Hamburg. Für viele Bundesländer sei der Einsatz des Buches im Unterricht unproblematisch. Skeptische Stimmen aus Bayern, Hamburg und Thüringen.
Fast 70 Jahre war „Mein Kampf“ in Deutschland tabu, nun könnte eine kommentierte Gesamtausgabe der Propagandaschrift von Adolf Hitler im Schulunterricht zum Einsatz kommen. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Bremens Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD), sagte am Donnerstag, sie halte das für möglich: „Es nützt nichts, etwas im Giftschrank zu verstecken.“ Ähnliche Einschätzungen vertreten die zuständigen Minister laut einer Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) in zahlreichen weiteren Bundesländern. Skeptische Stimmen, ob die Gesamtausgabe für den Unterricht geeignet ist, kamen aus Bayern, Hamburg und Thüringen.
Bogedan sagte: „Kritische Auseinandersetzungen mit Texten können sehr hilfreich sein.“ So sollte ihrer Meinung nach auch mit der kommentierten Fassung von „Mein Kampf“ verfahren werden. Für Bremen verwies Bogedan darauf, dass die Bildungsbehörde keine Vorgaben mache, welches Unterrichtsmaterial zur Aufarbeitung der NS-Zeit verwendet wird. Diese Entscheidung sei den Lehrern überlassen.
„Es ist weder Pflicht noch unmöglich“
Das Institut für Zeitgeschichte in München (IfZ) will am Freitag die kommentierte Gesamtausgabe zu „Mein Kampf“ vorstellen. Der Urheberschutz für die Schmähschrift des Diktators war am 31. Dezember ausgelaufen. Dadurch wurde ein Nachdruck des Buches wieder möglich.
Für Mecklenburg-Vorpommern erklärte Bildungsminister Mathias Brodkorb (SPD), das Buch sei im Internet inzwischen frei verfügbar. „Wir können uns also nur entscheiden, ob wir Kinder und Jugendliche das Buch alleine lesen lassen oder ob wir sie in der Schule dabei begleiten und das Buch gemeinsam mit ihnen kritisch reflektieren“, sagte er. Er könne sich eine wissenschaftlich kommentierte Taschenbuchausgabe auch für den Schulunterricht vorstellen, von der ein Teil des Erlöses der Auschwitz-Stiftung zugute komme.
In den Schulen in Schleswig-Holstein bleibt es den Schulen und den Lehrern überlassen, ob sie die kommentierte Ausgabe im Unterricht einsetzen wollen. „Es ist weder Pflicht noch unmöglich“, sagte der Sprecher des Kieler Bildungsministeriums, Thomas Schunck. Das Buch werde lediglich in den Schulbuchkatalog des Landes aufgenommen. Ähnlich in Hessen und Nordrhein-Westfalen: Die Schulen könnten in eigener Verantwortung entscheiden, sagte ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Schulministeriums in Düsseldorf. Eine Empfehlung gebe es nicht.
Schulbehörde in Hamburg: Spezielle Lektüre nicht notwendig
In baden-württembergischen Schulen darf das Buch ebenfalls verwendet werden. Lehrer müssten mit der notwendigen kritischen Sensibilität und Verantwortung die Textanalyse anleiten mit dem „Ziel, die ideologisch-propagandistischen Inhalte offenzulegen und als solche transparent zu entlarven“, sagte eine Sprecherin des baden-württembergischen Kultusministeriums.
Der Freistaat Thüringen indes sieht keine Notwendigkeit, die kommentierte Neuausgabe im Schulunterricht zu behandeln. Die Schüler der 9. und 10. Klasse setzten sich in Thüringen schon seit vielen Jahren „sehr gut mit dem Nationalsozialismus auseinander“, sagte ein Sprecher von Thüringens Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke). Auch aktuelle Bezüge würden im Unterricht hergestellt wie etwa zu Fremdenhass oder zur Instrumentalisierung der Flüchtlingskrise durch „rechte Rattenfänger“. Auch aus der Hamburger Schulbehörde hieß es, man halte eine spezielle Lektüre von „Mein Kampf“ nicht für notwendig.
Zeitgenössische Quellen gehören seit langem zum Geschichtsunterricht
Das bayerische Kultusministerium lehnt eine Nutzung der kritischen Edition von „Mein Kampf“ im Schulunterricht nicht ab, hält die Gesamtausgabe mit ihren rund 2.000 Seiten aber nicht ohne Weiteres für unterrichtstauglich. „Es kann aber eine Grundlage für Schulbuchverlage oder Lehrer sein“, sagte ein Ministeriumssprecher.
Die historisch-kritische Neuauflage der NS-Propagandaschrift aus dem Jahr 1925 wird in Brandenburg nach Einschätzung des Bildungsministeriums zu keinen grundlegenden Veränderungen im Schulunterricht führen. Die Analyse zeitgenössischer Quellen, darunter auch von Auszügen aus „Mein Kampf“ und von Hitler-Reden, gehöre seit langem zum gängigen Repertoire des Geschichtsunterrichts, sagte ein Ministeriumssprecher.