Köln/Berlin . Immer mehr Frauen berichten von üblen Attacken durch mutmaßlich ausländische Banden. Politik und Polizei suchen Antworten.
Was in der Silvesternacht in Köln geschah, das hat es in dieser Form noch nicht gegeben: Gleich mehrere Hundert angetrunkene Männer belästigen Frauen sexuell und stehlen ihnen Geld und Handys. „Wir waren umzingelt von zehn, zwanzig ausländischen Männern“, erzählt eine Augenzeugin im Sender N-TV. „Die haben uns überall angepackt, ins Dekolleté gefasst, an die Beine“. Der Schock sitzt nicht nur bei den Opfern tief. Die Polizei hat mit einem solchen „Phänomen“ noch nie etwas zu tun gehabt, wie der Kölner Polizeipräsident sagt. Politiker fordern harte Strafen: „Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen“, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD). Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) verspricht: „Wir haben Maßnahmen entwickelt, die dazu führen sollen, dass es solche Vorfälle nie wieder gibt“. Beim bevorstehenden Karneval werde man sich das Feiern nicht verbieten lassen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Vorfällen:
Was genau ist zu Silvester passiert?
In Köln gab es genau genommen zwei verschiedene Ereignisse. Die Täter waren dabei offenbar dieselben. Ereignis Nummer eins: Gegen 21:00 Uhr stehen mehrere Hundert Männer auf dem Bahnhofsvorplatz und auf den Treppen zum Dom. Sie zünden Feuerwerkskörper und zielen dabei auf andere Feiernde. Die 18- bis 35-Jährigen sind „reichlichst“ angetrunken, wie der Kölner Polizeidirektor Michael Temme es ausdrückt. Gegen 23:00 wächst die Menge auf rund 1000 Personen an, die Stimmung wird aggressiver. Die Männer, so schildert es Polizist Temme, sind zu diesem Zeitpunkt „völlig enthemmt“ und „unbeeindruckt“ von der Polizei. Die Beamten beginnen, den Bahnhofsvorplatz zu räumen. Da ist es kurz nach Mitternacht.
Anschließend – Ereignis Nummer zwei – will die Polizei erst erfahren haben, dass Frauen sexuell belästigt und oft gleichzeitig bestohlen werden. Opfer berichten übereinstimmend, dass sie in der Nacht jeweils von etwa einem Dutzend Männern sexuell belästigt werden: Sie versperren den Frauen den Weg, umzingeln sie, halten sie fest, fassen sie an Gesäß, Brüsten und Beinen an. Gleichzeitig versuchen die Männer, ihnen Handys und Geld zu stehlen. Das Ausmaß der Angriffe und Belästigungen wird erst klar, als am nächsten Tag immer mehr Frauen Anzeige erstatten. In der Nacht selbst gehen bei der Polizei drei Notrufe zu sexuellen Übergriffen ein. Bislang gibt es eine Anzeige wegen Vergewaltigung.
In Hamburg gab es auf der Reeperbahn ähnliche sexuelle Angriffe wie in Köln, aber in geringerer Zahl.
Wer sind die Täter?
Die betrunkenen Männer, die vor dem Hauptbahnhof in Köln Feuerwerkskörper gezündet haben, werden von den Polizisten vor Ort als „aus Nordafrika oder dem arabischen Raum stammend“ beschrieben. Auch die Opfer der sexuellen Angriffe beschreiben ihre Täter, die Teil der großen Menschenmenge waren, in ähnlicher Weise. Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers sagt am Dienstag: „Wir haben derzeit keine Erkenntnisse über die Täter.“ Es gebe noch keine Tatverdächtigen. Man werte nun Videoaufnahmen aus.
Die Kölner Oberbürgermeisterin Reker betont: „Es ist unzulässig, mit einer Ethnie aus Nordafrika die Flüchtlingsgruppe zu verbinden.“ Es gebe keinen Hinweis darauf, dass Flüchtlinge unter den Tätern waren. Polizeidirektor Temme berichtete, dass die Beamten am Silvesterabend bei etwa 100 Personen versucht hätten, die Identität festzustellen. Einmal habe jemand eine Kopie eines Asylantrags vorgezeigt. Auch amtliche Duldungen seien vorgezeigt worden. Ob die kontrollierten Personen zugleich Täter waren, sei unklar.
Grundsätzlich können Asylbewerber, die straffällig werden, aus dem Land gewiesen werden. Praktisch gestaltet sich dies schwierig, wenn sie keine Ausweispapiere haben. Die fünf Festnahmen, die es in Köln rund um Silvester gab, stünden in keiner Verbindung zu den sexuellen Angriffen, sagt die Polizei. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) spricht von „organisierter Kriminalität“. Die Kölner Polizei sieht das bislang nicht bestätigt. Auch gibt es keine Hinweise, dass sich die Männer über soziale Medien verabredet hätten.
Wie viele Opfer gibt es?
In den vergangenen Tagen sind bei der Polizei 90 Anzeigen wegen sexueller Belästigung eingegangen. Die Polizei erwartet aber noch mehr. Der Hamburger Polizei liegen 27 Anzeigen über sexuelle Belästigungen in der Silvesternacht vor.
Welchen Hintergrund könnten die Vorfälle haben?
Nach Angaben der Polizei handelt es sich im Grundsatz um eine bekannte Masche von Trickbetrügern. Um von der eigentlichen Tat, dem Diebstahl von Wertgegenständen, abzulenken, werden die Opfer angefasst oder „angetanzt“. Dieses Muster ist der Polizei von anderen Orten in Köln bekannt. Es gibt eine extra Dienststelle, die sich darum kümmert. Sexuelle Übergriffe gab es bei diesem „Antanzen“ bisher aber nicht.
Wie hat die Polizei gearbeitet?
Der Kölner Polizeipräsident räumt selbst ein, dass der Einsatz nicht gut gelaufen ist. Dass es im ersten Polizeibericht vom Neujahrstag hieß, die Einsatzlage an Silvester sei „entspannt“ gewesen, sei falsch: „Das war nicht in Ordnung.“ Dass es in der Menschenmenge sexuelle Angriffe gab, habe man zunächst nicht erkannt: „Dieses Phänomen war neu.“ Opfer der sexuellen Angriffe berichteten, dass die Polizei sich zunächst nicht für ihre Situation interessiert und nur den Diebstahl von Handys oder Geldbörsen aufgenommen habe. Augenzeugen berichteten, die Polizei sei völlig überfordert gewesen. Nach Angaben des Polizeipräsidenten wurden Frauen nach Bekanntwerden der Angriffe zum Eingang des Bahnhofs begleitet. Die Räumung des Bahnhofsvorplatzes ist den Beamten nach eigener Einschätzung gelungen.
Welche Konsequenzen ziehen Polizei und Politik aus den Vorfällen?
In Köln will die Polizei jetzt nicht nur für angemeldete Großveranstaltungen ein extra Sicherheitskonzept erstellen, sondern auch für Ereignisse wie Silvester oder Karneval. Das bedeutet, dass sich eine „Koordinierungsgruppe“ auf das Ereignis vorbereitet. Der Ort des Geschehens soll bei Dunkelheit ausgeleuchtet werden. Mobile Videoteams der Polizei sollen unterwegs sein und auch von oben filmen. Ob vermehrte Videoüberwachung Straftaten verhindern kann, ist umstritten. Sie hilft aber eventuell bei der Aufklärung. Im anstehenden Karneval soll mehr Polizei unterwegs sein. Für bekannte Straftäter – auch Taschendiebe – soll es ein Verbot geben, den Ort der Veranstaltung zu betreten.