Es gab nur einen, dem Henning Mankell seinen Kommissar Wallander zutraute: Rolf Lassgard. Jetzt wird er von Krister Henricksson abgelöst. Mankell über die Figur und ihren Wandel.

Henning Mankell , 58, gehört mit 22 Millionen verkauften Büchern zu den Weltstars der Kriminalliteratur. In seinen Romanen um Kommissar Kurt Wallander zeigt der Schwede drastisch, wie sich die Gesellschaft verändert hat. Das gilt auch für die neue 13-teilige Reihe "Mankells Wallander", die Mankell speziell fürs Fernsehen geschrieben hat. Auftakt ist am 2. Juni in der ARD der Film "Vor dem Frost" nach dem gleichnamigen Bestseller. Mankell erzählte uns, warum ihn der Wallander auch nach über 15 Jahren nicht losläßt.

JOURNAL: Die Verfilmungen Ihrer Krimis sind Publikumsrenner. Mittlerweile gibt es sogar zwei Wallander-Darsteller: Rolf Lassgard ermittelt seit Jahren im ZDF, im Juni bekommt er Konkurrenz von Krister Henricksson im Ersten. Ergänzen sich die beiden?

HENNING MANKELL: Als vor 15 Jahren die Wallander-Romane verfilmt werden sollten, stimmte ich zu. Bedingung: Ich bei der Besetzung das letzte Wort. Ich entschied mich für Rolf Lassgard. Er kommt als einziger für die klassischen Wallander-Romane in Frage. Für die ARD habe ich neue Geschichten ausgedacht. Durch die Figur der Tochter Linda beginnt eine neue Ära mit dem Schauspieler Krister Henricksson als Wallander. Ich finde das wundervoll.

JOURNAL: Wallander ist eine komplexe Persönlichkeit. Wie stellt man ihn authentisch dar?

MANKELL: Eine Figur ist nur glaubwürdig, wenn sie sich verändert. Deshalb habe ich Wallander immer wieder neue Meinungen und neue Krankheiten gegeben. Henricksson hat diesen Aspekt clever in seine Darstellung übernommen. Ich habe ihm geraten, an dem Charakter neue Seiten zu entdecken, die selbst ich nicht kenne.

JOURNAL: Warum haben Sie Wallanders Tochter Linda so viel Raum gegeben?

MANKELL: Die spannendsten Konflikte und Widersprüche unserer Gesellschaft liegen zwischen den Generationen, vor allem Eltern und Kindern. Ich wollte Wallander dabei zeigen, wie er von seiner Tochter herausgefordert wird. Linda gibt mir die Möglichkeit, ihrem Vater völlig neue Seiten abzugewinnen.

JOURNAL: Fiel es Ihnen schwer, aus der Perspektive einer Frau zu schreiben?

MANKELL: Ich bat eine Polizistin, für mich ein Geheimtagebuch zu führen. Es war interessant, das zu lesen: Es gibt Bereiche, in denen weibliche und männliche Polizisten unterschiedlich handeln. Etwa, wenn ein Selbstmörder vom Dach springen will. Da schickt man eine Polizistin. Frauen sind einfach leidenschaftlicher.

JOURNAL: Was macht Sie eine gute Literaturverfilmung aus?

MANKELL: Wenn man den Filmleuten Freiheiten läßt, kommen die besten Ergebnisse. Versucht man, ein Buch eins zu eins umzusetzen, wird das meistens nichts. Literatur und Film sind zu verschieden. Deshalb sage ich den Regisseuren, sie sollen ihre eigene Lösung finden. Selbst wenn sie dabei etwas an meinen Geschichten ändern müssen.

JOURNAL: Fällt es Ihnen schwer, den Wallander in andere Hände zu geben?

MANKELL: Das tue ich ja gar nicht. Ich gebe nur die Figur an Henricksson weiter. Aber sollte mir am Drehbuch etwas nicht passen, habe ich immer das letzte Wort. Ich mische mich aber nicht dauernd ein. Sobald meine Bedingungen akzeptiert sind, lasse ich sie machen.

JOURNAL: 1990 ermittelte Wallander in seinem ersten Fall. Wie hat sich das Verbrechen seitdem entwickelt?

MANKELL: Meine Geschichten werfen von Anfang an ein kritisches Auge auf die Gesellschaft. Vor 15 Jahren hätte man in Schweden noch keinen Container voller Flüchtlinge gefunden. Da hat sich also etwas geändert, das sich auf die neuen Geschichten niederschlägt. Das Organisierte Verbrechen hat sich in Europa in den letzten zehn Jahren rasant entwickelt. Auch Korruption ist stark gestiegen.

JOURNAL: Glauben Sie, daß Europas Gesellschaften heute umdenken und wieder Solidargemeinschaften bauen, in denen Schwache unterstützt werden?

MANKELL: Ich hoffe es. Jüngstes Beispiel in Italien: Berlusconi wurde abgewählt, weil das Volk eine andere, nicht korrupte Gesellschaft haben will. Auch in Frankreich gehen junge Menschen auf die Straße, um Rechte einzufordern. In Deutschland gab es ähnliche Proteste. Es liegt an uns Wählern.

JOURNAL: Welche sozialen Herausforderungen gibt es in Schweden?

MANKELL: Im Herbst wird bei uns gewählt, nach Umfragen werden diesmal wohl nur wenige zur Urne gehen. Deshalb sehe ich es als größte Herausforderung, Wähler zu motivieren. Wir müssen die Demokratie verteidigen, in ganz Europa. Demokratie ist nicht passiv. Zu ihr gehört, etwas zu tun oder zu sagen.

JOURNAL: Nicht wählen kann ein Ausdruck von Politikverdrossenheit sein.

MANKELL: Dagegen kann man kämpfen. Wer unglücklich mit seinen Politikern ist, kann sie abwählen. Zuhause bleiben und nichts zu tun, gilt nicht. Nur wer handelt, kann die Welt ändern.

JOURNAL: Ihre zweite Heimat ist Mosambik. Das Land im Süden Afrikas wurde in den 80er und 90er von Bürgerkriegen und Naturkatastrophen erschüttert. Wie stabil ist es heute?

MANKELL: Die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung vollzieht sich unglaublich schnell. Fantastisch, das zu sehen. Die Menschen haben die Möglichkeit bekommen, die Regierung mitzubestimmen. Die Demokratie ist zwar noch nicht zu 100 Prozent vollendet, aber sie wird stärker. Als ich vor 18 Jahren nach Mosambik kam, habe ich das nicht erwartet. Aber mit dem Fall der Mauer in Deutschland hat auch niemand gerechnet.

Mankells Wallander, ab 2. Juni im Ersten.