Mike Oldfield Interviews mag er nicht, andere Musiker läßt er so gut wie nie in sein Studio. Für den Klangkünstler der deutschen Band Schiller, Christopher von Deylen, machte er eine Ausnahme. Gemeinsam spielten die beiden zwei Songs ein. Das Journal besuchte sie in Oldfields Studio.
Zwei Pferde grasen auf einer Koppel vor dem Haus. Roter Backstein, weiße Holzfenster, kleine Erker. Kein Prunkbau, keine Nobelvilla, die man bei einem Star wie Oldfield vielleicht erwartet hätte. Neben einer Garage voller Motorräder ist das Studio. Die weiße Holztür steht offen, Oldfield kommt uns in Jeans und langärmeligen Polo-Shirt entgegen. Wer ihn nur von Hochglanz-Fotos kennt, hätte ihn nicht erkannt. Der Mann, der mit "Tubular Bells" 1973 Musikgeschichte schrieb, ist klein und wirkt fast schüchtern. Es gilt heute noch als das erfolgreichste Instrumentalalbum der Welt, verkaufte sich bis heute über 16 Millionen Mal; rund 25 Instrumente hat er selbst darauf gespielt. Vor fünf Jahren zog sein letzter großer Live-Auftritt in Deutschland über 500 000 Menschen vor das Brandenburger Tor, als er zur Jahrtausendwende seine Millennium Bells erklingen ließ: 2000 Jahre Geschichte als spektakuläre Bühnenshow.
Er führt uns in einen schummrig beleuchteten Raum, vorbei an einem 1928er Steinwayflügel. Zwei Computer stehen da und zwei riesige Bildschirme. An den Wänden hängen die Gitarren, sonst sieht es seltsam leer aus. Wo sind all seine anderen Instrumente? "Die hab' ich vor einem Jahr rausräumen lassen. Ich brauchte sie nicht mehr. Heute kann man fast alles mit dem Computer machen."
Und was machen Sie gerade? "Ich habe mein neues Album abgeschlossen, und jetzt langweile ich mich ganz schrecklich. Das ist immer so, erst bin ich deprimiert, dann kommt die große Langeweile."
Oldfields neues Doppelalbum heißt "Light and Shade" (Licht und Schatten), die neue Schiller-CD von Christopher von Deylen heißt "Tag und Nacht" - haben die beiden das abgesprochen? "Nein, ein schöner Zufall. Ich habe mir den Titel noch nicht einmal selber ausgedacht", gesteht Oldfield, "aber er paßt wunderbar, weil er zwei Seiten meiner Persönlichkeit spiegelt."
Mike Oldfield ist jetzt 52, Christopher von Deylen 34 Jahre alt. Spielt der Altersunterschied bei der gemeinsamen Arbeit eine Rolle? "Was ist schon Zeit. Ich war als junger Mann sehr viel älter als ich es heute bin", sagt Oldfield. Er spricht leise. Die Jahre haben Spuren hinterlassen in seinem Gesicht, denke ich. Und doch ist da dieses Blitzen in seinen Augen, eine kindliche Kraft, die ihn immer wieder neu beginnen läßt. Die gleiche Kraft, die von Deylen in seinen neuen Klangwelten entfesselt hat.
Von Deylen war gerade mal drei Jahre alt und spielte daheim in Visselhövede im Sandkasten, als Oldfield 1973 allein in einem kleinen Studio 25 Instrumente einspielte und zu seinen "Tubular Bells" zusammenmixte. Die Komposition - für jeden anderen Musiker unerreichbar. Bekommt man da vor Ehrfurcht überhaupt noch einen Ton raus? Von Deylen lacht: "Nervös war ich schon, als ich Mike meine Songs vorgespielt habe, aber letztlich fängt man mit jedem neuen Stück bei Null an. Auch die größten Erfolge können da nicht helfen. Im Gegenteil, sie sind eher hinderlich."
Scheu vor großen Namen kennt der Wahl-Berliner ohnehin nicht. Pink Floyd-Drummer Garry Wallis sitzt bei ihm am Schlagzeug. Auf der letzten CD sang Sarah Brightman. Dem neuen Album, das Ende Oktober herauskommt, schenkt Moya Brennan von der irischen Erfolgsband Clannad ihre mythisch-leuchtende Stimme, und Thomas D von den Fantastischen Vier steuert seinen unverwechselbaren Sprechgesang bei. Warum machen die nur alle mit?
Vielleicht ist es die zurückhaltende, aber auch kompromißlose Art des Musikers. Von Deylen ist einer, der sich von der Plattenfirma nicht vorschreiben läßt, was angeblich markttauglich ist. Das verbindet ihn mit Oldfield. Er will nicht den Superstar spielen, den alle anhimmeln. Er sucht neue, ungewöhnliche Wege. Für das Album "Weltreise" fuhr er gemeinsam mit seinem Vater von London nach Peking, 16 000 Kilometer in einem alten britischen Daimler, sammelte Töne, Stimmen, Inspirationen. Seine unkonventionellen Klangexperimente rüttelten die Musikbranche auf und stürmten die Charts. Was hat Oldfield gedacht, als er sie das erste Mal hörte? "Ein Bekannter schickte mir eine Schiller-CD aus Deutschland. Ich fühlte sofort, daß wir die gleiche Sprache sprechen. Christophers Musik hat eine Kraft, die dich ganz tief im Innersten berührt. Das ist selten."
