Berlin. Vor über 16 Millionen Jahren streiften Urdelfine auf Beutesuche durch das Amazonas-Gebiet. Heutige Verwandte finden sich in Asien.
Der Amazonasregenwald gilt als Lunge der Welt. Vor Millionen von Jahren stand der endlose Dschungel allerdings weiträumig unter Wasser. Und diese Gewässer wurde wahrscheinlich von einem Raubtier dominiert, dem der Menschen ein friedliebendes Image zuschreibt: Der Delfin. Wissenschaftler hoben in Peru ein gut erhaltenes Skelett des größten je dokumentierten Flussdelfins aus – und staunten, als sie feststellten, wo der nächste Verwandte des Urdelfins zuhause ist.
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Mit mindestens drei Metern Körperlänge und einem 70 Zentimeter langen Kopf scheint der Pebanitas yacuruna – so tauften die Wissenschaftler der Universität Zürich ihren Fund – eigentlich kaum zu übersehen. Als Studienautor Aldo Benites-Palomino das Sediment am Ufer des peruanischen Flusses Napo untersuchte, hatte er zunächst scheinbar nur eine seltsame Gesteinsformation vor Augen. Bei Co-Autor John J. Flynn schrillten aber die Alarmglocken.
Der US-Amerikaner ist im American Museum of Natural History in New York für Säugetierfossilien zuständig und identifizierte das Gestein als Schädelfragment eines Flussdelfins. Sensationell ist der Fund, weil fließende Gewässer Skelette meist auflösen und abtragen bevor sie zu Fossilien versteinern können. Die zugehörige Studie erschien nun in der Fachzeitschrift „Science“ obwohl das Skelett bereits 2018 ausgehoben wurde.
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Urdelfine standen an der Spitze der Nahrungskette im Amazonas
Mithilfe einer radiometrischen Untersuchung konnten die Paläontologen das Fossil auf ein Alter von rund 16 Millionen Jahren datieren. Ob Pebanitas yacuruna damals in Flüssen auf Streifzug gegangen war, scheint allerdings fragwürdig. Denn statt des größten Dschungels der Welt erstreckte sich am Fuße der Anden ein gewaltiger Süßwassersee über Teile Brasiliens, Kolumbiens, Ecuadors und Perus.
Die sogenannte Pebas-Formation, ein ausuferndes Feuchtgebiet erstreckte sich einst über eine Million Quadratmeter und verleiht dem Urdelfin den ersten Teil seines wissenschaftlichen Namens. „Yacuruna“ ist dagegen eine Hommage der Wissenschaftler an die Mythologie der indigenen Amazonas-Bewohner. In der örtlichen Quechua-Sprache steht der Begriff für Menschen, die im Wasser ertrunken sind und als Delfine im Fluss weiterleben.
Noch heute streifen rosafarbene Süßwasser-Delfine durch den Amazonas und seine Nebenflüsse. Dass sie von der neu entdeckten Urdelfin-Art abstammen, wäre allerdings eine Fehlannahme. Denn zur Verwunderung der Paläontologen finden sich die nächsten Verwandten von Yacuruna in Südostasien. Die Forscher um den federführenden Doktoranden Benites-Palomino gehen aber nicht davon aus, dass sich Delfine aus dem Mekong oder dem Jangtse nach Südamerika verirrten. Viel mehr sei anzunehmen, dass sich mehrere prähistorische Delfin-Arten in verschiedenen Erdteilen weiter ins Landesinnere vorwagten und mit ähnlichen Anpassungsentwicklungen auf die neue Umwelt reagierten.
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Mittlerweile ausgestorben – Doch die Delfine in Südamerika sind keine Nachfahren
Trotz ihres friedeliebenden Rufs, sind Delfine Fleischfresser und Raubtiere. Mit drei Metern Körperlänge, extremer Agilität und einer Reihe messerscharfer Zähne zählten die Urdelfine zu den gefährlichsten Räubern in südamerikanischen Gewässern. „In diesem Ökosystem dürften Flussdelfine das ‚Apex-Raubtier‘ gewesen sein“, erklärte Jorge Velez-Juarbe vom Naturhistorischen Museum in Los Angeles gegenüber „CNN“. Ein Mangel an Fressfeinden und Nahrungskonkurrenz, so die Annahme, habe den Urdelfin zu gigantischen Ausmaßen anwachsen und zur Dominanz in den Jagdrevieren verholfen haben. Bevor Delfine vor rund 20 Millionen Jahren erstmals in größerer Zahl flussaufwärts gezogen waren und sich an das Leben im Süßwasser gewöhnt hatten, waren viele Vertreter der Familie zwergenhaft, verglichen mit heutigen Spezies.
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Modernen Flussdelfinen droht aktuell weltweit dasselbe Schicksal wie ihren ausgestorbenen Vorfahren. Während Yacuruna das Austrocknen der Pebas-Formation zum Verhängnis wurde, dezimieren zahlreiche Faktoren heutzutage die Population. Während der moderne Jangtse-Delfin seit 40 Jahren nicht mehr in freier Wildbahn gesichtet wurde, bedrohen die amazonischen Vertreter eine Vielzahl von Faktoren.
Quecksilber-Kontamination durch illegales Goldschürfen, Überfischung, steigender Bootsverkehr sowie Dämme und Wasserkraftwerke setzen dem Bestand zu. Besonders viele Delfine werden für die Jagd auf schmackhafte Riesenwelse getötet und als Köder missbraucht. Künftig dürften aber steigende Temperaturen im Zuge des Klimawandels zum größten Problem werden. So verendeten im Oktober 2023 über 150 Delfine verschiedener Spezies in einem Amazonas-See in Brasilien, weil die Wassertemperaturen im Zuge des Wetterphänomens El Niño Spitzenwerte von über 40 Grad Celsius erreichten.
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