Berlin. Alle dachten, sie geht in die Politik. Alles nur gewollter Populismus, erklärt die Moderatorin nun – und entschuldigt sich.
„Olaf Scholz. Friedrich Merz. Ich mach’ mir Sorgen um die Zukunft unseres Landes. Und ich schau’ mir das nicht mehr länger nur an. Wenn du willst, dass es gut wird, musst du es halt selbst machen.“ Mit diesem „Statement“ hat die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim vor ein paar Tagen für Aufsehen gesorgt. Das Video, das mit den oben genannten Worten beginnt, hat inzwischen über eine Million Aufrufe auf dem YouTube-Kanal von „maiLab“. Das liegt daran, dass der Einstieg von Nguyen-Kim selbst absichtlich aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Und, dass es den Medien in ihrer Berichterstattung nicht aufgefallen ist.
Nguyen-Kim führt damit Populismus vor, wie sie nun mit dem Start der neuen Staffel von „MaiThink X“ auflöst. Nachdem sie in der fünften Staffel noch in Elternzeit und von anderen Moderatoren vertreten worden war, kehrt Nguyen-Kim jetzt mit einem Knall zurück. Sie habe nicht vor, in die Politik zu wechseln, wie viele Menschen und Medien in Deutschland vermutet hatten. Vielmehr wollte sie mit ihrem „Statement“-Video aufzeigen, wie leicht eine Gesellschaft manipuliert werden kann. Durch Populismus.
Nguyen-Kim spricht im ersten der beiden Videos von einer Informationskrise. „Nicht das, was am wichtigsten oder informativsten ist, kriegt die meiste Aufmerksamkeit. Sondern das, was am meisten empört oder emotionalisiert.“ Deshalb auch der Einstieg. Die Namen und die Sätze kommen in dem „maiLab“-Video genau so vor, aber das Intro fügt sie aneinander. Es entsteht ein falscher Eindruck. Der Eindruck, die Wissenschaftlerin mache hier gleich ihrer Wut über die deutsche Führungsriege Luft – um dann selbst in die Politik zu gehen.
Doch in Wirklichkeit sagt Nguyen-Kim das gar nicht. Sie deutet es nur vage an. Deshalb spekulierten viele deutsche Medien, darunter auch diese Redaktion, darüber. Und tragen damit laut Nguyen-Kim zur Problematik bei. Ansonsten seien unter anderem populistische Politiker, Algorithmen und „wir alle“ für die Informations- und Diskussionsklimakrise zuständig.
Mai Thi: Populismus diente nicht nur der Aufmerksamkeit
In der neuen Sendung von „MaiThink X“ sagt die Moderatorin nun: „Nach meinem letzten maiLab-Video gab es ja einige Schlagzeilen und Kommentare.“ Warum eigentlich?
Zum einen haben offensichtlich viele Menschen Nguyen-Kim ihre neue Rolle als Politikerin zugetraut. Die Wissenschaftsjournalistin ist gerade durch ihre menschlich-direkte Art und ihren Hintergrund – Nguyen-Kim ist promovierte Chemikerin – zu einer Instanz für glaubwürdige Berichterstattung geworden. „Wenn Du eine Partei gründest, wähle ich die“, lautet einer der vielen zustimmenden Kommentare unter dem „Statement“. Dass eine prominente Person in die Politik geht, ist schließlich auch alles anderes als absurd.
Des Weiteren konnten Journalisten einer Geschichte dieser Strahlkraft nicht widerstehen. Ein Problem, das auch Nguyen-Kim kennt. Politik und Journalismus seien davon abhängig, Menschen für sich zu gewinnen. „Das verleitet dazu, Beliebtheit über Korrektheit zu stellen. Oder zuzuspitzen und zu emotionalisieren, statt sachlich und differenziert zu bleiben.“ Hat sich die Redaktion von „MaiThink X“ vielleicht selbst dazu verleiten lassen, die neue Staffel ausgerechnet mit Populismus einzuleiten? Nguyen-Kim beantwortet das in der aktuellen Folge so: „Warum haben wir das alles gemacht? Nicht nur für die Aufmerksamkeit, sondern auch, weil wir zeigen wollten, wie anfällig wir alle für Populismus sind.“
Ein Populismus-Statement bringt eben Aufmerksamkeit. Und ist voller Populismus, gewollt natürlich. Nguyen-Kim leitet ihn in ihrem Youtube-Video mit den Worten „Und das bringt mich zu dem eigentlichen Grund für dieses Video“ ein. Danach spricht sie von ihrer Kompetenz, einem Außenseiterblick, sehr viel Zeit in Berlin. Außerdem habe sie ein sehr starkes Team aufgebaut und sich weitergebildet. Sie möchte vage bleiben und den Kanal nicht für Parteipolitik nutzen.
Durch diese Aussagen, gepaart mit dem Titel und Thema des Videos, ließ sich leicht auf eine politische Zukunft der Moderatorin schließen. „Kalkulierte Ambivalenz“ nennt Nguyen-Kim das, und entschuldigt sich in ihrer jüngsten „MaiThink X“-Sendung aufrichtig dafür. Über eine Million Aufrufe für Nguyen-Kims Video sind als Werbung für die neue Staffel ihrer Sendung jedenfalls kein schlechter Wert – ob jedoch ihre Glaubwürdigkeit darunter gelitten hat, bleibt abzuwarten.
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