Berlin/London. Seal, „Relax“ und „Video killed the radio star“: Der 74-jährige Studio-Tüftler ist der größte seines Fachs. Er hat ein neues Soloalbum.
Jeder liebt irgendein ein Stück von Trevor Horn. Der 74-jährige Brite hatte 1979 seinen Durchbruch mit den Buggles und „Video killed the radio star“, schuf 1983 „Relax“ und das im folgenden Jahr veröffentlichte Debütalbum von Mega-Hype Frankie Goes to Hollywod. Mit seinen Hochglanz-Produktionen für ABC, Grace Jones, Propaganda, Seal und später Routiniers wie Robbie Williams, Rod Stewart, Céline Dion und Tom Jones definierte er neu, was wir heute als Pop-Musik verstehen. Jetzt hat Horn für sein zweites Solo-Album „Echoes – Ancient & Modern“ (Deutsche Grammophon) mit Sängern wie Iggy Pop, Tori Amos und Marc Almond Songs aus 40 Jahren Musikgeschichte aufgenommen, darunter neue Versionen eigener Produktionen. Ein Stück singt er selbst. Aber das war so nicht geplant.
Ihre Platte strahlt eine optimistische Melancholie aus. Hatten Sie erst die Sängerinnen und Sänger und dann passende Songs ausgesucht, oder umgedreht?
Trevor Horn: Erst waren die Songs da. Ich hatte eine kurze Liste von Liedern, die ich gern machen wollte.
Die Stimmung des Albums könnte man als optimistisch melancholisch beschreiben.
Es ist vielleicht altmodisch, aber ich mag es, wenn Songs etwas zu sagen haben. Und diese Platte erzählt jetzt vom Menschsein, von der „human condition“.
Sagt da irgendeine Zeile etwas über Sie persönlich aus?
Sie meinen sowas wie „Now the party’s over?“ – die Party ist vorbei - vom Roxy-Music-Stück „Avalon“? (lacht)
Bei dem Stück singen ja ausnahmsweise mal Sie.
Ja, dabei hatte ich das nur kurz als Vorlage eingesungen für einen späteren Sänger oder eine Sängerin.
Als Bassist haben Sie jahrzehntelang in Cover-Bands gespielt, die live Songs anderer Leute vortrugen. Dann verlegten Sie sich aufs Produzieren und da kam dann plötzlich der Durchbruch. Wie passt das zusammen?
Durch das Live-Spielen hatte ich gelernt, wie man einen Song treffend arrangiert. Auf der Bühne sieht man, was beim Publikum ankommt, was Wirkung erzielt und was nicht. Gleichzeitig war ich auch für Studiosessions gebucht – und dabei immer der einzige, der nach seinem Part nicht nach Hause ging, sondern fasziniert bei den Aufnahmen zuguckte. Kurse für Plattenproduktion gab es ja damals nicht.
Schaut man auf die Plattencover und Konzertbilder vieler ihrer Künstler, Propaganda, Tom Jones, Pet Shop Boys: Das sind alles surreale Charaktere, Technicolor-Typen, Freaks.
Stimmt. Im Allgemeinen sind die Leute, deren Stimmen ich mag, wohl irgendwie „überlebensgroß“ (lacht). Mein Job ist es dann aber, diese Person so gut klingen zu lassen wie möglich. Alles tritt hinter die Stimme zurück. Die Musik mag noch so großartig sein, aber wenn der Sänger nichts taugt, fällt alles in sich zusammen.
Sie haben Unsummen in ihre Produktionen gesteckt, bevor sie überhaupt eine einzige brauchbare Aufnahme hatten: ewige USA-Aufenthalte für letztlich zwei Takte Rhythmus auf Grace Jones‘ „Slave to the rhythm“, Wochen in einem südafrikanischen Studio, monatelange Arbeit für ein am Ende vierminütiges „Relax“.
