ostsee und das "Ohnsorg-Theater" aus dem Westfernsehen auf sich wirken, richtete sich weniger im Staat als in der Region gemütlich ein und war sprachlich kaum von einem Schleswig-Holsteiner zu unterscheiden. Den ersten öffentlichen Auftritt absolvierte "der Ossi" als Horden-Ossi im Wessiland. Zwei Wochen nach Maueröffnung schlängelte er sich in Hundertschaften mit je 100 D-Mark Begrüßungsgeld in der Tasche am Ku'damm vom Suppentopf zum Bratwurststand und raffte, was zu raffen war - Patchworklederjacken mit Silberadler-Applikation, Jogginganzüge für die ganze Familie und Kassettenrekorder im Sonderangebot, kurzum: die Ladenhüter der vergangenen fünf Jahre. Die Westberliner indessen, von Besatzungsängsten heimgesucht, flüchteten in den Grunewald. Doch kaum waren das Begrüßungsgeld verbraucht, Währungsreform und Wiedervereinigung vollzogen, da machte sich der triste Alltag breit, einhergehend mit Unmut über verlorene Illusionen. Der Jammer-Ossi war geboren. Klamm und unfähig, am gesellschaftlichen Wandel teilzunehmen, weinte er sich - gern platziert vor laufender Kamera - über die Wessis aus, sehnte sich zurück nach seinem heimeligen Ossi-Land. In PDS-Zirkeln (Wir leisten Nachbarschaftshilfe) und in der sonntäglichen Glückwunschsendung "Alles Gute" vom MDR, moderiert von Petra Kusch-Lück, einer alten Bekannten vom Ansagekollektiv des DDR-Fernsehens, fand er seine geistige Heimat und ein Stückchen archivierter Vergangenheit. Da war Egon Krenz, der letzte Staatsratsvorsitzende der DDR, schon längst in der Gegenwart angekommen: Mit seinen Memoiren "Wenn Mauern fallen" tourte er quer durch Deutschland, bevor er als Freigänger vom Gefängnis aus eine Vertreterkarriere startete. Aber bald erwachte auch der Ossi aus seiner Lethargie. Aufgestachelt von der "Super-Illu" und ermutigt von Vorzeige-Ossis wie Katarina Witt, dem schönsten Gesicht des Sozialismus, wie einst das Time-Magazin schrieb, und Quoten-Ossis wie Günther Krause und Claudia Nolte, die im Regierungskabinett von Helmut Kohl anheuerten, machte auch er keine Mördergrube mehr aus seinem Herzen. Mit neuem Selbstbewusstsein trotzte er, inzwischen in die Jahre gekommen, den Zeitläuften von nun an mit hartnäckiger Ostalgie. Der Ossi - ein Auslaufmodell? Nein, denn seine Kinder retteten ihn. Gleich zu Beginn der 90er-Jahre machten sie ihn samt seiner Devotionalien in Ost-Berliner Literaturzirkeln und einschlägigen Punkkneipen szenetauglich - bei Vita-Cola natürlich. Nur Jana Hensel (Autorin von "Zonenkinder") schämte sich ihrer Ossi-Eltern, besonders, wenn neue Westfreunde in Sicht waren. Die aber fanden sogar Gefallen am skurrilen Ossi-Wesen, sie griffen nach dem letzten Zipfel der untergegangenen Republik und entdeckten darin einen exotischen Abenteuerspielplatz mit Kostümfundus aus der Mottenkiste, auf dem man sich nach Belieben austoben durfte. Sie bastelten sich eine tragikomische Kunstfigur: den Kult-Ossi . An ihm kann das Publikum nach Belieben Wehmut, Schadenfreude, sogar die Vergangenheit abstreifen. Und sich endlich vereinen: "Wir lösen die Probleme im Vorwärtsschreiten."