Kathmandu . Trotz drohender Gefahr war Regierung kaum vorbereitet. Unter den mehr als 5000 Toten ist auch ein Göttinger Professor
Prabhat Samphang sucht fieberhaft nach einer Zeltplane – und ein bisschen innerer Ruhe. Unter seinen Füßen bebte am Dienstag weiter die Erde, und von oben fielen große Regentropfen. In sein Haus in Nepals Hauptstadt Kathmandu traut er sich nicht zurück, aus Angst, es könnte einstürzen. „Jetzt soll ich 5000 Rupien (45 Euro) für eine Plane zahlen, obwohl sie doch nur ein paar Hundert Rupien kosten sollte. In Nepal fehlt es uns an allem.“ Der Schwarzmarkt boomt.
Das Land bietet ein Bild der Verwüstung. Trümmer, eingestürzte Tempel, Risse in Straßen. Die Bilder lassen das Ausmaß nur erahnen. Das Erdbeben reißt eines der ärmsten Länder der Welt in Trauer und Verzweiflung. Völlig unklar ist, wie lange es dauern wird, bis relative Normalität einkehren kann. Und die Regierung scheint überfordert. Sie räumte erstmals öffentlich ein, trotz zahlreicher Warnungen vor einem bevorstehenden großen Beben nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. Die Behörden hätten Schwierigkeiten, die Krise zu meistern. „Wir waren auf ein Desaster dieses Ausmaßes nicht vorbereitet“, sagte Innenminister Bam Dev Gautam im Fernsehen. Das Land ordnete drei Tage Staatstrauer an.
Ein Erdrutsch begräbt am Dienstag mehr als 250 Menschen
Gleichzeitig schwinden die Hoffnungen, weitere Überlebende in den Trümmern zu finden. Die Rettungskräfte kämpften gegen die Zeit, sagte der Sprecher des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe, Jens Laerke, am Dienstag. Zudem sei der Zugang zu etlichen Gebieten wegen zerstörter Straßen noch versperrt. Etwa acht Millionen Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR von dem Erdbeben vom Sonnabend betroffen, mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Nepals Premierminister Sushil Koirala sagte, die Zahl der Toten könnte auf 10.000 steigen.
Bei dem Erdbeben im Himalaya ist auch der Leiter einer Exkursion der Universität Göttingen ums Leben gekommen. Matthias Kuhle, 67, Geografie-Professor und Eiszeitforscher, war bei einem Abstieg im Manaslu-Massiv nördlich der Hauptstadt Kathmandu während des Bebens von herabstürzenden Felsmassen getroffen und tödlich verletzt worden. Das Auswärtige Amt schließt nicht aus, dass weitere Bundesbürger ums Leben kamen. Der Krisenstab bemüht sich weiter um Informationen über das Schicksal von mehr als 100 vermissten Deutschen.
Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) bringt Hilfsgüter im Wert von 670.000 Euro in das Erdbebengebiet. Am Dienstagabend startete eine Maschine mit Zelte, Decken und Hygienepaketen. Die Maschine sollte ursprünglich bereits am Montagabend starten. Grund für die Verzögerung war eine fehlende Überfluggenehmigung für Indien, weil der dortige Luftraum zu voll war.
11.000 Menschen sind verletzt, 1,4 Millionen warten auf Lebensmittel
Bei einem weiteren Lawinenabgang sind am Dienstag möglicherweise etwa 250 Menschen verschüttet worden. Die Lawine sei in Ghodatabela an der beliebten Trekking-Route Langtang ins Tal gerast, sagte ein Behördenvertreter. In der Nähe lag das Zentrum des Bebens. Dass nun weitere 250 Menschen verschüttet wurden, sei eine „vorläufige Schätzung“, sagte Uddav Prasad Bhattarai. Es sei möglich, dass auch ausländische Touristen betroffen seien. Die Langtang-Route liegt nicht weit von Kathmandu entfernt.
Nach Angaben der nepalesischen Behörden wurden mittlerweile mehr als 5000 Tote registriert. Fast 11.000 Menschen sind verletzt. Mindestens 1,4 Millionen Menschen sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Bei dem Erdbeben der Stärke 7,8 wurden Nepal, Gebiete in Nordindien und in Tibet erschüttert. Es war das schwerste Beben in der Region seit 1934, als mehr als 10.000 Menschen starben.
Unterdessen warnte der WHO-Nothilfekoordinator Richard Brennan vor dem Ausbruch von Epidemien. In Kathmandu und in vielen anderen Gebieten sei die Versorgung mit sauberem Wasser zusammengebrochen, es fehle auch an funktionierenden sanitären Einrichtungen. Dadurch steige das Risiko für Infektionen. Die Krankenhäuser seien überfüllt. Ärzte und Pfleger müssten Traumata, Blutungen, Knochenbrücke, Gesichts- und innere Verletzungen behandeln. Aber auch der normale Betrieb müsse weitergehen, zum Beispiel die Geburtshilfe.
Auch am Mount Everest blieb die Lage weiter unübersichtlich, auch wenn seit Montag 150 Bergsteiger gerettet werden konnten.