Berlin. Einst galt Schweden als Europas Aushängeschild für Frieden und Sicherheit. Nur wenige Jahre später tobt dort die Bandenkriminalität.
Negativ-Schlagzeilen waren mit Schweden lange Zeit nicht zu machen. Die Modellnation stand für Frieden, Sicherheit und gelungene Zuwanderung. Innerhalb weniger Jahre hat sich das Bild aber gravierend zum Schlechteren gewandelt. Mittlerweile gilt das skandinavische Land als Brennpunkt der Bandenkriminalität. In Stockholm starben allein im September 2023 elf Menschen bei Schießereien, darunter auch ein 13-Jähriger. In der schwedischen Unterwelt werden immer öfter Kinder zu Fußsoldaten.
Schweden und sein unschönes Erwachen in der neuen Realität – „Kein Land in Europa hat etwas Vergleichbares erlebt“, konstatierte Ministerpräsident Ulf Kristersson von der Moderaten Sammlungspartei dazu auf einer Pressekonferenz Ende September 2023. Die Regierung greift nun drastischen Maßnahmen und rief die zweithöchste Terrorwarnstufe aus. Wie konnte es dazu kommen?
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Schweden: Hohe Tötungsrate durch Schusswaffen – Aufklärungsrate am Boden
Die Rate der Toten durch Schusswaffen ist in den vergangenen Jahren sprunghaft angestiegen und erreichte im vergangenen Jahr einen traurigen Höhepunkt. Das Land weist mittlerweile die zweithöchste Rate an Todesfällen durch Schusswaffen in Europa auf. Elf Todesfällen allein im September 2023 markieren einen düsteren Rekord. Insgesamt hatten im Laufe des vergangenen Jahres 363 Schießereien 53 Tote zurfolge, wie unter anderem der schwedische Fernsehsender SVT berichtet.
Hotspot der Gang-Kriminalität ist die Hauptstadt Stockholm, wo die Mordrate laut „Wall Street Journal“ 30 Mal höher ist als in London. Dabei liegt die Aufklärungsquote bei tödlichen Schießereien laut einem Polizeibericht aus dem Jahr 2022 bei nur 25 Prozent.
Ein Großteil der Gewalt geht auf Bandenkriege zurück, in denen immer mehr Gruppen um Territorien und den lukrativen Drogenhandel konkurrieren. Experten schätzen die Zahl der Bandenmitglieder in Schweden auf rund 30.000. Ein Vergleich mit El Salvador, wo laut einem Bericht des „Stern“ seit Ende März 2022 rund 65.000 mutmaßliche Bandenmitglieder verhaftet wurden, verdeutlicht das Ausmaß des Problems.
Fehde zwischen Bandenführern eskaliert: Morde über Ländergrenzen hinweg
Neben den Auseinandersetzungen um den Drogenhandel scheinen sich die Banden zunehmend auch intern zu bekämpfen. Schwedische Medien, darunter der Sender SVT, berichten, dass diese internen Konflikte eine neue Stufe der Gewalt in der Unterwelt des Landes entfesselt haben. Insbesondere die Rivalitäten innerhalb des berüchtigten Foxtrot-Netzwerks werden für eine steigende Zahl von Morden verantwortlich gemacht.
Im Zentrum des Konflikts steht unter anderem der 36-jährige Rawa Majid, auch bekannt als „Kurdischer Fuchs“, ein Spitzname, der sich von seinem Vornamen ableitet und Assoziationen zum schwedischen Wort für Fuchs, „Räven“, weckt. Der mit Haftbefehl gesuchte Majid gilt als Kopf des Foxtrot-Netzwerks. Er soll sich laut schwedischen Medien zusammen mit einer weiteren Schlüsselfigur der Organisation, dem 33-jährigen Ismail Abdo, genannt „Erdbeere“, in der Türkei versteckt halten.
Auftragsmörder zum Sparpreis: Gangster schrecken nicht vor Unbeteiligten zurück
Die Auseinandersetzung zwischen dem „Kurdischen Fuchs“ alias Rawa Majid und der „Erdbeere“ alias Ismail Abdo begann demnach, als ein Mitglied aus Abdos Umfeld in Istanbul misshandelt wurde, berichtet der Sender SVT. Kurz darauf wurde ein Anschlag auf eine Unterkunft verübt, die mit Majids Gruppe in Verbindung stand.
Der Konflikt erreichte Schweden demnach am 7. September, als es in der schwedischen Stadt Uppsala zu einer dramatischen Eskalation kam: Die Mutter von Ismail Abdo, eine etwa 60-jährige Frau, wurde erschossen. Die örtliche Polizei sprach von einer regelrechten Hinrichtung. Auch Majids Schwiegermutter soll nur knapp einem Attentat entgangen sein, wie die österreichische Tageszeitung „Standard“ berichtete. Seit diesem Vorfall ist das Foxtrot-Netzwerk tief gespalten.
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Jugendliche Killer: „Jeder tötet“ – Besonderes Strafrecht erschwert Verfolgung
Schwedische Bandenchefs setzen bei ihren gewalttätigen Auseinandersetzungen offenbar zunehmend auf junge Rekruten im Alter von 14 bis 16 Jahren. Einem Bericht von „Sky News“ zufolge zahlen kriminelle Organisationen ihren Mitgliedern wohl bis zu 50.000 Kronen (ca. 4300 Euro) für die Verletzung eines Rivalen durch einen Schuss ins Bein. Für Auftragsmorde, für die früher bis zu einer Million Kronen (ca. 86.300 Euro) gezahlt wurden, sind die Preise demnach so weit gesunken, dass nach Aussage eines Bandenmitglieds Mord zur täglichen Praxis geworden sei und „jeder tötet“.
Nach Angaben der Europäischen Union gibt es in Schweden keine Spezialgerichte für jugendliche Straftäter. Kinder unter 15 Jahren können nicht strafrechtlich verfolgt werden, sondern werden von Sozialdiensten betreut. Jugendliche Straftäter zwischen 15 und 18 Jahren müssen sich vor ordentlichen Gerichten verantworten, erhalten aber „besondere Strafen“, die ihrem Alter entsprechen, heißt es auf der Website der Europäischen Union. Erst zwischen 18 und 21 Jahren werden Jugendliche zu den gleichen Strafen verurteilt wie Erwachsene.
Neue Ansätze: Schweden diskutiert Strafrechtsreform – Militäreinsatz gegen Banden?
Als Reaktion auf die eskalierende Bandenkriminalität hat die schwedische Regierung angekündigt, härter gegen die Bandenkriminalität vorzugehen. In einem entschlossenen Schritt kündigte der schwedische Premierminister Ulf Kristersson Ende 2023 an, künftig auch das Militär zur Bekämpfung der Bandenkriminalität einzusetzen. Diskutiert werden auch eine mögliche Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters und die Einrichtung von Jugendgefängnissen, in denen Jugendliche getrennt von Erwachsenen untergebracht werden können.