Aber Plattenverkäufe brachten damals auch weit mehr Geld ein als heute. Also lohnte es sich auch, zu investieren. Ein Album wie Malcolm McLarens „Duck Rock“, für das wir nach Soweto geflogen waren, hatte ja im Ergebnis drei Hit-Singles. Heute steckt Geld von Plattenfirmen in meinen Produktionen, auch eigenes Geld – ich versuche, interessante Stücke zu produzieren, und das ist nicht immer leicht.
Neben den schillernden Künstlern, der Opulenz der Stücke und einer neuen digitalen Präzision schmuggelten Sie wüste Avantgarde-Elemente in Ihre Popsongs und damit ins Tagesprogramm der Radiosender.
Meine erste Begegnung mit so etwas wie Geräuschmusik, Industrial und Musique Concrète waren die Platten der Einstürzenden Neubauten. Ich liebe Sound-Effekte, und wenn sie wie die scheppernden Münzen am Anfang von „Dr. Mabuse“ zum Stück passen, weil es darin nun mal um Geld geht, dann haben sie in einer Produktion auch ihre Berechtigung.
Sind heutige Hörer immer noch offen für derlei Wagnisse im Pop?
(Überlegt lange) Musik hat heute einen anderen Stellenwert für die Kids. Musik war für junge Menschen in den 80er-Jahren enorm wichtig. Ihre Bedeutung hat sich geändert. Junge Leute stehen inzwischen vor rund 100 Jahren Unterhaltungsmusik. Ich denke, heutzutage suchen sich die Leute eher daraus ihre ganz eigene Nische.
Sie haben früher als andere die Möglichkeiten von Sampling und digitalem Arbeiten im Studio erkannt und angewendet. Was kann da jetzt Künstliche Intelligenz leisten? Beim neuen Beatles-Stück „Now and then“ etwa ist sie schon im Einsatz.
Das Stück habe ich gehört. Gefiel mir nicht besonders. Keine sonderlich gute Komposition. Auf eine Beatles-Platte hätte es das Lied wohl nicht geschafft. Mein Sohn hat für mich im Stück „Video killed the radio star“ mit KI meine Stimme gegen die von Elvis Presley ausgetauscht. Es klang furchtbar: Meine roboterhafte Art zu singen, passte nicht zu Presleys Gesangsstil. Insgesamt macht mir das Konzept KI Angst. Dass sie zukünftig massenweise Innovation ausspuckt? Ich sehe das nicht.
Ein paar offene Fragen aus den 44 Jahren seit „Video killed...“: Wenn Sie nach ABCs Debüt „The lexicon of love“ auch das dann sehr kritisierte zweite ABC-Album „Beauty stab“ produziert hätten, wie anders wäre es geworden?
(Lacht) Das hat mich wirklich noch niemand gefragt. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich höre das Album im Auto, ich mag es. Aber nach „Lexicon ...“ lag die Messlatte für die Band enorm hoch.
Nach einem Grammy, mehreren Brit Awards und der Aufnahme in den Order of the British Empire durch das Königshaus: Wessen Kompliment kann Sie noch erfreuen?
In einem Restaurant in Los Angeles trat einmal Lenny Kravitz auf mich zu, umarmte mich und sagte: „Als ich zum ersten Mal im Autoradio ,Owner of a lonely heart‘ hörte...
...Ihre Produktion für Yes von 1983...
...musste ich an den Straßenrand fahren. So etwas hatte ich noch nie gehört“. Das war unglaublich nett von ihm. Ich war Kravitz bis dahin nie begegnet.
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Auf Mike Oldfields „Tubular Bells II“ hört man sieben Minuten lang einen ungenannten Sprecher. Ist es der seitdem verstorbene Schauspieler Alan Rickman?
Ja.
Warum steht er nicht auf dem Cover?
Das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich bin nur der Produzent.
Trevor Horn, „Echoes – Ancient & Modern“, Deutsche Grammophon, erscheint am 1. Dezember in mehreren Formaten, eine limitierte Ausgabe als signiertes White Label Vinyl gibt es auf store.deutschegrammophon.com für 149,99 Euro.
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