Der weiße Rapper hält sich für unersetzlich, um Amerika zu provozieren. Auch in Europa hat er bei den Jüngeren riesigen Erfolg, während die Älteren rätseln: Wie konnte das passieren?
So to the parents of America:
I am the derringer
aimed at little Erica
to attack her character...
(Das an die Eltern von Amerika:
Ich bin die Derringer,
gerichtet auf die kleine Erica,
die Attacke auf ihren Charakter...)
Zwar geht der Reim oben in der deutschen Übersetzung verloren, aber fest steht: Wer so etwas singt, ist kein Anwärter auf den Titel "Feingeist des Jahres". Eminems Songtexte kreisen manisch um ihn selbst als Super-Rapper, der die gelangweilten amerikanischen Kids aus der Beugehaft ihrer biederen weißen Eltern befreit und ihnen zum "Recht der freien Rede" verhilft. Auch wenn die "freie Rede" nur androht, auf den Rasen des Weißen Hauses zu pinkeln.
Mit solchen Geschmacklosigkeiten ist es Eminem gelungen, in drei Jahren mehr als 30 Millionen Platten zu verkaufen, sich wochenlang im Spitzenfeld auch der deutschen Charts zu halten und jetzt mit dem Film "8 Mile" sogar einen Erfolg als Kinostar hinzulegen.
Das Phänomen ist so ungewöhnlich, dass Medien und Kritiker mit Feuereifer nach Erklärungen suchten. In den USA wird der Vergleich zwischen Eminem und Elvis inzwischen überstrapaziert. Auch Elvis war als Nobody in eine Domäne der schwarzen Musik, den Rhythm & Blues, vorgestoßen, hatte sie für das weiße Publikum okkupiert und wurde damit zum King. So wie Eminem mit dem HipHop. "I am the worst thing since Elvis / to do Black Music so selfish / and use it to get myself wealthy", rappt er: Ich bin das Schlimmste seit Elvis, weil ich schwarze Musik einfach benutze, um reich zu werden.
Das hat er geschafft. Denn in den Augen vieler HipHop-Fans bringt Eminem etwas mit, das die Popindustrie nicht künstlich kreieren kann: "street credibility", jene Aura von Härte und Frechheit, die angeblich nur in der Armut, zwischen brennenden Autoreifen und mit dem Hunger nach Anerkennung entsteht. Marshall Mathers, der sich als Rapper nach dem Schoko-Drop M&M (= Eminem) nennt, hat genau die passende Biografie. Er verlebte seine vaterlose Jugend bei diversen Verwandten und in Wohnwagenparks, wechselte mindestens sechsmal die Schule, brach sie nach der neunten Klasse ab, jobbte als Kellner und gewann ein paar HipHop-Contests. Klagen pflastern seinen Weg, siehe Kasten unten. Das hat wohl auch den schwarzen HipHopper Dr. Dre beeindruckt, der Eminem entdeckte und förderte. Schon die erste gemeinsame Single "My Name Is" 1999 machte Eminem zum neuen "Krawallkönig, als Thronfolger von Marilyn Manson", so der "Rolling Stone".
Die Texte in seinem jüngsten Album "The Eminem Show" lesen sich wie das Begleitbuch zur Krawallkarriere. Eminem erzählt von seiner enttäuschenden Kindheit, vom Hass auf den Vater, der Frau und Baby verließ, von seinen Rachefantasien als betrogener Ehemann, von Frauen- und Schwulenverachtung und von dem Waffenkult, der ihn an den Gangstarappern so beeindruckte. Er stellt die Lebenstrümmer des White Trash wie Medaillen zur Schau. Selten ist dieser geistige Mikrokosmos im Pop so ausgewalzt worden.
Und selten mit so ungeheurer musikalischer Energie. Das zumindest billigen Eminem auch seine Kritiker zu. Er war 2002 "der Mann, der unsere Reflexe testete, der unsere Erwartungen brach und uns mit Freuden anspuckte", so der Popjournalist Rob Sheffield. In Deutschland, wo der HipHop trotz aller Unangepasstheit vergleichsweise zahm ist, tut man sich schwer damit, Eminems Erfolg zu erklären. Er sei "die HipHop-Version des Schriftstellers Michel Houellebeq", vermutet der "Tagesspiegel" etwas sozialpädagogisch, "beide traumatisiert durch die Scheidung der Eltern, eine Kindheit ohne Vater, beide rhetorisch wild um sich schlagend . . . Beide beziehen ihre Energie aus der Depression", der "Dünnhäutigkeit". Das verstünden die Jugendlichen heute. Ob der rasend schnell gerappte Slang hier wirklich immer verstanden wird, ist fraglich, aber wenn man Jugendliche fragt, was ihnen an Eminem gefällt, antworten viele: "Er sagt wenigstens, was er denkt."
In den USA hat eigentlich nur ein Grund ausgereicht, um ihn berühmt zu machen: Anstößigkeit an allen Fronten, von der Kollegen-Beleidigung über Präsidentenverhöhnung bis zum üblichen Sexprotz-Gehabe. In einem Land, in dessen Schulbibliotheken und Bücherhallen jährlich Tausende Bücher auf Druck strenggläubiger Christen indiziert werden - sogar "Huckleberry Finn" - und dessen tonangebende Mittelschicht "Sauberkeit" als Lebenssinn verkündet, wirken Eminem-Verse wie die Vorstufe des Satanismus. Die Vizepräsidenten-Gattinnen Tipper Gore und Lynne Cheney, die seit Jahren gegen krasse Songtexte zu Felde ziehen, reagierten prompt: Eminem sei "das Übel, das die Seelen unserer Kinder vergiftet", so Lynne Cheney.
Nur in einem einzigen Lied wird stellenweise ein anderer Eminem sichtbar: in "Hailies Song", seiner kleinen Tochter gewidmet. Um ihretwillen, sagt er selbst, habe er versucht, sich mit seiner Frau nach der Scheidung wieder zu versöhnen, habe "die Kugeln aus der Waffe genommen"; für Hailie schreibe er sogar "saubere" Versionen seiner Songs. Im nächsten Moment fordert er wieder Nachsicht, weil er von seiner Familie so mies behandelt wurde.
Nur: Wie lange kann man noch den Streetboy und Bürgerschreck geben, wenn man schon 30 ist und längst Millionär? Man muss auch an später denken. Vielleicht, heißt es in der Branche, war Eminems Duett mit Elton John bei der Grammy-Verleihung schon ein erster Versöhnungsschritt zum Mainstream. Als Nächstes ist ein Duett mit Robbie Williams geplant. Wenn das so weitergeht, gibt es in zehn Jahren ein Eminem-Christmas-Album, das dann auch die Eltern kaufen - wie bei Elvis.