Also habt ihr einfach zusammengearbeitet? "Ja, ich wollte ihm ein wirklich schönes Gitarrenstück machen. Dann hab' ich einige Takes eingespielt und ihm gleich alle geschickt. Unbearbeitet. Der Junge ist Profi, der wird schon wissen, was er daraus macht, dachte ich. Die Zusammenarbeit war klasse . . ." "Und ungewöhnlich", ergänzt von Deylen. "Mike hat sich ein Stück ausgesucht, ich habe es in einzelne Tonspuren zerlegt und auf meinen Server geladen." Oldfield holte sich den noch unfertigen Schiller-Song auf seinen Computer und schickte eine E-Mail: "Ist angekommen. Ich mach' das am Wochenende." Am Montag hatte von Deylen die Antwort. Den unverwechselbaren Oldfield-Sound, eingespielt mit der berühmten Stratocaster-Gitarre. Von Deylen machte sich ans Werk und schickte das Ergebnis als MP3 zurück. Oldfield war begeistert und lud den jungen Klang-Rebellen ein, auch auf seinem eigenen neuen Album bei einem Song mitzuwirken.
Nun sitzen die beiden zusammen und reden im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt, ihre Ängste, Träume, Hoffnungen und neue Projekte. Daß der eine ein Weltstar ist und der andere trotz Echo-Auszeichnung und zwei Goldenen Schallplatten erst am Anfang seiner Karriere steht, merkt man nicht. Da haben sich zwei gefunden, die musikalisch die gleichen Visionen haben und auch weiter zusammenarbeiten wollen. "Ich denke an ein Klang-Experiment mit völlig neuen Tönen. Wieso sollen wir uns immer nur an die vorgegebene Tonleiter halten? Es gibt eine spezielle Software, mit der wir per Internet gemeinsam an einem Stück arbeiten können", erklärt Oldfield. Spannend, findet von Deylen.
Daß so etwas vielleicht keine leichte Kost wird und die Hörgewohnheiten auf eine harte Probe stellt, stört beide nicht. Sie freuen sich wie zwei Schuljungs, die gerade einen Streich aushecken. Ohnehin geht es beiden nicht darum, auf Biegen und Brechen einen Mega-Hit zu landen. Wie Satelliten kreisen sie durchs Universum, unablässig Signale aus den Tiefen ihres musikalischen Weltbewußtsein sendend. Einige kommen an, andere werden vielleicht erst in Hunderten von Jahren entziffert werden können.
"Wenn ich Musik mache", sagt Mike Oldfield nachdenklich, "spüre ich manchmal diese ungeheure Kraft der Schöpfung. Etwas ist dann hier, nenn es Gott oder was auch immer. Ein Engel, ein Teufel oder beides. Es ist ein wunderbares Gefühl, mit dem ganzen Universum verbunden zu sein. Solche Momente sind selten, durch die Musik fühle ich eine Antwort, die ich mit dem Verstand nicht fassen kann. Früher hat mich das erschreckt, ich hatte Panikattacken, fühlte mich klein und unbedeutend."
Gibt es eine Zeit, in der beide gerne leben würden, wenn sie sich durch die Jahrhunderte beamen könnten? "Die Zukunft", sagen sie fast gleichzeitig und Oldfield ergänzt: "Millionen und Millionen Jahre in der Zukunft. Stellt euch vor, wir bräuchten keine Computer mehr, könnten direkt über unsere Gehirne in einem globalen Netz kommunizieren. Das wäre wundervoll."
Doch zum Heute gehört die manchmal harte und unbequeme Wirklichkeit des Musikbusiness. Wie kommt man da ohne größere Schäden durch? Oldfield räuspert sich und sagt mit einer Vehemenz, die uns zusammenzucken läßt: "Don't trust anybody." Von Deylen nickt. Und musikalisch? Wie lautet da der Rat des Altmeisters? "Musikalisch kann ich Christopher nichts beibringen. Er muß seinen eigenen Weg gehen. Ich kann ihm höchstens erklären, wie das Geschäft läuft. Ich habe viele Jahre gebraucht, um das zu begreifen. Die Musikbranche hat sich aber doch sehr verändert, oder? Ja. Wenn ich heute noch einmal 19 wäre und mit meinen Demobändern zu einer Plattenfirma ginge, würden die mich rausschmeißen."
Hat er heute noch vor irgendetwas Angst? Beunruhigt ihn der Zustand der Welt? Die Umweltzerstörung? Terrorismus? "Soll ich eine Liste machen?" fragt er beinahe eine Spur zu zynisch. "Ich habe unter so vielen Ängsten und Panikattacken gelitten. 20 Jahre Psychotherapie haben geholfen . . . vielleicht sind meine Therapeuten jetzt in Behandlung. Nein, ehrlich, ich bin glücklich, wenn ich Musik mache, mit meinen Hunden durch den Wald gehe oder bei meinen Pferden bin."
Er holt seine Gummistiefel, geht mit uns in den Garten. Im Flur hängt zwischen Goldenen Schallplatten ein Brief von Tony Blair an der Wand. Der britische Premierminister bedankt sich darin für Tubular Bells - "my all time favourite album", hat der Politiker dem getippten Gruß handschriftlich zugefügt. Auf der Pinnwand schräg gegenüber zwei Faxe von Oldfields Kindern: "Für den besten Daddy der Welt."